Letzte Generation blockiert Straße in Stuttgart (Foto: dpa Bildfunk, picture alliance/dpa | Christian Johner)

Klimaproteste

Was sagt das Strafrecht?

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Frank Bräutigam
Michael Nordhardt
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Fabian Töpel

Aktivisten der "letzten Generation" kleben sich auf Straßen und werfen Kartoffelbrei und Suppe auf Kunstwerke. Was sagt das Strafrecht dazu?

Um für den Klimaschutz zu protestieren, kleben sich Aktivistinnen und Aktivisten der "letzten Generation" auf Straßen oder an Autobahnschilder und sorgen vielerorts in Deutschland für Stau. In Berlin könnten sie Anfang November mit so einer Aktion einen Rettungseinsatz der Feuerwehr verzögert haben. Schnell stand der Vorwurf im Raum, dass deshalb einer mittlerweile verstorbenen Frau nicht rechtzeitig geholfen werden konnte. Die Fahrradfahrerin war einige Kilometer entfernt von einem Betonmischer erfasst und darunter eingeklemmt worden. Es ist ausdrücklich nicht geklärt, ob dieser Vorwurf zutrifft.

Neben den Blockaden erregen die Protestierenden verstärkt auch mit anderen Aktionen Aufmerksamkeit: Sie beschmieren Parteizentralen mit Farbe und Kunstwerke in Museen mit Lebensmitteln wie Kartoffelbrei oder Suppe.

Viele Aktivistinnen und Aktivisten verstehen ihre Aktionen als „zivilen Ungehorsam“. Dazu muss man wissen: Der Begriff "ziviler Ungehorsam" führt nicht etwa automatisch dazu, dass eine Aktion straflos ist. Wie könnten sich Aktivistinnen und Aktivisten strafbar gemacht haben? Wichtig ist, dass es für eine Strafbarkeit immer auf die Umstände des konkreten Falles ankommt. Mit pauschalen Bewertungen und Aussagen sollte man daher zurückhaltend sein.

Fahrlässige Tötung?

Können die Aktivisten in Berlin womöglich mit Schuld am Tod der Radfahrerin sein? Nach Paragraf 222 Strafgesetzbuch (StGB) macht sich strafbar, wer durch Fahrlässigkeit den Tod eines Menschen verursacht. Möglich ist eine fahrlässige Tötung im Prinzip auch dann, wenn man die Radfahrerin nicht selbst angefahren hat. Aber: Es ist keinesfalls ein Automatismus. Voraussetzung wäre unter anderem: Man müsste nachweisen, dass die Protestierenden mit ihrer Aktion den Rettungseinsatz verzögert haben und dass die Frau verstorben ist, weil die Feuerwehr mit ihrem Spezialgerät nicht schnell genug bei ihr war. Man muss den Tod also, vereinfacht gesagt, den Aktivisten wirklich zurechnen können. Entscheidend dafür sind die genauen Umstände des Falles, die noch genau ermittelt werden müssen.

Behinderung von hilfeleistenden Personen?

Im Strafgesetzbuch ist auch die Behinderung von Helfern unter Strafe gestellt. Nach Paragraf 323 c Absatz 2 StGB wird bestraft, wer bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not eine Person behindert, die einem Dritten Hilfe leistet oder Hilfe leisten will. Diese Vorschrift gibt es erst seit wenigen Jahren. Sie verfolgt das Ziel, dass hilfsbereite Personen ungestört helfen können, egal ob es private Ersthelfer oder Rettungskräfte sind.

Baden-Württemberg

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Ein Verstoß gegen diese Vorschrift steht bei Blockadeaktionen der Aktivisten im Raum. Entscheidend ist auch hier, was genau sich vor Ort zugetragen hat. Ein weiterer Knackpunkt kann dann noch sein, ob die Aktivisten den nötigen Vorsatz hatten. Haben sie es also zumindest billigend in Kauf genommen, dass sie Personen behindern, die helfen wollen?

Gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr?

Die Aktivistinnen und Aktivisten könnten auch wegen gefährlicher Eingriffe in den Straßenverkehr strafbar sein (Paragraf 315 b StGB). Die Vorschrift erfasst "verkehrsfremde" Eingriffe, die „von außen“ auf den Verkehr einwirken, nicht aus dem Verkehr heraus. Das Argument wäre dann: Die Protestierenden machen sich zu menschlichen Hindernissen und beeinträchtigen so den fließenden Straßenverkehr. Voraussetzung ist, dass durch das Hindernisbereiten "Leib oder Leben eines anderen Menschen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert" gefährdet werden – zumindest fahrlässig. Ob das so ist, muss im Einzelfall geprüft werden. Nur wenn ja, ist eine Verurteilung denkbar.      

