Ein Mann sitzt an einem Schreibtisch, vor ihm zwei Monitore (Foto: dpa Bildfunk, SWR, picture alliance/dpa | Fabian Strauch)

Arbeitsforscherin aus Reutlingen

Homeoffice-Pflicht: Was Unternehmen in BW besser machen können

Stand
AUTOR/IN
Franziska Weigelt

Wird die Homeoffice-Pflicht verlängert? Johanna Bath von der ESB Business School in Reutlingen erklärt, wo es beim Arbeiten zuhause hakt und was wir besser machen können.

Arbeitgeber sind seit November 2020 dazu verpflichtet, Beschäftigten die Arbeit von zu Hause aus anzubieten - wenn nicht betriebliche Gründe dagegen sprechen. Dies ist eine der Maßnahmen, um die Ausbreitung des Coronavirus einzudämmen. Die derzeit geltende Homeoffice-Pflicht ist in §28b des Infektionsschutzgesetzes geregelt und gilt befristet bis einschließlich 19. März 2022. In der Ministerpräsidentenkonferenz wurde am Mittwoch entschieden, dass ab ab dem 20. März "alle tiefgreifenderen Schutzmaßnahmen" entfallen, wenn die Situation in den Krankenhäusern das zulässt. Auch die im Infektionsschutzgesetz geregelte Homeoffice-Pflicht soll dann nicht mehr gelten. Arbeitgeber können aber weiterhin im Einvernehmen mit den Beschäftigten Homeoffice anbieten - etwa bei der Arbeit im Großraumbüro.

SWR: Was haben die gesetzlichen Bestimmungen zum Arbeiten Zuhause bei den Unternehmen zu Beginn der Coronapandemie bewirkt?

Johanna Bath: Mein Eindruck war, dass viele Unternehmen den gesetzlichen Bestimmungen sogar ein Stück weit vorausgegriffen haben. Sie sind sogar schneller und länger im Homeoffice geblieben als es die gesetzlichen Bestimmungen gefordert haben. Es gab ja im Sommer eine Phase, wo die Homeoffice-Pflicht aufgehoben war, aber viele Unternehmen haben ihre Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen trotzdem im Homeoffice gelassen.

Das ist insofern sehr überraschend, weil viele Arbeitgeber davor eine eher zurückhaltende Haltung gegenüber dem Homeoffice hatten - in Deutschland. Wir sind da eher ein verhaltenes Land was hybride Arbeitsmodelle anbelangt. Das zeigt mir, dass im Grunde die technische Ausstattung der Unternehmen gegeben war und die Pandemie der Auslöser war, diese Möglichkeiten endlich zu nutzen.

Denken Sie, Gesundheit war wirklich der ausschlaggebende Faktor oder war es eher der Gedanke: Das wollten wir sowieso ausprobieren.

Der Grund war Gesundheit, also das Risiko zu vermeiden, größere Ausbrüche in der eigenen Belegschaft zu haben. Bei den allermeisten, das zeigen auch die Studien, hat der Wechsel ins Homeoffice relativ reibungslos funktioniert. Das heißt, es waren im Grunde nicht technische Voraussetzungen oder auch die Fähigkeit der Belegschaft, die uns zurückgehalten hat, sondern eher das Mindset, der Glaube daran, dass es wirklich funktionieren kann. Als dann die Alternative war, das Risiko einzugehen, dass man innerhalb der Belegschaft größere Pandemie-Ausbrüche hat, hat man diese Mindset-Hürde überwunden und gesagt: Ok, wir legen jetzt den großen Hebel um. Dann waren alle - und das zeigen die Studien auch - überrascht, dass es so reibungslos funktioniert hat zum einen - und dass es auch nicht zu Produktivitätseinbrüchen gekommen ist, wie man davor immer befürchtet hat.

Dennoch zeigen einige Studien: Es könnten noch mehr Menschen im Homeoffice arbeiten. Woran liegt das?

Ich denke, dafür gibt es drei Gründe. Zum einen ist die Frage: Kenne ich mich als kleines Unternehmen mit Themen wie Homeoffice, hybrides Arbeiten aus? Also zum Beispiel ein IT-Unternehmen: Der Gründer hat vor 20 Jahren eine geniale Software entwickelt, mit 30 Mitarbeitern. Woher soll sich dieser CEO mit solchen Themen wie Arbeitsorganisation auskennen? - Überhaupt nicht, genausowenig wie ich weiß, wie man eine Software programmiert. Bei vielen kleinen Unternehmen gibt es eine Wissenslücke. Dazu gibt es manchmal auch eine sogenannte Mindset-Lücke, dass manche Leute sagen: Wir haben schon immer im Büro gearbeitet, warum soll sich das jetzt ändern, machen die Leute im Homeoffice überhaupt was? Das dritte ist, dass ich glaube, dass sich viele vor Investitionen scheuen. Dabei ist das überhaupt keine Geldfrage.

Ist das so?

Da nehme ich immer sehr gerne das Beispiel SAP: Das Unternehmen macht für die Mitarbeitenden Online-Events für unfassbar viel Geld, zum Beispiel eine Online-Weihnachtsfeier für fünf Millionen Euro. In solchen Momenten entsteht dann der Eindruck, das liegt am Geld. Aber das wäre doch genau so nett gewesen, egal ob ich jetzt ein 120-Mann oder 20-Frau-Betrieb bin: Wenn ich als Chef oder Chefin sage, das ist meiner Oma ihr bestgehütetes Vanillekipferl Rezept - ihr kriegt das jetzt exklusiv von mir in einer kleinen Kiste mit allen Zutaten und wir backen einen Abend lang parallel Vanillekipferl. Wir schalten uns dann nett zusammen. Da geht es vielmehr um die Kreativität und um den Geist als um Geld.

