Einen Stall, wo seine aktuell 500 bis 600 Schafe den Winter verbringen, gibt es bei Sven Svensson in Baden-Baden nicht. Gemeinsam mit seiner Kollegin und Geschäftspartnerin Leona Sakowski gehören beide zu den wenigen Wanderschäfern in Baden-Württemberg, die ihre Schafe das ganze Jahr über draußen auf der Weide halten. Ganz im Sinne der traditionellen Hüteschäferei, so wie sie schon der Vater von Sven Svensson ausgeübt hat.
Nur noch höchstens 15 der rund 110 hauptberuflichen Wanderschäfer in Baden-Württemberg halten ihre Tiere ganzjährig draußen, so Alfons Gimber vom Landesschafzuchtverband.

Schafe ziehen mit Wanderschäfer von Weide zu Weide
Als "moderne Wanderschäfer" übernachten Sven Svensson und Leona Sakowski allerdings nicht bei ihrer Herde auf der Weide. Sie schlafen ganz normal zu Hause, während ihre Schafe die Nacht über eingepfercht auf der Weide verbringen. Nach ein paar Tagen ist die Weide abgefressen und die Schafe finden nicht mehr genügend Futter. Dann ist es Zeit für einen Wechsel. Trotz aller Routine ist bei Sven Svensson an solchen Tagen vor dem Umzug immer auch eine gewisse Anspannung dabei. Wie kommen rund 500 Schafe von einer Weide zur anderen?
Das ist immer ein bisschen aufregend. Aber das legt sich dann gleich, wenn wir losgelaufen sind. Und wir freuen uns, es geht jetzt in ein schönes Wiesental.







So ein Umzug muss gut geplant sein, dafür braucht es auch einige Helfer. Denn die Strecke führt mitten durch den Autoverkehr über die Bundesstrasse 3 und muss entsprechend abgesichert sein. Leona führt die Herde vorne an, Sven sichert hinten mit den Hunden ab. Rund zwei Kilometer lang ist die Strecke, es geht über zwei Ampelkreuzungen und durch eine Unterführung.
B3 bei Bühl: Schafe umzingeln die Autos
Die Hütehunde halten die Schafe in Schach und die Schäfer müssen aufpassen, dass kein Tier unter die Räder kommt, als es mitten durch die Autos geht. Was früher für viele Menschen ein gewohntes Bild war, hat heute Seltenheitswert: Eine große Schafherde, die im Trabschritt zwischen den Autos hindurch mitten durch die Stadt läuft. Das Ziel: Die weitläufigen Wiesen vor Bühl-Ritterbach. Dort angekommen, verteilen sich die Schafe sofort auf der Weide und beginnen zu fressen.
Die kümmern sich jetzt erst mal um sich selbst und fressen, damit sie was in ihren Pansen bekommen.
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Umzug ist Stress für Lämmer und Mütter
Seit drei Wochen ist "Lammzeit". Täglich kommen in der Herde neue Lämmer auf die Welt. 200 Lämmer sind allein in den vergangenen drei Wochen geboren worden, viele davon sind Zwillinge. Das bedeutet für die Schäfer einiges an Mehrarbeit und Stress. Denn die Mutterschafe und ihre Lämmer brauchen viel Aufmerksamkeit: Sind sie gesund oder krank, gibt es Verletzungen? Außerdem müssen die Schäfer darauf achten, dass die richtigen "Familien" zusammenfinden. Und beim Weidenwechsel sind die Tiere in der Regel nicht dabei.
In unserer Schafherde gibt es sehr viele Zwillingsgeburten. Da müssen wir morgens erst mal die Lämmer mit den richtigen Müttern zusammenbringen.
Sind Mütter und Baby-Schafe wohlauf, werden sie vom Rest der Herde getrennt und auf eine andere Weide im Schutzgebiet Waldhägenich ganz in der Nähe gebracht. "So ersparen wir den Müttern und den Kleinen den Stress mit dem Umzug. Und wir handhaben das so, weil es uns auch die Arbeit erleichtert, wenn wir auf eine neue Weide umziehen", erklärt Schäfer-Meisterin Leona Sakowski, die später einmal die Schäferei von ihrem Geschäftspartner Sven Svensson übernehmen will. Für den Fall, dass es Verletzungen oder kranke Schafe oder Lämmer gibt, bringt der Schäfer die Tiere nach Hause in einen Stall, wo sie versorgt werden und sich erholen können.
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Weideflächen und Triebwege fehlen
Ein großes Problem der Wanderschäfer: die fortschreitende Zersiedelung der Landschaft. Gewerbegebiete wachsen, Straßen werden gebaut und offene Weideflächen werden immer weniger, beklagt Schäfer Svensson. "Zwischen Baden-Baden und Bühl haben sich die Gewerbegebiete immer weiter ausgedehnt. Früher gab es noch viele Wanderschäfer, die vom Schwarzwald, von der Alb oder sogar von Bayern bis in die Pfalz gelaufen sind. Heute kommen kaum noch Schäfer", erzählt Svensson. Als Wanderschäfer sei er auf offene Triebwege und ausreichende Weideflächen angewiesen.
Reich werden kann man als Wanderschäfer nicht, so Svensson: Sein Einkommen bestreitet er zum Teil über den Verkauf von Lammfleisch an Gastronomie und Handel. Doch bei der Schafwolle "ist nicht mehr viel zu erlösen", so der Schäfer. Dazu komme der Direktverkauf ab Hof. "Aber wir verkaufen nur halbe Tiere, sonst lohnt es sich nicht. Doch damit sind viele Familien heute auch überfordert", weiß der 64-Jährige.
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Schafe sind Landschaftspfleger
Deshalb kommt den Wanderschäfern mit ihren Schafen eine ganz besondere Rolle zu: die Landschaftspflege. Bei dieser traditionellen Hüteschäferei mit häufigem Wechsel der Weiden sorgen die Schafe dafür, dass die Flächen nicht verbuschen und halten somit die Kulturlandschaft offen. Auch die Artenvielfalt profitiert, die Schafbeweidung ist deshalb auch aus Sicht des Naturschutzes unverzichtbar, so der NABU Baden-Württemberg.
Für die Landschaftspflege erhalten die Schäfer deshalb finanzielle Zuschüsse vom Land Baden-Württemberg, die inzwischen unverzichtbar sind. Diese Gelder machen im Betrieb Svensson einen großen Teil der Gesamteinkünfte aus. "Ohne diese Fördermittel könnten wir Wanderschäfer nicht mehr existieren", resümiert Svensson.