Der 23. Februar 1945 – der dunkelste Tag in der Geschichte Pforzheims. Bei einem 20-minütigen Angriff britischer Bomber versinkt ein Großteil der Stadt in Schutt und Asche. Fast 18.000 Menschen sterben im Bombenhagel und im darauf folgenden Feuersturm – fast jeder vierte Bewohner der Stadt. Zu den wenigen noch lebenden Zeitzeugen, die von dem Großangriff berichten können, gehören die 86-jährige Ellen Eberle und der 91-jährige Heinz Geier.
Zeitzeugen erzählen:
- Heinz Geier erlebte Bombardierung als 12-Jähriger
- Ellen Eberle überlebte mit 45 Menschen im Schutzbunker
Bombardierung Pforzheim: Heinz Geier überlebte Angriff mit Familie
Heinz Geier war damals 12 Jahre alt, der älteste von fünf Brüdern. Die Familie wohnte zusammen mit den Großeltern in einer Doppelhaushälfte auf dem Wartberg. Am Morgen des 23. Februar 1945 ging Heinz noch wie gewohnt zur Schule, sah erste Tiefflieger über Pforzheim. Immer wieder gab es an diesem Tag Fliegeralarm. Nach zwei Stunden Schulunterricht wurden die Kinder nach Hause geschickt.

Daheim saß die Familie abends im abgedunkelten Wohnzimmer, als das Licht anfing zu flackern. Heinz Geier wusste: Gleich heulen die Sirenen wieder los – und so kam es auch. Die fünf Brüder, ihre Mutter und die Großeltern packten ihre Notfallrucksäcke und eilten in den Luftschutzkeller, wo sie sich auf Holzpritschen niederließen.
Todesangst im Luftschutzkeller am 23. Februar 1945
Mein Opa schaute zum Himmel und sagte: Heute gilt es uns! Über Brötzingen haben sie "Christbäume" gesetzt.
Sein Großvater stieß etwas später dazu und berichtet über "Christbäume", die er über der Stadt gesehen hat. So wurden im Volksmund die Leuchtkörper genannt, mit denen die Flieger nachts ihr Zielgebiet markierten. Bald folgten die ersten Detonationen. Diese rückten immer näher, wurden immer lauter. Heinz Geier erinnert sich an heftige Detonationen und ein immer lauter und bedrohlicher werdendes Pfeifen und Rauschen. Mutter, Brüder und Großeltern schmiegten sich in Todesangst eng aneinander. "Wir haben nicht geglaubt, dass wir das überleben", erzählt der 92-Jährige.
Meine Oma hat ein Gebet nach dem anderen gesprochen, meine kleinen Brüder fingen an zu weinen, wir hatten alle furchtbare Angst. Das kann man gar niemandem erklären.

Gewaltige Druckwelle durch Feuersturm
Die vom Feuersturm verursachte Druckwelle war so gewaltig, dass alle Fenster zerbarsten, auf dem Dach fegte es alle Ziegel weg. Überall lagen Glassplitter, das Licht ging aus. Das Wohngebäude blieb von den Bomben glücklicherweise verschont. Als die Familie nach der Entwarnung den Keller verließ, sahen sie von der Wohnung des Opas aus auf die lichterloh brennende Stadt. Von der Nordstadtschule stürzten glühende Fassadenteile auf die Straße.
Erstmals keine Demo der linken Szene Bombardierung von Pforzheim vor 80 Jahren: Gedenktag verläuft friedlich
Pforzheim hat am Sonntag der Zerstörung der Stadt vor 80 Jahren gedacht. An Friedensmärschen nahmen mehrere hundert Menschen teil. Rechtsextreme hielten eine "Fackelmahnwache" ab.
Nach der Bombardierung: Überall Trümmer und Leichen in Pforzheim
"Ich sah Frauen mit angesengten Haaren und rußgeschwärzten Gesichtern mit schreienden Kindern an der Hand, die versuchten, aus der Stadt zu fliehen", erinnert sich Geier. Drei Tage und Nächte lang wüteten die Brände. Die einst blühende Stadt – nur noch ein einziges Trümmermeer. Eine Tante, die das Inferno in der Innenstadt überlebte, erzählte später, dass von den 15 Menschen in ihrem Luftschutzkeller 13 verbrannt seien. Nur sie und eine weitere Frau hätten sich getraut, ins Freie zu flüchten. Zwischen den Trümmern habe sie unzählige verkohlte und bis auf Kindergröße zusammengeschrumpfte Leichen gesehen.
Es gab nichts mehr – keine Schulen, keine Läden, keine Ämter.
Am Tag darauf machte sich Heinz' Mutter mit dem Opa auf, um ihre Schwester zu suchen. Sie fanden sie im Keller ihres Hauses zusammen mit den anderen Bewohnern. Alle erstickt. "Sie saßen da, als ob sie schliefen", erzählte ihm die Mutter damals. Mit einem Handkarren schafften sie die Leiche der Tante auf den Hauptfriedhof, um sie dort selbst zu beerdigen. Sie sollte nicht in einem Massengrab verscharrt werden.

