Die Wirtschaft in Baden-Württemberg steuert nach Einschätzung von Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU) immer stärker auf einen Abschwung zu. "Es ist zu befürchten, dass der Wirtschaft in Baden-Württemberg in der aktuellen Krise das Schlimmste erst noch bevorsteht", sagte sie in Stuttgart. Darauf wiesen verschiedene Daten hin. So sei etwa das Stimmungsbarometer des Mannheimer Leibniz-Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) auf den niedrigsten Stand seit Oktober 2008 gefallen.
BW-Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU) fordert von der Bundesregierung bei künftigen Entlastungen für die Wirtschaft, dass kleine und mittelständische Unternehmen stärker berücksichtigt werden. SWR-Redakteur Christian Susanka mit Einzelheiten:
Ein weiteres Alarmzeichen seien die aktuellen Zahlen zu den baden-württembergischen Exporten im ersten Halbjahr. Dass der Wert der nach Baden-Württemberg importierten Waren den Exportwert überstiegen habe, sei "ein deutliches Zeichen, dass wir eine Rezession immer weniger ausschließen können", sagte die Wirtschaftsministerin. Das Statistische Landesamt hatte dazu vergangene Woche Zahlen veröffentlicht - aber auch auf den Effekt stark gestiegener Preise hingewiesen.
Mittelständler im Südwesten pessimistisch Trotz Umsatzplus: wvib Schwarzwald AG fürchtet Abschwung
Das vergangene Halbjahr hat den mittelständischen Unternehmen der Schwarzwald AG ein Umsatzplus von durchschnittlich rund 14 Prozent gebracht. Trotzdem sind sie voller Sorge.
Bund soll kleine und mittelständische Unternehmen unterstützen
Der Bund müsse nun bei einem dritten Entlastungspaket die Situation von kleinen und mittelständischen Unternehmen stärker in den Blick nehmen, sagte die Ministerin. Ihr fehle in der Diskussion die Perspektive auf die Unternehmen und gerade auf den Mittelstand, der in Baden-Württemberg das Rückgrat der Wirtschaft bilde, sagte Hoffmeister-Kraut. "Nicht nur kleinere und mittlere Einkommen, sondern auch kleinere und mittlere Unternehmen leiden unter den massiv steigenden Energiekosten."
Wirtschaft kritisiert mangelnde Entlastung
Die Bundesregierung hatte angekündigt, ein drittes Entlastungspaket für Bürgerinnen und Bürger zu schnüren. Auch soll die Mehrwertsteuer auf Gas zeitweise von 19 auf 7 Prozent gesenkt werden. Von Seiten der Wirtschaft gab es dazu kritische Töne. Unternehmen zahlten keine Mehrwertsteuer und damit gehe die Entlastung an ihnen vorbei, hieß es etwa vom Bundesverband der Deutschen Industrie.
Hoffmeister-Kraut forderte den Bund zudem auf, das im Juli gestartete Programm zur Dämpfung der Energiekosten für energieintensive Unternehmen nachzubessern. Mit dem Programm können energie- und handelsintensive Unternehmen einen Zuschuss zu ihren gestiegenen Erdgas- und Stromkosten von bis zu 50 Millionen Euro erhalten.
Hoffmeister-Kraut will auch Bäckereien unterstützen
Weite Teile des Handwerks seien aber nicht berücksichtigt und könnten somit keinen Zuschuss zu ihren gestiegenen Erdgas- und Stromkosten beantragen, so Hoffmeister-Kraut. "Anders als bislang müssen auch energieintensive Handwerksbetriebe wie Bäckereibetriebe vom Bundesprogramm unterstützt werden können", sagte sie und brachte beispielsweise die Absenkung der Stromsteuer auf das europäische Minimum ins Spiel.
Unterstützung erhält die Ministerin vom Deutschen Gewerschaftsbund (DGB). "Die baden-württembergische Wirtschafts- und Arbeitsministerin Dr. Nicole Hoffmeister-Kraut weist zurecht auf die wachsenden wirtschaftlichen Risiken hin", sagte der Vorsitzende des DGB Baden-Württemberg, Kai Burmeister. "Umso mehr kommt es jetzt darauf an, dass Landes- und Bundesregierung entschieden gegensteuern."
DGB fordert Gaspreisdeckel und Direkthilfen
Burmeister fordert daher einen Gaspreisdeckel, bei dem der Grundverbrauch bezahlbar bleibt. Schließlich hätten private Haushalte nur begrenzte Einsparmöglichkeiten. Auch für die Betriebe müsse es Unterstützung geben: "Kein Unternehmen dürfe durch die Gaskrise in die Insolvenz geraten, kein Beschäftigter den Arbeitsplatz verlieren", sagte er.
In diesem Zusammenhang schließt Burmeister neben Direkthilfen auch die Anwendung von Kurzarbeit nicht aus, nimmt aber auch die Landesregierung in die Pflicht.
Wohlfahrtsverband sieht zehntausende Arbeitsplätze gefährdet
Und auch in der Sozialwirtschaft werden die Sorgen immer größer, die Forderungen nach finanzieller Unterstützung immer lauter. Der Paritätische Wohlfahrtsverband in Baden-Württemberg hält die derzeitige Energiekrise für eine große Bedrohung für die Sozialwirtschaft. Ganze Branchen stünden vor dem Aus, heißt es in einem offenen Brief an Ministerien, Politikerinnen und Politiker sowie Verbände. Zehntausende Arbeitsplätze seien gefährdet.
Es brauche sofort fünf Prozent mehr Gesamteinnahmen, um die gestiegenen Gas- und Strompreise finanzieren zu können. Die Finanzlücke trifft dem Brief zufolge alle Bereiche - von der Alten- bis zur Behindertenhilfe, von der Arbeit für Suchtkranke bis zu Diensten für Flüchtlinge, dazu zahlreiche Projekte für Wohnungs- und Arbeitslose. Die massiv gestiegenen Kosten könnten nicht einfach an die Hilfsbedürftigen weitergegeben werden, heißt es in dem Brief. Deshalb brauche es für die Sozialwirtschaft jetzt dringend ein Entlastungspaket.
FDP fordert weniger Bürokratie bei der Abkehr vom Gas
Derweil fordert die FDP im baden-württembergischen Landtag weniger Bürokratie. Unternehmen, die angesichts der drohenden Energieknappheit von Gas auf Öl umsteigen, sollten mit einem beschleunigten Genehmigungsverfahren rechnen dürfen, sagte ein Sprecher der Liberalen gegenüber dem SWR. Das unterstreicht auch der baden-württembergische Industrie- und Handelstag: Es könne nicht sein, dass die Genehmigung länger dauere als die Umrüstung, so ein Sprecher.