Vor einer Woche hat der Krieg in der Ukraine angefangen, wie geht es Ihnen heute?
Daniel Kosinski: Sehr durchmischt. Ich bin sehr zornig. Ich bin sehr traurig, ab und zu sehr den Tränen nahe. Die Informationslage ist wirklich sehr düster und ungemütlich und das Thema ist omnipräsent. Man schafft es nicht mehr, einen kurzen Moment für sich zu finden. Und das macht mich auf gut Deutsch fertig.
Ein Großteil Ihrer Familie lebt in Lwiw, wie haben sie die vergangene Woche erlebt?
Daniel Kosinski: Sehr von Ungewissheit geplagt. Es gibt immer wieder Luftalarm. Es gibt keine Schutzbunker, weil beispielsweise keine U-Bahn existiert. Wenn ich dort angerufen habe, waren immer wieder Sirenen im Hintergrund zu hören. Dementsprechend fühle ich mich auch hier durch die Ungewissheit und Hilflosigkeit in die Enge getrieben. Vor zwei Wochen hätte ich mir nicht vorstellen können, dass es wirklich so weit kommen würde.

Können Sie zwischendurch überhaupt abschalten?
Daniel Kosinski: Nein, das klappt leider gar nicht. Außerdem ist da auch noch meine Mama hier in Deutschland, die eine etwas andere Meinung hat als ich. Und sie schickt dann auch immer wieder Informationen durch, die leider sehr einseitig pro-russisch sind. Das liegt einfach daran, dass sie Kontakte in Russland hat und das ist dann dementsprechend eine sehr einseitige Sichtweise.
"Ich mache mir große Sorgen um die Zukunft der Ukraine. Die meisten müssen wieder bei Null anfangen."
Meine Mama hat noch diese romantische Vorstellung der UdSSR, die sie als Kind erlebt hat. Das ist nicht das, was aktuell die Realität ist. Die Ukraine ist anders. Das Volk hat sich sehr gewandelt in den letzten Jahren. Das ist der Konflikt zwischen meiner Mama und mir, der dazu führt, dass wir uns immer wieder in die Haare bekommen.
Wie versuchen Sie das für sich zu sortieren? Sie werden mit beiden Seiten konfrontiert und müssen damit irgendwie klarkommen.
Daniel Kosinski: "Sortieren" ist ein gutes Stichwort. Ehrlich gesagt verbringe ich sehr viel Zeit damit, genügend Informationen zu bekommen, die hoffentlich neutral genug sind, um Dinge überhaupt ordnen zu können. Das schlaucht extrem.
Haben Sie persönlich in den vergangenen Tagen in Betracht gezogen, in die Ukraine zu reisen und sich sogar am Kriegsgeschehen zu beteiligen?
Daniel Kosinski: Oh ja, da sagen Sie was. Das habe ich! Aber mich hält zu viel hier, meine Freundin, meine Familie. Das hält mich davon ab, in die Ukraine zu reisen. Mein Kopf sagt auf der einen Seite, geh dort hin, aber mein Herz sagt, dass ich damit zu viele Menschen in Angst versetzen würde und das will ich nicht.
Warum haben Sie überhaupt in Betracht gezogen dorthin zu gehen?
Daniel Kosinski: Die Ukraine hat sich in den letzten Jahren emanzipiert und das ukrainische Volk hat einen gewissen Geist entwickelt, "ein Volk" zu sein. Diesen Geist gab es eine sehr lange Zeit nicht. Wir haben inzwischen eine eigene Sprache und wir sind stolz darauf. Und das würde mich dahin ziehen, weil irgendwo im Herzen bin ich natürlich Ukrainer. Für meine Familie in der Ukraine hätte ich es getan.

Wie erleben Ihre Angehörigen aktuell die Situation?
Daniel Kosinski: Sie haben alle die Koffer gepackt und die wichtigen Dokumente zusammengelegt. Es steht alles im Flurbereich, und sie warten darauf, ob es jetzt einen Angriff geben wird oder nicht. Ich denke mal, wenn der Krieg noch näher kommt, dann wird ein Teil versuchen zu fliehen. Ein Teil meiner Familie will aber dort bleiben und die Stadt verteidigen - als Zivilisten. Milizen werden gerade aufgebaut. Egal, was kommt, sie wollen diese Stadt verteidigen. Lemberg ist auch ein großes Kulturgut. Das darf nicht zerstört werden.
"Das, was gerade passiert, geht die ganze Welt an. Das verändert die gesamte Weltgemeinschaft auf lange Sicht."
Was ist aktuell Ihre Hoffnung oder Ihr Wunsch?
Daniel Kosinski: Gerade weiß ich nicht, ob ich einen Wunsch habe, um ehrlich zu sein. Das liegt insbesondere daran, dass die Situation so chaotisch ist. Es gibt keine Richtung. Man weiß auch gar nicht, was morgen oder was in einer Stunde passieren wird. Ich glaube, den Wunsch, den jeder aktuell hat, dass die Leute einfach die Waffen niederlegen.
Die Leute müssen anfangen, das komplette Bild zu betrachten und was alles in den vergangenen Tagen in der ganzen Welt bewegt wurde. Vielleicht gibt das einen Denkanstoß, der dafür sorgt, dass die Waffen niedergelegt werden. Und dass man dann vielleicht richtige Verhandlungen startet, anstatt jetzt wirklich so einen Krieg zu führen.