Ein Unterkunftsgebäude auf dem Gelände vom Geflüchteten-Ankunftszentrum. (Foto: dpa Bildfunk, picture alliance/dpa | Philipp Schulze)

Bund stärker in der Pflicht

Kommunen fordern nationale Ankunftszentren für Flüchtlinge

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Angesichts der steigenden Zahlen von Flüchtlingen aus der Ukraine und anderen Ländern verweisen die Kommunen an die Verantwortung des Bundes. Sie warnen vor einer sinkenden Akzeptanz im Land.

Immer mehr Städte und Gemeinden fordern die Einrichtung nationaler Ankunftszentren für Flüchtlinge. Die Geflohenen könnten nicht weiter über die Kommunen in Baden-Württemberg auf Unterkünfte verteilt werden, fordern Städte-, Gemeinde- und Landkreistag in einer Erklärung.

Vielmehr müsse es nationale Ankunftszentren geben, in denen sie erfasst, registriert und verteilt werden könnten. Es bedürfe einer Weiterentwicklung der Flüchtlingspolitik, um populistischen Kräften entgegenzuwirken, heißt es in der "Stuttgarter Erklärung für eine realitätsbezogene Flüchtlingspolitik" die dem SWR vorliegt.

Erklärung: Bund solle selbst ins Handeln kommen

"Der Bund hat die Verantwortung für die Asylverfahren und ist zugleich als Gesetzgeber auch zuständig für die Zugangsregeln in die Bundesrepublik Deutschland", argumentieren die Verbände. Einzig die Länder und Kommunen schüfen die Aufnahmekapazitäten. Das gelte auch für Menschen, die keine Bleibeperspektive hätten. Der Bund solle eine eigene handelnde Verantwortung bei der Aufnahme der nach Deutschland flüchtenden Menschen übernehmen, fordern die Kommunen und Kreise.

 Ankunftszentren würden Verfahren für Abschiebungen vereinfachen

In den nationalen Zentren solle schneller geprüft werden, ob Menschen bleiben dürften, und sie müssten sonst direkt aus den Ankunftszentren heraus abgeschoben werden. "Dies würde die Rückführung vereinfachen und zugleich die erforderliche Rückführungskonsequenz verdeutlichen", heißt es in der Erklärung. Flüchtlinge sollten nur noch weiterverteilt werden, wenn sie eine Bleibeperspektive hätten. Notwendig sei es zudem, bestehende Abschiebe-Abkommen mit anderen Staaten zu erweitern oder Gespräche mit neuen Herkunftsstaaten aufzunehmen.

Kretschmann sieht keinen Gewinn in Ankunftszentren

Allerdings hat Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) Zweifel, ob solche nationalen Ankunftszentren hilfreich sein könnten. "Ich kann nicht erkennen, wo da jetzt ein Gewinn ist, jedenfalls nicht spontan", sagte der Regierungschef. Alle Verfahrensschritte wie eine erkennungsdienstliche Behandlung oder Registrierung würden bereits in den Landesankunftszentren wie etwa in Heidelberg stattfinden. Dabei kämen fünf von sechs Geflüchteten aus der Ukraine und blieben nicht in den Zentren, sondern erhielten ohnehin sofort einen Aufenthaltstitel, sagte Kretschmann.

Geflüchtete sollen für Tätigkeit im öffentlichen Interesse verpflichtet werden

Vor dem Hintergrund des massiven Fachkräftemangels muss aus Sicht der Kommunen zudem Druck auf Geflüchtete gemacht werden, die arbeiten oder sich gemeinnützlich engagieren können. Erwerbsfähige Geflüchtete, die keine Arbeitsstelle erhalten, sollten grundsätzlich verpflichtet werden, "einer Tätigkeit im öffentlichen Interesse" nachzugehen, zum Beispiel im Alten- und Pflegebereich und verbunden mit einem Sprachkurs. "Die Ausübung derartiger Tätigkeiten kann eine gute Basis für eine anschließende Berufsausbildung oder Berufstätigkeit und damit für eine gelingende Integration sein", argumentieren die Verbände.

 Mehr Wohnungen und Kitaplätze nötig - bürokratische Verfahren vereinfachen

Außerdem seien zusätzliche Wohnungen, mehr Kitaplätze und bessere Schulversorgung nötig - die Kreise, Städte und Gemeinden sehen sich vom Personalmangel noch zusätzlich ausgebremst. "Der massive Fach- und Arbeitskräftemangel schlägt hier voll durch, und zwar in allen Bereichen - von den Ausländerbehörden über die Jugendämter bis zur Verwaltung von Immobilien", beklagen die Verbände in der Erklärung. Standards müssten gesenkt, bürokratische Verfahren vereinfacht werden. Als Beispiele nennen die Verbände die Anforderungen an die Unterbringung von älteren unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen, die Abrechnung von Flüchtlingskosten und die Dokumentationspflicht.

Das Dilemma zwischen der humanitären Pflicht und dem faktisch Möglichen werde immer größer, heißt es warnend in der Erklärung. Selbst die in großer Zahl zusätzlich geschaffenen Kapazitäten seien nahezu und fast überall erschöpft, Mitarbeiter am Rande ihrer Leistungskraft, Kitas und Schulen überlastet. "Die Gefahr, dass sich die Akzeptanz für Migration in der Gesellschaft merklich verschlechtern wird, ist leider reell", warnen die Kreise und Kommunen.

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