Erlebnisse eines Kommandanten beim Einsatz

Nach Hauseinsturz in Stutensee: Feuerwehrmann und Notfallseelsorger berichtet

Stand
Autor/in
Johannes Köhler
SWR-Reporter steht in Großraumbüro

Beim Einsturz eines Hauses in Stutensee-Spöck wurde ein Mann unter den Trümmern eingeklemmt. Der 73-Jährige starb kurz nach seiner Rettung. Wie geht es Rettungskräften nach dem Einsatz?

Feuerwehrmann Daniel Paulus war nach dem Einsturz eines Einfamilienhauses in Stutensee (Landkreis Karlsruhe) am vergangenen Montag als einer der ersten am Unglücksort. Ein 73-Jähriger wurde nach einer Explosion verschüttet. Nach stundenlangem Einsatz gelang es den Einsatzkräften, den Mann zu befreien. Er erlag aber wenig später seinen Verletzungen.

Paulus ist seit zwei Jahren Abteilungskommandant bei der Freiwilligen Feuerwehr in Stutensee-Spöck. Im Hauptberuf ist der Religionspädagoge Leiter der Karlsruher Notfallseelsorge. Sie steht Menschen in akuten Krisensituationen seelsorgerisch bei. Im Interview mit dem SWR berichtet Paulus, wie er den Großeinsatz nach dem Einsturz des Hauses erlebt hat und wie ihm sein Beruf als Notfallseelsorger bei der Verarbeitung hilft.

SWR Aktuell: Wie haben Sie die Lage vor Ort in Stutensee erlebt?

Daniel Paulus: Es war ein unfassbares Bild, mit dem man nicht gerechnet hat. Wir sind ja zunächst von einem Brand ausgegangen, und auf den ersten Blick lag da einfach ein Haus völlig in Trümmern. Für uns war die Ursache unklar. Wir müssen mit diesem Bild, mit dieser Lage erstmal umgehen und dann erkunden, beurteilen und den Entschluss fassen, wie wir das Thema angehen.

Dann schauen wir natürlich: Sind Menschenleben in Gefahr? Das ist der erste Blick. Es hat sich ja relativ schnell herausgestellt, dass noch jemand im Gebäude ist. Und es ist natürlich das allerhöchste Ziel, das Menschenleben, wenn es irgendwie geht, zu retten. Gleichzeitig hatten wir eine massive Gefährdung. Also eine Gefährdung der eigenen Einsatzkräfte, weil das Haus, so wie es sich uns dargestellt hat, ja schon eingestürzt war. Und eine ganz große Gefahr war die eines weiteren Einsturzes. Entweder nach außen, Richtung Straße, Nachbarschaft. Oder nach innen, was die verschüttete Person noch mehr betroffen hätte, beziehungsweise auch unsere eigenen Einsatzkräfte.

SWR aktuell: Was denken Sie in so einem Moment vor den Trümmern eines Hauses?

Daniel Paulus: Ich glaube, das kann ich eindeutig beantworten, als Feuerwehrmann, aber auch als Notfallseelsorger: Es ist ein Funktionieren. Auch bei Lagen, die wir nicht kennen. Es gibt vielleicht nur nicht die Routinen, jeder Einsatz ist einzigartig. Aber die Mechanismen, wie wir eine Erkundung vornehmen, die sind bei jedem Einsatz gleich, egal, ob da ein Mülleimer brennt oder etwas Schlimmeres passiert. Es ist ein Funktionieren. Das schützt auch vor eigenen Gedanken. Da macht man sich erstmal keine Gedanken, sondern versucht, diese Situation zu lösen.

Das ist gut für die Selbstwirksamkeit und die Resilienz der Einsatzkräfte, weil dieses Funktionieren einen selbst schützt. Das hängt auch mit verschiedenen Hormonspiegeln zusammen. Die Stresshormone legen sich mit der Zeit und dann kommt erst der Punkt, an dem man sich Gedanken macht. Das habe ich dieses Mal, als betroffene Einsatzkraft auch selbst gemerkt. Ein, zwei, drei Tage später bin ich selbst an dem Punkt, an dem ich viel darüber nachdenke.

Notfallseelsorger und Feuerwehrmann Daniel Paulus
Notfallseelsorger und Feuerwehrmann Daniel Paulus vor seinem Spind bei der Feuerwehr Spöck

SWR Aktuell: Wie gehen Sie persönlich mit den Gedanken nach einem Einsatz wie in Stutensee um?