Auf Suche nach Essbarem beinahe erschossen
Die Familie versuchte, irgendwie zu überleben. Auch Heinz wurde mit dem Fahrrad losgeschickt, um etwas Essbares aufzutreiben. Bei einer dieser Fahrten entging er nur knapp dem Angriff von Tieffliegern. Tage nach dem Angriff wurde die Familie evakuiert und kam bei einem Kleinbauern in der Nähe von Backnang unter. Nach acht Tagen holte sie der Vater nach Thüringen, wo er zu der Zeit arbeitete. Es sollten Monate vergehen, bis Heinz Geier wieder in die Trümmerstadt Pforzheim zurückkehrte.
Ellen Eberle überlebte mit Mutter und Oma in einem Bunker in Pforzheim
Auch Ellen Eberle überlebte die Feuerhölle des 23. Februar nur, weil sie sich zu diesem Zeitpunkt in der Nordstadt aufhielt, die vom Bombardement weitgehend verschont blieb. Mit ihrer Mutter und der Oma war sie kurz zuvor in einem Hotel in Dobel untergebracht worden. Der Vater war bereits 1941 in Russland gefallen. Am Tag des Angriffs war die Beerdigung eines Onkels, der von Tieffliegern erschossen worden war. Deswegen kamen die beiden Frauen mit der damals sechsjährigen Ellen zurück in die Stadt. Nach der Trauerfeier wurden sie von Soldaten vor einem bevorstehenden Luftangriff gewarnt.

Schicksalsgemeinschaft im Bunker: 45 Menschen in Todesangst vereint
Zu dritt eilten sie zu einem Luftschutzbunker in der Heinrich-Wieland-Allee in der Pforzheimer Nordstadt, der erst kurz zuvor zugänglich gemacht worden war und noch über keine Belüftung verfügte. Auch Ellen erinnert sich an die "Christbäume", die sie auf dem Weg zum Bunker über der Stadt leuchten sah. Im Bunker trafen sie auf 40 bis 45 weitere Menschen, überwiegend Frauen, dicht gedrängt auf Bierbänken. Eine der Frauen betete laut den Rosenkranz, bis Ellens Mutter sie bat, leiser zu sein.
Da sagte meine Mutter zu der Frau: Beten Sie doch leiser, Sie nehmen uns den Sauerstoff weg!
Ellen Eberle erinnert sich, wie sie sich in Todesangst eng an ihre Mutter schmiegte. Alle hofften, erzählt sie, dass keine Bombe vor den Eingang fällt und sie im Keller unter Trümmern lebendig begraben werden. Immer wieder schaute ein Soldat herein und warnte: "Bleibt hier drin! Es ist furchtbar da draußen!" Eineinhalb Stunden harrte die Schicksalsgemeinschaft in dem Bunker aus.
Angst, Angst, nur Angst! Ich habe bis heute ein Trauma. Noch Jahre später, wenn Tiefflieger über Pforzheim flogen oder wenn es Probealarm gab, habe ich das Zittern gekriegt.

Rückkehr in die Trümmerstadt Pforzheim
Als Ellen nach dem Bombardement ins Freie trat, blickte sie auf ein brennendes Inferno. Ihre Heimatstadt – in Schutt und Asche gelegt von Tausenden von Spreng- und Brandbomben und einem verheerenden Feuersturm. Zwei Drittel der Stadt waren zerstört, darunter die komplette Innenstadt. Mindestens 17.600 Menschen fanden den Tod – etwa ein Viertel der damaligen Bevölkerung.
Gleich am folgenden Tag fuhr die Familie wieder in ihr Ausweichquartier nach Dobel. Erst Ende des Jahres kehrte sie wieder nach Pforzheim zurück. Ihr Wohnhaus in der Nordstadt blieb unzerstört. Ellen Eberle hat noch immer die zahllosen Trümmerhaufen vor Augen, auf denen Holzkreuze standen mit den Namen von Verschütteten oder Vermissten.
Bombennacht prägt das ganze Leben der Pforzheimerin
Die Geschehnisse des 23. Februar 1945 haben die ehemalige Kriminalbeamtin nachhaltig geprägt. Zeitlebens hat sie sich für das Gedenken an diesen Tag eingesetzt, sich gegen den "braunen Sumpf" engagiert, den die Stadt nie ganz losbekommen habe, hat die "Initiative gegen Rechts" mitbegründet, saß mehr als 40 Jahre für die SPD im Gemeinderat. Aus gesundheitlichen Gründen könne sie dieses Jahr nicht mehr an den Gedenkfeiern teilnehmen, bedauert die 86-Jährige. Aber am Abend, sagt sie, werde sie wie jedes Jahr eine Kerze ins Fenster stellen.