Ein Neubaugebiet wird erweitert.

Täglich werden fast fünf Hektar bebaut

Flächenfraß in BW: Kommunen stellen sich gegen Volksantrag "Ländle leben lassen"

Stand
Autor/in
Henning Otte
SWR-Reporter und -Redakteur Henning Otte, SWR Landespolitik

Täglich verschwinden in Baden-Württemberg mehrere Hektar Fläche unter Beton und Asphalt. Naturschützer wollen das eindämmen. Kommunen halten das für realitätsfern.

Die Kommunen in Baden-Württemberg stellen sich offen gegen den Volksantrag Flächenfraß, den mehrere Naturschutzverbände initiiert haben. In einem Positionspapier, das dem SWR vorliegt, fordert der Gemeindetag Baden-Württemberg einen pragmatischen Umgang und lehnt eine pauschale Begrenzung für die Flächenplanung ab.

"Politik beginnt beim Betrachten der Realität", sagte Gemeindetags-Chef Steffen Jäger. "In Baden-Württemberg müssen hunderttausende Wohnungen gebaut werden." Für den Ausbau der Erneuerbaren Energien müssen zwei Prozent der Landesfläche ausgewiesen werden. "Hinzu kommen eine Ansiedlungsstrategie, der Bedarf an zusätzlichen Lkw-Stellplätzen entlang der Autobahnen und auch weitere Deponieflächen." Dafür werde viel Fläche benötigt.

Zwar brauche man ein klares Bekenntnis zum Sparen und zur Umnutzung von nicht mehr benötigten Flächen. "Es braucht aber auch das Bewusstsein, dass ein kommunaler Flächennutzungsplan keine eierlegende Wollmilchsau hervorbringen kann", so Jäger.

Umweltschützer und Bauern haken sich für Volksantrag unter

Die grün-schwarze Landesregierung strebt beim Flächenverbrauch mittelfristig eine sogenannte Netto-Null an, also weniger oder gleich viel Versiegelung wie Entsiegelung von Flächen. Ein Bündnis aus Naturschutz- und Landwirtschaftsverbänden will das Land unter Druck setzen, damit es einen Netto-Null-Verbrauch bis 2035 gesetzlich vorschreibt. Sie wollen eine Obergrenze von zunächst 2,5 Hektar pro Tag - bisher sind es noch knapp 5 Hektar.

Mehr als 30.000 Menschen hätten den Volksantrag "Ländle leben lassen, Flächenfraß stoppen" bereits unterzeichnet, hieß es zuletzt von den Verbänden. Benötigt werden 40.000 Unterschriften von wahlberechtigten Menschen in Baden-Württemberg, damit der Volksantrag im Landtag beraten wird und die Initiatoren angehört werden.

Kommunen warnen vor Bremswirkung von Obergrenzen

Der Gemeindetag warnte davor, die wirtschaftliche Entwicklung und den klimapolitischen Umbau der Gesellschaft zu gefährden. "Wer eine pauschale Begrenzung der Flächeninanspruchnahme oder gar perspektivisch eine Netto-Null will, der muss auch sagen, was dann eben in Baden-Württemberg nicht mehr möglich sein wird. Eine pauschale Begrenzung halten wir daher für den falschen Ansatz", sagte Jäger.

Zuletzt hatte es beim Flächenverbrauch einen Lichtblick gegeben. Die Versiegelung neuer Flächen hat 2022 erstmals seit fünf Jahren wieder abgenommen. Laut Statistischem Landesamt wurden 1.673 Hektar zusätzlich für neue Parkplätze, Industriegebiete, Häuser, Sportplätze oder Straßen genutzt. Das entspricht einer Fläche von etwa 2.300 Fußballfeldern. Pro Tag wurden im Schnitt 4,6 Hektar bebaut. Langfristig gesehen gibt es Fortschritte: Vor 15 Jahren lag der Flächenverbrach noch bei 9 Hektar pro Tag. Derzeit sind laut Statistikern 14,8 Prozent des Landes mit Gebäuden oder Straßen bedeckt.

