Juli 2012: Die Geiselnahme in Karlsruhe mit fünf Toten. Die Leichen der Verstorbenen werden abtransportiert. (Foto: picture-alliance / Reportdienste, picture alliance/dpa/Uli Deck)

Gewalttat mit fünf Toten

Zehn Jahre nach tödlicher Geiselnahme in Karlsruhe: Jetzt spricht der einzige Überlebende

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Markus Bender
Markus Bender, SWR (Foto: SWR)
Matthias Stauss
Ein Bild von Matthias Stauss (Foto: SWR)

2012 tötet ein Mann bei einer Zwangsräumung in Karlsruhe vier Menschen und sich selbst. Ein Opfer überlebt die Gewalttat und erzählt zum ersten Mal öffentlich seine Geschichte.

Es ist Mittwochmorgen, der 4. Juli 2012. Der Sozialarbeiter Thomas Wydolski trifft sich mit einem Gerichtsvollzieher und einem Schlosser in der Karlsruher Nordstadt. Ihre Aufgabe: Die Wohnung eines 53-Jährigen zwangsräumen. Ein neuer Eigentümer will dort einziehen. Es handelt sich um eine Dachgeschosswohnung in einem mehrstöckigen Wohnblock. Der Block ist umgeben von weiteren Wohnhäusern, einem Spielplatz und einer Schule.

Wohnungsräumung in Karlsruhe gerät plötzlich außer Kontrolle

Die drei Männer klingeln an der Tür und ahnen noch nicht, was ihnen gleich passieren wird. Der 53-jährige Bewohner öffnet die Tür, bittet die drei ins Wohnzimmer und holt plötzlich eine Waffe. Aus dem Routine-Einsatz wird für die drei Männer eine schreckliche Geiselnahme.

Thomas Wydolski erinnert sich noch genau an die Szenen, als er gefesselt auf dem Sofa sitzt. Weil sich der Schlosser gegen die Fesselung wehrt, schießt der 53-Jährige fünfmal auf ihn. Der Schlosser liegt stark blutend neben Thomas Wydolski und kämpft um sein Leben. Nur ein paar Meter entfernt steht der immer noch bewaffnete Täter.

In diesem Moment, sagt Thomas Wydolski, habe er keine Hoffnung mehr gehabt, dass das Ganze ein gutes Ende für ihn nehmen wird.

"Da war für mich eigentlich klar, es kann kommen."

Wie er die Tat erlebt hat, hat uns Thomas Wydolski im SWR-Interview erzählt:

Geiselnehmer wird zum Mörder

Die Geiselhaft dauert für Thomas Wydolski fast eine Stunde. Er fängt an mit dem Täter zu sprechen und erinnert ihn daran, dass er ihm doch helfen wolle. Als Sozialarbeiter hätte er dem 53-Jährigen bei der Suche nach einer neuen Bleibe unterstützt.

Völlig unerwartet darf Thomas Wydolski aus der Wohnung fliehen. Der Täter lässt ihn gehen und zeigt ihm am Wohnungsausgang noch mal seine bedrohliche Auswahl an weiteren Waffen. "Du kannst abhauen", sagt er ihm noch.

Auf dem Weg nach draußen hört Thomas Wydolski weitere Schüsse. Er alarmiert die Polizei, die später nur noch Tote in der Wohnung auffindet. Der Täter erschießt den Schlosser, den Gerichtsvollzieher und den neuen Wohnungseigentümer, der vor der Flucht von Thomas Wydolski noch hinzugekommen war. Der Täter und seine Lebensgefährtin sind ebenfalls tot.

Alpträume, schlaflose Nächte und der Kampf zurück ins Leben

Zehn Jahre später kann Thomas Wydolski dank einer Therapie offen über die Tat sprechen. Auch an den Tatort zurückzukehren, macht ihm nichts mehr aus. Bis dahin war es ein langer Weg.

"Ich habe mich hingesetzt, auch nachts, und habe die ganzen Alpträume protokolliert und sie dann mit dem Therapeuten besprochen."

Die Tage nach der Tat waren die schlimmsten, sagt Wydolski. Auch seine Frau Manuela nimmt das Drama sehr mit. "Wir haben uns Nächte um die Ohren geschlagen und darüber gesprochen", erinnert sie sich. Eine Wiedereingliederung in seinen Job als Sozialarbeiter scheitert.

Thomas Wydolski geht mit 54 Jahren in Frührente und muss hart an sich arbeiten, wie er im SWR-Interview erzählt:

Geiselnahme in der Karlsruher Nordstadt bleibt ein Begleiter

Zehn Jahre nach der Tat hat er sich entschieden, zum ersten Mal mit seiner Geschichte an die Öffentlichkeit zu gehen. "Mit dem zeitlichen Abstand ist es leichter, über so eine Sache zu sprechen."

Die Albträume sind heute auch noch nicht weg. Aber der Umgang damit ist ein anderer als damals, sagt Wydolski. Seine Frau und er sind mittlerweile Großeltern geworden. "Die Enkelkinder sind eine Bereicherung für uns", sagt Manuela Wydolski. Trotzdem würde sie nicht wieder von einem normalen Leben sprechen.

"Mit jeder Katastrophe, die passiert, wird man an das eigene Schicksal erinnert."

Auch Thomas Wydolski hat noch keinen Abschluss gefunden. "Ich denke auch nicht, dass es da einen Abschluss gibt."

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