Daniel Paulus: Ich lasse sie erstmal zu. Ich mache genau das, was ich anderen bisher auch geraten habe. Wir nennen das eine "Psycho-Edukation". Wenn ich als Einsatzkräftenachsorge bei Einsatzkräften bin, dann weisen wir darauf hin: Hey, da können Stressreaktionen kommen, das ist normal! Wenn Du jetzt gereizt bist, appetitlos, Dir viele Gedanken machst, vielleicht auch schlecht schläfst, solche Dinge, dann sind das normale Reaktionen auf ein nicht normales Ereignis.

Dadurch wird es greifbar. Viele Einsatzkräfte denken bei solchen potenziell krassen Einsätzen: "Vielleicht stimmt was mit mir nicht, warum geht es mir jetzt vielleicht gar nicht so gut?". Aber genau das ist eine normale Reaktion. Es gibt ein paar Sachen, von denen man weiß, die tun gut. Es tut gut, an der frischen Luft zu sein, mit Menschen zu reden, Sport zu machen. Die Dinge, die im Alltag gut tun, in anderen Stresssituationen, die tun natürlich auch bei besonderen Stresssituationen gut.

Bei Einsatzkräften ist dieses nicht normale Ereignis oft auf einem anderen Niveau. Wenn ein Angehöriger einen Menschen verliert, dann gehört es bei Einsatzkräften zur Tätigkeit, mit sowas zu rechnen. Dass aber ein Haus explodiert, ist nicht Alltag für die Feuerwehr, schon gar nicht für die Spöcker Feuerwehr.

Haus in Stutensee eingestürzt
Der 73-jährige Bewohner des Hauses konnte von den Rettungskräften befreit werden, starb aber wenig später an seinen Verletzungen. Bild in Detailansicht öffnen
Haus in Stutensee eingestürzt
Auch rund um das Haus wurde vieles beschädigt. Bild in Detailansicht öffnen
Haus in Stutensee eingestürzt
In den frühen Montagmorgenstunden ist in Stutensee-Spöck ein Haus eingestürzt. Bild in Detailansicht öffnen
Haus in Stutensee eingestürzt
Der 73-jährige Bewohner wurde von den Trümmern verschüttet. Bild in Detailansicht öffnen
Haus in Stutensee eingestürzt
Eine Explosion sorgte laut Polizei für den Einsturz des Hauses. Bild in Detailansicht öffnen

SWR Aktuell: Was haben Sie empfunden, als Sie die Gewissheit hatten, dass der Mann nicht überlebt hat?

Daniel Paulus: Man ist dann einfach nur frustriert. Da kommen dann schon die ersten ins Nachdenken. Als wir die Person befreit hatten, hat man gemerkt, dass eine riesige Anspannung zusammengebrochen ist. Man hat Einsatzkräfte auf dem Boden sitzen sehen. Diese Erschöpfung nach dieser Arbeit! Wir sind ja alle aus dem Schlaf gerissen worden. Ich habe fünf Minuten vorher noch geschlafen und fünf Minuten später war ich an der Einsatzstelle und andere auch. Dann haben wir konzentriert überlegt, wie wir helfen und retten können.

Die Anspannung ist gegen 12 Uhr von den Schultern gefallen, als die Person befreit war. Natürlich auch mit der Ungewissheit, wie es ausgegangen ist. Dann zeitnah zu hören, dass nur noch der Tod festgestellt werden konnte, beschäftigt uns alle. Vor allem, weil wir in den letzten ein, zwei Stunden wirklich Hoffnung hatten. Als wir angekommen sind, hat es verheerend ausgesehen, da hat man sich fast nicht getraut, noch zu hoffen. Als wir aber gemerkt haben, wir haben Kontakt zur Person, wir kommen vorwärts, da hätte ich noch damit gerechnet, dass wir es schaffen. Das ist das, was bleibt.

SWR Aktuell: Kann man bei dieser Tragik auch etwas Gutes aus dem Einsatz mitnehmen?

Daniel Paulus: Es ist in erster Linie ein furchtbarer Einsatz, bei dem wir um das Leben dieses Menschen gekämpft haben und wir diesen Kampf verloren haben. Es bleibt aber dieser starke Eindruck, dass über 120 Leute so engagiert, ausdauernd über viele Stunden hinweg um das Leben gekämpft haben. Wir haben einen guten Kampf gekämpft. Aber wir haben ihn verloren.

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