Die Kommunen argumentieren auch, die Zahlen spiegelten die tatsächliche Versiegelung nicht wider. "Heute wird jeder überplante Hektar als sogenannter Flächenverbrauch kategorisiert. Dabei ist der größere Teil der statistisch erfassten Flächennutzung nicht versiegelt", erklärte Jäger. "Nach Schätzungen des Statistischen Landesamtes sind in Baden-Württemberg knapp die Hälfte der Siedlungs- und Verkehrsfläche tatsächlich versiegelt."

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Gemeindetag will mehr Handlungsspielraum zum Flächensparen

Der Gemeindetag dringt zudem auf mehr Handlungsspielraum: "Statt pauschale Verbote und absolute Obergrenzen benötigen die Kommunen einen funktionierenden Werkzeugkasten." Dafür müsse aber der rechtliche Rahmen im Baugesetzbuch angepasst werden. "Wer Flächensparen möchte, muss den Kommunen auch stärkere Instrumente in der Innenentwicklung geben", forderte Jäger. Dazu zählten Vorkaufsrechte in Siedlungsbereichen.

CDU unterstützt Forderungen des Gemeindetags

Die CDU im Landtag begrüßte das Positionspapier des Gemeindetags. "Dem Flächenverbrauch sollte mit sinnvoller Flächennutzung begegnet werden", so die wohnungsbaupolitische Sprecherin, Christine Neumann-Martin. Eine Netto-Null beim Flächenverbrauch schränke die Entwicklungsmöglichkeiten des Landes zu stark ein, argumentierte sie. Zusätzliche Flächen würden sowohl für Wohnraum, für die Wirtschaft, als auch für den Ausbau erneuerbarer Energien benötigt. Zudem sei Flächenverbrauch nicht mit Versiegelung gleichzusetzen, so Neumann-Martin.

BUND kritisiert Vorstoß scharf

Irritiert vom Vorstoß des Gemeindetags zeigten sich dagegen die Initiatoren und Initiatorinnen des Volksantrags. Es sei überraschend, "dass der Gemeindetag nach mehr als zwei Jahren die Vereinbarungen des Koalitionsvertrages angreift", erklärte der Umwelt- und Naturschutzbund Deutschland (BUND). Der Gemeindetag erhebe zwar viele Forderungen an Landes- und Bundesregierung, doch die zur Verfügung stehenden Mittel zur Wohnraumbeschaffung wendeten viele Gemeinden, gerade im ländlichen Raum, bislang nicht an. "Der erste Schritt wäre, dass alle gegen Leerstände vorgehen und nur noch Gebiete für Mehrfamilienhäuser ausweisen", sagte BUND-Landeschefin Sylvia Pilarsky-Grosch dem SWR. Aus dem Gebäudereport 2022 der Landesregierung ergebe sich, dass von den 2,5 Millionen Wohngebäuden weniger als 500.000 Mehrfamilienhäuser sind, die aber die Hälfte aller Wohnungen böten.

Pilarsky-Grosch forderte die Gemeinden zudem auf, sich gezielt um bereits versiegelte Flächen zu kümmern und dort den Neubau von Industrie- und Gewerbeansiedlungen zu ermöglichen. "So lange zum Beispiel auch in neu ausgewiesenen Gewerbe- und Industriegebieten noch ebenerdige Parkplätze erlaubt sind, statt Parkhäuser und einen guten Anschluss an den Öffentlichen Personennahverkehr zu schaffen, kann man die Bemühungen der Gemeinden zum Flächensparen nicht ernstnehmen", so die BUND-Landesvorsitzende. Sie zeigte sich überzeugt, dass die nötigen Unterschriften zum Volksantrag demnächst erreicht werden. Nach ihrem Eindruck gebe es in der Bevölkerung große Unterstützung für den Erhalt der Natur und der Landwirtschaft.

Die Naturschutz- und Landwirtschaftsverbände warnen, die ständige Zunahme an Wohn- und Gewerbegebieten und Straßen habe negative Folgen für die Umwelt und das Klima. "Lebensräume seltener Tier- und Pflanzenarten gehen verloren, fruchtbare Böden und landwirtschaftliche Flächen werden versiegelt und einzigartige Naturräume und Biotope werden verdrängt", argumentieren die Verbände.

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