Ministerpräsident Winfried Kretschmann gestikuliert. (Foto: dpa Bildfunk, Bernd Weißbrod)

Um Mangel an Schulen zu bekämpfen

Kretschmann will Mindestarbeitszeit für Teilzeit-Lehrkräfte erhöhen

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Ministerpräsident Kretschmann hat längere Arbeitszeiten für verbeamtete Teilzeit-Lehrkräfte angeregt. Der Vorschlag wird demnach bereits geprüft. Es gibt heftigen Gegenwind.

Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hat bei einer Podiumsdiskussion am Montagabend längere Arbeitszeiten für Teilzeit-Lehrkräfte ins Gespräch gebracht und damit eine Welle der Empörung ausgelöst. Bei einer Regierungspressekonferenz am Dienstagmittag in Stuttgart sagte Kretschmann, das sei zwar eine spontane Äußerung gewesen, die er besser gelassen hätte. Allerdings prüft die grün-schwarze Landesregierung seinen Angaben zufolge, ob die Mindestarbeitszeit für Beamtinnen und Beamte in Teilzeit erhöht werden kann.

Regierung erhofft sich umgerechnet 1.000 Lehrerstellen

Die Teilzeit-Regelungen seien sehr großzügig, sodass vor allem viele Lehrerinnen nur relativ wenige Stunden unterrichteten, stellte Kretschmann fest. Er bekräftigte, wenn jede Lehrerin in Teilzeit eine Stunde mehr unterrichten würde, hätte man umgerechnet 1.000 Lehrerstellen.

Das Innen- und das Kultusministerium befassen sich demzufolge gerade mit dem Thema. Konkreter wurde Kretschmann nicht, etwa auch was die rechtliche Umsetzung angeht. Die baden-württembergische Kultusministerin Theresa Schopper (Grüne) war nicht in der Kabinettssitzung am Dienstagvormittag und der anschließenden Regierungspressekonferenz in Stuttgart dabei, da sie positiv auf das Coronavirus getestet worden war.

Ukraine-Krieg verschärft Situation an Schulen

Kretschmann begründete seinen Vorschlag auch mit der Aufnahme von Kindern und Jugendlichen aus der Ukraine. In den vergangenen zwei Monaten seien etwa 9.000 ukrainische Kinder und Jugendliche nach Baden-Württemberg geflüchtet, die nun betreut und unterrichtet werden müssten, erklärte der Regierungschef.

Auch deswegen würden dringend mehr Lehrkräfte gebraucht. Grundsätzlich gehe es aber auch darum, dass wegen der Folgen des Ukraine-Kriegs auch in Baden-Württemberg gewohnte Dinge auf den Prüfstand gestellt werden müssten.

Kretschmann kritisiert Gewerkschaften

Für seine Aussage bei der Podiumsdiskussion am Montagabend erntete der Ministerpräsident bereits heftige Kritik. Dazu sagte Kretschmann am Dienstagmittag, er rate allen dazu, von ihren Reflexen abzusehen - das gelte auch für Gewerkschaftsfunktionäre.

Diese sollten in dieser besonderen Situation nicht ihr "übliches Latein" abspulen. Auf die Frage, ob eine Einschränkung der Teilzeit nicht auch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf beeinträchtige, sagte Kretschmann: "Von solchen Empfindlichkeiten sollten wir mal Abschied nehmen, bei der Weltlage in der wir sind."

GEW findet Vorstoß "total daneben"

Auch Monika Stein, Landeschefin der Bildungsgewerkschaft GEW, zeigte sich empört. "Das ist total daneben", sagte sie der Deutschen Presse-Agentur. "Die Teilzeit-Lehrkräfte arbeiten nicht deshalb weniger, weil es Spaß macht, weniger Geld zu verdienen."

Es gehe dabei auch darum, Familie und Job unter einen Hut zu bringen, so Stein. Nach zwei Jahren Pandemie seien viele Lehrerinnen und Lehrer sowie Schulleitungen mit ihren Kräften sowieso schon am Ende. Jetzt kämen noch geflüchtete Kinder und Jugendliche aus der Ukraine dazu.

Bildungsverband macht eigene Vorschläge

Um die Zahl der Lehrkräfte an Schulen zu erhöhen, schlägt die GEW stattdessen vor, befristet eingestellten Lehrkräften feste Zusagen für das nächste Schuljahr zu geben, um sie nicht zu verlieren. Die Landesregierung, so der Vorwurf, bilde nicht genug junge Lehrerinnen und Lehrer aus. Für freie Stellen würden deshalb Vertretungen eingesetzt und so sei die ständige Vertretungsreserve schon zu Beginn des Schuljahres aufgebraucht.

Krisen wie die Pandemie und jetzt die Aufnahme Geflüchteter wären besser zu bewältigen, wenn die Schulen zum Schuljahresbeginn alle Lehrkräfte hätten, die sie für regulären Unterricht bräuchten, so Stein.

Gegenwind bekommt Kretschmann auch vom Lehrerverband

Auch der Präsident des Deutschen Lehrerverbands, Heinz-Peter Meidinger, reagierte mit Ablehnung auf den Vorschlag, die Mindestarbeitszeit von Teilzeit-Lehrkräften zu erhöhen. "Die Kolleginnen und Kollegen, die Teilzeit machen, haben ja auch Gründe dafür", sagte Meidinger dem SWR.

"Ob das jetzt aber die großen Kapazitäten bringt, da setze ich mal ein Fragezeichen dahinter."

Es seien sehr viele Frauen darunter, die anders Familie und Beruf nicht vereinbaren könnten. Ein Appell an Lehrkräfte, ob sie nicht vorübergehend vielleicht freiwillig eine Stunde aufstocken könnten, sei sicher erlaubt, so Meidinger. "Ob das jetzt aber die großen Kapazitäten bringt, da setze ich mal ein Fragezeichen dahinter", sagte der Präsident des Deutschen Lehrerverbands.

SPD: "Kretschmann kennt die Realität an Schulen nicht"

Die SPD-Fraktion im baden-württembergischen Landtag übte Kritik an Kretschmann. Anstatt sich an die eigene Nase zu fassen, zeige dieser jetzt mit dem Finger auf die Lehrkräfte, twitterte Fraktions-Vize Stefan Fulst-Blei. Das sei mal wieder ein Beleg dafür, dass weder dem Ministerpräsidenten noch der Kultusministerin bewusst sei, wie die Realität an den Schulen aussehe.

Die oppositionelle FDP warf Kretschmann vor, Lehrkräften am Limit noch hinterherzutreten. Gesundheit und Wertschätzung von Lehrkräften seien dem Ministerpräsidenten egal, so der Vorwurf des bildungspolitischen Sprechers der FDP, Timm Kern. Durch die Mehrarbeit während der Pandemie und wegen geflüchteter ukrainischer Schulkinder befänden sich Lehrkräfte ohnehin am Limit.

In Baden-Württemberg gibt es gut 110.000 Lehrkräfte an allgemeinbildenden Schulen. Vor allem an Grundschulen ist der Anteil der Lehrerinnen sehr groß.

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