Also entscheidend sind die Ideen?

Ich würde mir sehr wünschen, für unseren Wirtschaftsstandort Baden-Württemberg, dass es noch mehr Leute gibt, die vorausgehen und nicht sagen, wir warten jetzt erst mal ab, bis die Zahlen runtergehen, weil das mit den Coronazahlen nicht wirklich etwas zu tun hat. Sondern es geht wirklich darum, dass wir durch Corona in eine neue Arbeitswelt geschmissen worden sind, die so oder so gekommen wäre und die die Mitarbeiter schon viel länger wollten und wir jetzt den Gestaltungswillen aufbringen müssen, da richtig was Gutes für uns draus zu machen.

Aktuelle Zahlen zeigen, dass die Tendenz zum Homeoffice wieder steigt, ist das die Zukunft?

Ich glaube, das ein reines Homeoffice für wenige Unternehmen die Zukunft ist, denn es gibt auch einige negative Konsequenzen, die erst jetzt, nachdem wir zwei Jahre hinter uns haben, so richtig zutage treten, die wir anfangs noch sehr gut kompensieren konnten. Zum Beispiel berichten 50 Prozent der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland, dass ihre Netzwerke kleiner geworden sind, das heißt der fachliche Austausch geht zurück.

Welche Probleme gibt es noch?

Was sehr unterrepräsentiert ist bei den Arbeitgebern ist das Thema Weiterbildung, zum Beispiel: Wie habe ich meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter geschult, wie sie sich ihre Arbeitswoche im Homeoffice strukturieren? Habe ich sie ausgestattet mit Tipps, wie sie beispielsweise auch die Online-Meetingzeiten und die E-Mail- und -Nachrichtenflut für sich besser managen können? Habe ich Zeitmanagement-Trainings gegeben, wie sie sich dann auch wieder konzentrierte Still-Arbeitszeiten selbst einräumen und schaffen können?

Da gibt es wirklich dramatische Daten: Der durchschnittliche Büromitarbeiter checkt seinen Posteingang alle sechs Minuten und die längste Still-Arbeitsphase ist 20 Minuten lang. Wenn man sehr schnell zwischen Aufgaben wechselt und dieses berühmte Multitasking betreibt, weiß man letztendlich, dass das für die Konzentration und die Leistungsfähigkeit und damit natürlich auch für das Arbeitsergebnis total schädlich ist. Noch ganz wenige Arbeitgeber haben dieses Thema auf dem Schirm.

Das andere ist Führung: Sind denn meine Führungskräfte geschult in remoten oder hybriden Arbeitsumfeldern zu führen? Das ist etwas, was extrem wichtig ist, weil durch die räumliche Trennung fällt uns ja 95 Prozent des Feedbacks, das wir unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern geben. Damit meine ich diese Hunderte von nonverbalen oder auch verbalen Feedback-Situationen, die ich in meinem Büro erlebe, also allein die Tatsache, dass ich meinen Mitarbeiter oder meine Mitarbeiterin anlächle, wenn er oder sie morgens die Tür reinkommt und guten Morgen sagt - das ist ein Signal: ich bin ok, du bist ok. Das heißt: Ich muss meine Führungskräfte trainieren, wie sie mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern expliziter in Feedback Situationen gehen. Sie müssen sich auch bemühen, diese sozialen Momente, die man in einem Büroleben automatisch hat, online zu kompensieren und Ersatzmomente dafür zu schaffen.

Sie sehen die Unternehmen in der Pflicht, dieses Problem anzugehen. An welchem Punkt stehen Ihrer Meinung nach die Unternehmen in Baden-Württemberg in dieser Situation?

Also ich denke, wir sind hier derzeit immer noch in einer gewissen Abwarten-Haltung. Ich glaube, viele haben mittlerweile ihre Betriebsvereinbarungen zum Thema "Remote Work" angepasst, dass überhaupt das Thema Homeoffice beziehungsweise Remote Work auf breiter Basis mit den Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern auf breiter Front geregelt ist. Das regelt aber nicht das Warum und das Wie und beides finde ich extrem wichtig.

Dazu gehören Fragen wie: Sollen maximal 40 Prozent aus dem Homeoffice arbeiten oder wollen wir maximal zwei Tage die Woche flexibel aus dem Homeoffice arbeiten? Für jedes Unternehmen wird die Antwort sehr unterschiedlich ausfallen, weil ja auch die Kultur, die Strategie und die Werte des Unternehmens unterschiedlich sind. Da verspüre ich derzeit noch wenig Auseinandersetzung damit. Wie kann ein hybrides Organisationsmodell nicht nur irgendwie funktionieren und irgendwie in einer Betriebsvereinbarung festgelegt sein, sondern wie kann uns das unterstützen, unsere strategischen Ziele Wachstumsziele, Vertriebsziele, Umsatz und so weiter besser zu erreichen als vorher? Diese optimistische Chancen-orientierte Herangehensweise an das Thema hybride Arbeit vermisse ich.

Stand
AUTOR/IN
Franziska Weigelt