Jeside soll zurück in den Irak

Abschiebung trotz Job: Wie eine Bäckerei-Chefin aus Weilheim um ihren Angestellten kämpft

Stand

Von Autor/in Ruben Moratz

Der Jeside Faisal K. soll zurück in den Irak. Seine Arbeitgeberin will ihn aber unbedingt im Betrieb halten. Es gibt aber auch Sorgen um seine Sicherheit im Irak.

Je nach Tagesform bewegt sich Eve Sigel irgendwo zwischen Kampfeslust und Verzweiflung. Die Bäckerei-Chefin aus Weilheim an der Teck (Kreis Esslingen) hat nicht nur aus einer kleinen Backstube ein großes Unternehmen aufgebaut - sie scheut auch für ihre Mitarbeiter keine Mühen. Das beste Beispiel dafür ist Faisal K. Der 23-Jährige arbeitet seit Anfang des Jahres in Sigels Bäckerei Scholderbeck. Sie lobt den jungen Mann in höchsten Tönen: Er sei fleißig, hilfsbereit, freundlich, zuverlässig, lerne sehr schnell. Solche Mitarbeiter finde sie nicht oft, sagt sie. Aber: Faisal K. soll abgeschoben werden. Er soll zurück in den Irak, von wo er vor etwa dreieinhalb Jahren nach Baden-Württemberg kam.

Anfang 2025 entdeckt Faisal K. einen Aushang an einer Filiale der Bäckerei Scholderbeck in Weilheim an der Teck, die Eve Sigel führt. "Putzkraft gesucht" steht darauf. Er schreibt eine E-Mail, wird zum Vorstellungsgespräch eingeladen und fängt schon wenige Tage später mit der Arbeit an. Schnell wird Eve Sigel klar, dass Faisal K. einer ist, der anpackt und gerne arbeitet. Deswegen stellt sie ihm in Aussicht, auch eine Ausbildung in der Bäckerei beginnen zu können. Aber dazu kommt es nicht.

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Untergetaucht, um in Deutschland zu bleiben

Mitte April fahren nachts um 1:30 Uhr zwei Streifenwagen vor der Zentrale der Bäckerei vor. Die vier Polizisten sind auf der Suche nach Faisal K. Er soll abgeschoben werden, aber er ist nicht da. So erzählt es eine Mitarbeiterin der Bäckerei-Chefin. Faisal K. taucht nach dieser Nacht unter. Dem SWR erzählt er, dass er bei Freunden und Bekannten übernachtet hat, um sich vor der Polizei zu verstecken. Und er sagt in gebrochenem Deutsch: "Ich habe viel Angst. Ich will nicht zurück in den Irak. Wenn ich mit meiner Familie in der Heimat telefoniere, sagen sie mir, ich soll nicht zurückkommen. Der Irak ist nicht gut."

Eve Sigel versteht nach dieser Nacht die Welt nicht mehr: "Wie kann es sein, dass wir Menschen abschieben, die hier arbeiten, sich integrieren und sich nichts zu Schulden haben kommen lassen?"

Eve Sigel tut danach alles, was sie kann, um Faisal K. zu helfen: Sie schreibt zahlreiche Landes- und Bundespolitiker aus dem Wahlkreis an. Sie wendet sich an den Petitionsausschuss sowohl im Landtag von Baden-Württemberg wie auch im Bundestag. Sie wendet sich an die lokale Tageszeitung und besorgt Faisal K. einen Anwalt.

Wenn wir eine Lage haben in unserem Land, wo wir eine überalternde Bevölkerung haben, einen Fachkräftemangel, wo wir Menschen brauchen, die arbeiten, und wir haben solche, die in unserem Land sind und das tun wollen, und ein Arbeitgeber sagt, ich brauche den, dann muss die Politik Lösungen finden, dass das praktikabel umsetzbar ist.

Eve Sigel von der Bäckerei Scholderbeck
Eve Sigel will ihrem Mitarbeiter helfen.

Migrationsministerin verweist auf Rechtslage

Marion Gentges (CDU), Baden-Württembergs Justiz- und Migrationsministerin, äußert im SWR-Interview Verständnis für den Ärger von Eve Sigel. Allerdings verteidigt sie auch die geltende Rechtslage. Und die führe nun mal dazu, dass Faisal K. abschiebepflichtig ist. Er erfülle nicht die Voraussetzungen, in Deutschland bleiben zu dürfen. Einerseits, weil Teile des Iraks vom Auswärtigen Amt als sicher eingestuft werden, also eine inländische Fluchtalternative existiert. Und andererseits, weil Faisal K. noch nicht lange genug in Deutschland einer Arbeit nachgehe. 

