Zugang zu tödlichem Medikament - Klage abgelehnt

Frau aus Kreis Schwäbisch Hall kämpft um selbstbestimmten Tod

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Das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen hat die Klage einer Frau aus dem Kreis Schwäbisch Hall abgelehnt. Die schwer kranke Frau hatte gemeinsam mit anderen geklagt - für den Zugang zu einem todbringendem Medikament.

Die unheilbar an Krebs erkrankte 69-Jährige wollte das Recht erstreiten, ein todbringendes Medikament kaufen zu dürfen. Das Gericht lehnte mit Blick auf das Arzneimittelgesetz ab und verwies auf legale Möglichkeiten der Suizidhilfe durch einen Arzt.

Klägerin aus dem Kreis Schwäbisch Hall

Die 69-Jährige aus dem Kreis Schwäbisch Hall möchte nicht an die Öffentlichkeit. Seit fast zehn Jahren kämpft sie mit einem bösartigen Tumor im Bauch, sagte ihr Anwalt Robert Roßbruch dem SWR-Studio Heilbronn. Neun Operationen liegen bereits hinter ihr.

"Sie ist am Ende ihrer Kräfte, sie kann und will nicht mehr."

Antrag vor fast zwei Jahren schon gestellt

Vor fast zwei Jahren stellte die Frau laut dem Anwalt deshalb beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte in Bonn einen Antrag zur Erlaubnis, eine tödliche Dosis des Betäubungsmittels Natrium-Pentobarbital legal zu erwerben.

Das Mittel dürfe in Deutschland nach der herrschenden Auslegung des Betäubungsmittelgesetzes nicht von einem Arzt verschrieben werden, sagte der Anwalt dem SWR. Deshalb sei solch ein Antrag vor dem Bundesinstitut für Arzneimittel der einzige Weg, das Mittel zu erwerben. Würde der Antrag bewilligt, könnten die Betroffenen das Mittel anschließend in der Apotheke kaufen, so Roßbruch.

Robert Roßbruch (Foto: SWR)
Der Jurist Robert Roßbruch setzt sich schon seit vielen Jahren mit dem Thema des selbstbestimmten Sterbens auseinander

Seit 2017 kein Antrag bewilligt

Der Antrag der Frau aus Schwäbisch Hall wurde aber abgelehnt. Überraschend war das nicht: Nach Angaben der Bundesregierung von September 2021 sind seit 2017 insgesamt 223 Anträge auf Erteilung einer Erlaubnis beim Bundesinstitut in Bonn eingegangen. Kein Fall wurde demnach bewilligt.  

Die Rolle von Ex-Gesundheitsminister Spahn

Laut Roßbruch ergibt sich die wiederholte Ablehnung der Anträge aus einem Erlass des ehemaligen Bundesgesundheitsministers Jens Spahn (CDU), der das Institut angewiesen habe, alle Anträge pauschal abzuweisen und damit ein bestehendes Grundsatzurteil des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahr 2017 zu der Frage zu negieren.

Der Anwalt Robert Roßbruch sieht das Verhalten Spahns und seine "Negierung eines höchstrichterlichen Urteils" als "rechtswidrig" und aus "rechtsstaatlicher Sicht äußerst bedenklich" an.

Wie steht Lauterbach dazu?

Inzwischen heißt der neue Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD). Lauterbach habe sich damals zu Spahns Erlass kritisch geäußert, so Roßbruch. "Es ist anzunehmen, dass er diesen Nichtanwendungserlass wohl zurücknimmt", sagte Roßbruch.

"Das Problem ist derzeit, dass er wohl derart überlastet ist im Rahmen der Corona-Problematik, dass er jetzt für diese Dinge wohl kaum Zeit hat", so der Anwalt über den Bundesgesundheitsminister. Von Lauterbach hätten er und seine Mandanten aktuell jedenfalls nicht gehört.

Verfassungsgerichtsurteil von 2020

Zur Frage des selbstbestimmten Sterbens gab es 2020 ein wichtiges Urteil vor dem Bundesverfassungsgericht (BVG). Das Gericht hatte damals entschieden, dass jeder Mensch ein Grundrecht auf den selbstbestimmten Tod hat.

Über die juristischen Hintergründe der jetzigen Klage berichtete das ARD-Morgenmagazin:

Das Recht auf selbstbestimmtes Sterben Morgenmagazin-Video: Sterbehilfe - was bedeutet das juristisch?

2020 stellte das Bundesverfassungsgericht fest: Es gibt ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben. Jetzt weiter darüber gestritten, was genau das Recht auf selbstbestimmtes Sterben umfasst.

Anwalt erklärt Widerspruch

Der Anwalt Robert Roßbruch erklärt den Widerspruch so: Durch das Urteil des BVG sei Suizidhilfe in Deutschland nun zwar legal möglich. Die Kläger könnten sich in der Theorie also an einen Arzt oder an eine Sterbehilfeorganisation wenden, um Suizidbegleitung zu bekommen.

In diesem Fall wollen die Kläger sich das Mittel aber selbst zuführen und, wie einer der Kläger aus Rheinland-Pfalz dem SWR sagte, eben auch selbst darüber bestimmen können, wann der Zeitpunkt dafür gekommen ist.

Anwalt: "Wir lassen nicht locker"

Der Klägeranwalt Robert Roßbruch war davon ausgegangen, dass die Berufung der Kläger vor dem Oberverwaltungsgericht an diesem Mittwoch abgewiesen wird. Bereits im Vorfeld hatte er angekündigt, in die nächste Instanz zu gehen. Er sagte dem SWR, es sei existenziell für die Kläger, die alle schwerstkrank sind und keine andere Option haben, als vor den Verwaltungsgerichten letztinstanzlich zu obsiegen.

Das gefallene Urteil sei rein rechtlich zwar nachvollziehbar, gehe aber völlig an der gegebenen Realität vorbei. "Die Wahrscheinlichkeit, dass ein schwerkranker Suizidwilliger, so er denn körperlich und mental überhaupt noch dazu in der Lage ist, durch eigene komplizierte Recherche einen zur Suizidassistenz bereiten Arzt findet, ist äußerst unwahrscheinlich", so Roßbruch.

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SWR