Nötigung?

An den Berliner Gerichten und anderswo ist es wegen Straßenblockaden in den vergangenen Monaten bereits zu Verurteilungen wegen Nötigung gekommen (§ 240 StGB). Nötigung bedeutet rechtlich: Das Erzwingen eines Tuns oder Unterlassens gegen den Willen des Opfers, etwa durch Gewalt. Das bloße Dasein von Demonstrierenden auf der Fahrbahn blockiert zwar das erste Auto, ist rechtlich aber noch keine Gewalt.

Die Gerichte sagen aber seit Langem: Das erste Auto, das anhalten muss, blockiert alle weiteren Autos dahinter und ihre Fahrerinnen und Fahrer. Dazu kann auch die Feuerwehr im konkreten Fall gehören. Für eine Strafbarkeit reicht das aber noch nicht aus. Die Gerichte müssen ausdrücklich eine Abwägung von Mittel und Zweck treffen und dabei etwa das Grundrecht der Versammlungsfreiheit berücksichtigen. Außerdem geht es um Faktoren wie Dauer und Intensität der Blockade. Es kommt also auch hier auf die Umstände im konkreten Fall an. Das Amtsgericht Freiburg hat vor kurzem einen Aktivisten freigesprochen, weil es seine Straßenblockade nicht als "verwerflich" angesehen hat. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Es lässt sich daraus auch keine allgemeine Tendenz erkennen, dass die Gerichte bei solchen Aktionen keine strafbare Nötigung sehen. Mit Strafverfahren wegen Nötigung muss man bei Straßenblockaden auf jeden Fall rechnen. Es wäre wünschenswert, wenn es möglichst bald eine höchstrichterliche Klärung von typischen aktuellen Fällen gäbe.

Sachbeschädigung?

Mit Farbe gegen Parteizentralen oder mit Lebensmitteln wie Kartoffelbrei und Suppe gegen Kunstwerke im Museum: Nach dieser Form des Protests wird in aller Regel wegen Sachbeschädigung oder sogar gemeinschädlicher Sachbeschädigung ermittelt (Paragrafen 303 und 304 StGB). Darunter versteht das Gesetz: eine fremde Sache bzw. Gegenstände der Kunst rechtswidrig zu beschädigen oder zu zerstören. Oder ihr Erscheinungsbild unbefugt zu verändern – nicht nur unerheblich und nicht nur vorübergehend.

Bei den Angriffen mit Farbe liegen Sachbeschädigungen damit wohl nahe, wenn die Farbe nicht oder nur schwer abgewischt werden kann. Bei Attacken mit Lebensmitteln dürfte es darum gehen, ob sie an den Kunstwerken eine Substanzveränderung bewirken. In diesem Zusammenhang werden wohl Fragen relevant, wie: War das Objekt – zum Beispiel durch Glas – geschützt oder nicht? Führt die Verschmutzung etwa zu einem Verblassen der Farbe? Oder: Würde das Kunstwerk unausweichlich beschädigt, wenn man die Verschmutzung entfernte? Das Oberlandesgericht Celle hat kürzlich entschieden, dass eine Sachbeschädigung von Klimaaktivisten im konkreten Fall (Wandfarbe am Gebäude einer Universität) nicht durch „Notstand“ oder "zivilen Ungehorsam" gerechtfertigt werden konnte (Az. 2 Ss 91/22). Diese Frage wird die Justiz weiter beschäftigen.     

Wovon hängt die Strafhöhe ab?

Für jedes der beschriebenen Delikte bestimmt das Strafgesetzbuch einen Strafrahmen, in dem sich die Strafhöhe bewegen kann. Die fahrlässige Tötung etwa wird "mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe" bestraft, die Nötigung "mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe", Behindern von hilfeleistenden Personen mit "Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe". Um zu bestimmen, welche Strafe im Einzelfall angemessen ist, prüfen die Gerichte zum Beispiel: Hat sich jemand zum ersten Mal strafbar gemacht, oder ist es ein Wiederholungstäter? Was spricht darüber hinaus für, und was gegen ihn oder sie?

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