Man könne am deutschen Asylsystem vieles kritisieren, so Gentges weiter. Vielleicht müsste man sogar sagen, man müsse es ganz neu stricken: "Aber es ist sicher nicht der richtige Weg, eine rechtliche Regelung, die einem vielleicht nicht gefällt, durch willkürliche Entscheidungen einer Verwaltung zu ersetzen."

Wir haben rechtliche Regeln, nach denen jemand wieder gehen muss. Wollen Sie ernsthaft, dass eine Ministerin, weil der Richtige kommt und ein überzeugendes Argument vorträgt, willkürlich anders entscheidet, als es das Gesetz vorgibt? Ich glaube, das darf man nicht machen.

BW engagierte sich stark für Jesiden - heute nicht mehr

Doch stimmt es eigentlich, dass Faisal K. sicher wäre im Irak? Seine Familie, die dort in einem Flüchtlingslager lebt, rät ihm dringend davon ab, zurückzukommen. Und auch Experten hierzulande sehen die Jesiden im Irak in Gefahr. Einer von ihnen ist Michael Blume, der Landesbeauftragte gegen Antisemitismus. Vor zehn Jahren war Blume im Auftrag der Landesregierung in den Nordirak gereist, um dort ein Sonderkontingent jesidischer Frauen und Kinder nach Baden-Württemberg zu holen.

Viele der Geretteten hatten ihre Männer und Väter verloren, weil der Islamische Staat sie ermordet hatte. Der Deutsche Bundestag hat dieses Massenmorden im Januar 2023 als Völkermord anerkannt. "Leider wurde aus dieser Anerkennung aber keinerlei Schutz abgeleitet", sagt Michael Blume. Das ärgere ihn sehr. Es gebe zwar derzeit keine Terrorangriffe mehr auf die Jesiden im Irak, "aber die Leute sitzen in den Flüchtlingslagern, werden unter Druck gesetzt, Muslime zu werden - das nennt man einen kulturellen Genozid - und der ist nicht vorbei", so der studierte Religionswissenschaftler. Blume fordert deswegen einen bundesweiten Stopp der Abschiebungen von Jesiden in den Irak.

Die Landesregierung hätte die Möglichkeit, einen temporären Abschiebestopp für Jesiden zu erlassen - andere Länder, etwa Nordrhein-Westfalen haben das getan. Auch hier verweist Ministerin Gentges auf die Lageeinschätzung des Auswärtigen Amtes, der Irak sei zumindest teilweise sicher für Jesiden.

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Letzte Hoffnung für Faisal K. besteht

Dank des Anwalts, den Bäckerei-Chefin Eve Sigel für Faisal K. engagiert hat, liegt der Fall des jungen Irakers nun bei der Härtefallkommission des Landes im Migrationsministerium. Die Kommission wird sich die Umstände nun im Detail ansehen.

Sie kann dann, wenn "dringende humanitäre oder persönliche Gründe die weitere Anwesenheit des Ausländers im Bundesgebiet rechtfertigen, ein Härtefallersuchen an das Ministerium der Justiz und für Migration richten", heißt es. In den meisten Fällen stimme das Ministerium der Entscheidung der Kommission zu, versichert Ministerin Gentges.

Faisal K. bei der Arbeit in der Bäckerei
Faisal K. bei der Arbeit in der Bäckerei.

Bäckerei-Chefin verliert Vertrauen in den Staat

Eve Sigel auf der anderen Seite verliert das Vertrauen in den Staat mehr und mehr, sagt sie. Faisal K. wäre schon der dritte Flüchtling, den sie beschäftigt hat und der dann abgeschoben wird. Schon vor Faisal K. hat sie sich für ihre Mitarbeiter ins Zeug gelegt. "Mittlerweile kenne ich mich viel zu gut aus im Asyl- und Arbeitsrecht."

Sie wisse auch, wie Ämter arbeiteten. Etwa, dass da auch einfach mal das falsche Formular verwendet werde. "Und wenn man dann nicht nachhakt, passiert vier Wochen einfach nichts." Würde sie aber trotzdem weiterhin Geflüchtete einstellen? Eve Sigel überlegt kurz, als ihr diese Frage gestellt wird. An einem schlechten Tag sage sie sich "Tu’s nicht". Und an einem guten Tag? "Da sage ich: Nein, wir dürfen nicht aufhören, die Dinge positiv zu verändern. Wenn wir es als Arbeitgeber nicht tun, wer soll es dann tun?"

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