Getrieben werden die Infektionen nach Angaben von Ärztinnen und Ärzten vom sogenannten "Respiratorischen Synzytial-Virus", kurz RS-Virus. Es handelt sich um eine Atemwegserkrankung, an der auch Erwachsene schwer erkranken können. Sie sei aber besonders für Frühgeborene, Säuglinge und Kleinkinder gefährlich, hieß es auf einem digitalen Fachtreffen von Kinderärztinnen und -ärzten, zu dem Landesgesundheitsminister Manfred Lucha (Grüne) am Donnerstag eingeladen hatte.
Corona hat zu Infektionen beigetragen
Kinder waren laut Gesundheitsministerium in den letzten zwei Jahren in ihrer Umgebung pandemiebedingt stärker geschützt. Sie konnten daher nicht die normale und wichtige Entwicklung ihrer Immunabwehr durchlaufen. "Jetzt treffen die Keime auf ungeübte Immunsysteme", sagte Oliver Heinzel, Oberarzt am Universitätsklinikum Tübingen. "Die Kinder können ausgesprochen schwere Lungenentzündungen bekommen. Problematisch ist besonders, dass jetzt zwei Jahrgänge von Kindern aufeinandertreffen, die die Infektion noch nicht durchlaufen haben", ergänzte Gesundheitsminister Lucha.
"Unsere Kinderkliniken stehen mitten in einer großen Welle von Virus-Infektionen bei sehr kleinen Kindern. Wir müssen alles tun, um einen Kollaps des Systems zu verhindern."
Plätze in Kinderkliniken werden knapp
Die Kinderkliniken stünden vor einem echten Versorgungsengpass, sagte Christian von Schnakenburg, Chefarzt der Klinik für Kinder und Jugendliche am Klinikum Esslingen und Landesvorsitzender des Verbandes Leitender Kinder- und Jugendärzte und Kinderchirurgen Deutschlands bei dem Treffen. Kinderarzt Thomas Kauth aus Ludwigsburg, der den Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte und die Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg auf dem Gipfel vertrat, stimmte zu: "Ungewöhnlich viele Kleinkinder müssen wegen starker Atemnot in Kinderkliniken eingewiesen werden. In den Praxen kommt es zu einem Anstieg auf 160 bis 180 Prozent der schon vor Corona sehr hohen Fallzahlen der infektkranken Kinder."
Verband schlägt Alarm Kliniken in BW: Atemwegserkrankungen bei Kindern nehmen zu
Die Zahl der wegen Atemwegsinfekten stationär aufgenommenen Kinder sei ungewöhnlich, berichten Ärzte. Kinderkliniken im Land bereiten sich auf steigende Patientenzahlen vor.
Hilfe kann schwierig werden
Die Hospitalisierungszahlen für RSV haben laut dem Ärztlichen Leiter der Kindernotaufnahme vom Klinikum Stuttgart, Friedrich Reichert, in eineinhalb Monaten schon die Zahlen überschritten, die man sonst über fünf Monate erreicht. Wenn zu dieser Infekt-Welle noch eine Influenza-Welle hinzukäme, würde die Pädiatrie garantiert überlastet werden. "Auch jetzt schon gibt es Phasen, in denen die Notfallversorgung von Kindern stellenweise nicht mehr adäquat gewährleistet werden kann", sagte Reichert. Die gleiche Lage zeichne sich bei den niedergelassenen Kinder- und Jugendärztinnen und -ärzten ab.
Ministerium sieht dringenden Handlungsbedarf
Aus Sicht des baden-württembergischen Landesministeriums für Soziales, Gesundheit und Integration besteht akuter Handlungsbedarf. Bei dem Fachgipfel wurden die akuten Probleme der Medizinerinnen und Mediziner intensiv diskutiert und mögliche Wege aus der Krise erörtert. Das Land Baden-Württemberg unterstützt die Versorgung mit den im Land vorhandenen Mitteln. So wird beispielsweise kurzfristig geprüft, welche automatisierten elektronischen Meldesysteme genutzt werden können, um die Kliniken bei der Patientenverteilung zu unterstützen. Daneben wird es eine gemeinsame Empfehlung der Expertinnen und Experten an die Bundesregierung zur Stärkung der medizinischen Versorgung von Kindern und Jugendlichen geben.