Ende 2024 machte eine für die Automobilbranche und vor allem für Audi schlechte Nachricht die Runde: "Kein Werk ist sicher" - so die Ankündigung des VW-Betriebsrats. Der Konzern werde mindestens drei Werke in Deutschland schließen und Zehntausende Arbeitsplätze streichen, hieß es.
Für viele ehemalige Audianer dürfte das fast wie ein Déjà-vu gewesen sein. Denn auch 1975 wollte der VW-Konzern unter anderem drei Werke in Deutschland schließen: das Audi-Werk in Neckarsulm und die Zweigwerke in Neuenstadt (beide Kreis Heilbronn) und Heilbronn. Gewerkschaften, Betriebsrat und die Belegschaft solidarisierten sich beim "Marsch auf Heilbronn", dazu zahlreiche Menschen aus der Region. So konnten die Werke damals gerettet werden.
Ein Rückblick ins Jahr 1975
1975 war der heute 85-jährige Klaus Zwickel Gewerkschaftssekretär der IG Metall, gelernt hatte er Werkzeugmacher. "Vor 50 Jahren hat hier die letzte Auseinandersetzung […] begonnen", erinnert er sich vor dem Audi-Forum an den Tag des Marsches, den 18. April 1975. Besonders stolz ist Zwickel heute auf "die Mannschaft", die damals die Schließung verhinderte.
Ich habe eine wichtige Rolle gespielt, aber ohne die Mannschaft wären meine Ideen nichts gewesen.

"Die Mannschaft" - nicht nur Audianer
Zwickels Aufgabe als Gewerkschaftssekretär war es, mit einer kleinen Arbeitsgruppe die Aktionen der IG Metall zu planen und zu organisieren. Dabei waren auch immer die Stimmung und die Bereitschaft im Betrieb wichtig. "Nur wenn der größte Teil der Belegschaft mitmacht, wird etwas gemacht", erklärt Zwickel sein Credo von damals.
Diesen Standort zu erhalten, das war mit Sicherheit das Wichtigste in meinem politischen Leben. […] Das war prägend - absolut.
Die geplante Schließung des Werks bewegte allerdings nicht nur die Audianer. Die "Mannschaft", von der Zwickel spricht, das waren die 10.000 Angestellten, Gewerkschaftler, Betriebsräte und beim Marsch selbst dann auch zahlreiche Unterstützerinnen und Unterstützer aus der gesamten Region. Zwickel spricht von plakatierten Schaufenstern und großer Zustimmung. "Die Leute haben gespürt, wenn dieser Standort geschlossen wird, dann betrifft das irgendwie auch uns", erzählt er.

Der Kampf war angesagt
Los ging der Protest schon im Januar 1975 mit einer ersten Kundgebung am damaligen Tor 1, wo heute das Audi-Forum steht - mit mäßigem Erfolg, wie sich Zwickel erinnert: "Zu diesem Zeitpunkt […] hatten offensichtlich viele […] noch nicht verinnerlicht, was auf sie zukommt."
Dabei war die Schließung des Werks damals eigentlich schon beschlossene Sache. Der VW-Konzern hatte finanzielle Not, der letzte NSU-Wagen, der Ro 80, der in Neckarsulm neben dem Audi 100 gebaut wurde, brachte Verluste. Die Nachrichten über die Schließung verbreiteten sich schließlich wie ein Lauffeuer in Deutschland.
Ein Zitat des damaligen Betriebsratsvorsitzenden Karl Walz machte im "Spiegel" die Runde:
Solang mer no schnauft, is mer net tot.
"Was können wir noch machen?"
Und so überlegte Zwickel mit seiner Arbeitsgruppe dann auch, was man am 18. April 1975 als Aktion planen könnte, an dem Tag, an dem die entscheidende VW-Aufsichtsratssitzung in Wolfsburg stattfinden sollte: "Da war die Frage: Was machen wir und was können wir noch machen?"
So kam schließlich die Idee des Marschs auf Heilbronn zustande. Die Schwierigkeit dann sei gewesen, die Belegschaft zu überzeugen. Da habe es viele rechtliche Bedenken gegeben, erinnert er sich. "Aber wenn alle mitmachen, dann erübrigt sich die Frage. […] Es sei denn es geht schief."
Widerstand ist ein wichtiges Recht in einer Demokratie. Aber nur auf dem Papier ist es zu wenig. Man muss es […] auch machen. [...] Man muss es wagen und man hat keine Garantie, dass es funktioniert.
"So etwas gab es nicht noch einmal"
Nach dem Gefühl gefragt, welches das Jubiläum bei ihm auslöst, antwortet Klaus Zwickel, es sei ein "erhabenes Gefühl", heute wieder vor dem Neckarsulmer Audi-Werk zu stehen. Der Kampf von 1975 habe sich mehr als gelohnt, wenn man bedenke, wie viel der VW-Konzern danach in das Werk investiert hat.
Und auch wenn er selbst noch für viele Tarife gekämpft hat und lange in der Gewerkschaft tätig war, so etwas wie damals habe er in seinem gewerkschaftlichen Leben nicht noch einmal erlebt.

Zeitzeugen unter sich
Im Audi-Forum kamen am Gründonnerstag aber auch weitere Weggefährten von Klaus Zwickel zusammen. Auch sie erinnern sich. Der Marsch auf Heilbronn sei trotz der acht Kilometer Strecke eine Leichtigkeit gewesen, meint zum Beispiel Harry Schenk.
Vecih Özdemir erfüllt der Tag bis heute mit Stolz, schließlich war ein Großteil der Belegschaft damals wie er türkischer Abstammung - 40 Prozent der 10.000 Angestellten. Außerdem war er einer derjenigen, die in der ersten Reihe mitmarschiert sind und das Banner getragen haben.
Feierlichkeiten am Gründonnerstag in Neckarsulm
Mit einer Sonderausstellung feierte Audi am Gründonnerstag das Jubiläum im Audi-Forum in Neckarsulm. Nur weil das eigentliche Datum, der 18. April, auf den Karfreitag 2025 fällt, hatte sich Audi entschieden die Feierlichkeiten und die Ausstellung einen Tag vorzuziehen.