In der "Hölder-Initiative" in Lauffen am Neckar (Kreis Heilbronn) haben sich knapp 30 Familien aus der Umgebung zusammengetan. So unterschiedlich ihre Kinder sind, so ähnlich sind die Sorgen und Nöte.
"Wir fordern von der Politik weniger Bürokratie und mehr Unterstützung", sagt Verena Sophie Niethammer, Mutter und Mitglied der "Hölder-Initiative". Sie hat an einer entsprechenden Kampagne mitgewirkt. Hoffnung setzen die Eltern in die am Mittwoch vereidigte neue Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne).
Bürokratie erschwert die Arbeit der pflegenden Eltern
Verena Sophie Niethammer wohnt im Landkreis Heilbronn und pflegt seit acht Jahren ihren Sohn. Der bekam bei der Geburt zu wenig Sauerstoff, ist dadurch schwer mehrfachbehindert und auch seine Nieren funktionieren nur eingeschränkt.
Um selbst einfache Dinge, wie einen Rollstuhl oder einen Kindergartenplatz durchzusetzen, müsse man schon eine Art kleiner Anwalt oder Arzt sein. Die Kinder selbst sind großartig, es sind nicht sie, sondern die Umstände, die den Alltag oft belasten.
Schriftverkehr mit Ämtern und Krankenkassen regelrechte Papierflut
Der Schriftverkehr mit Ämtern, Kranken- und Pflegekassen, Trägern und vielen anderen, füllt bei den Familien nicht selten mehrere Ordner.
Da ist der befristete Schwerbehindertenausweis, die befristete Pflegestufe, der Streit um Hilfsmittel, wie Orthesen und um Medikamente oder Therapien. Nicht selten komme ein Hilfsmittel nach Monaten, wenn das Kind es schon nicht mehr brauche oder rausgewachsen sei, so Niethammer.
Wir müssen uns immer wieder erklären, Dinge begründen, wir fordern als Initiative deshalb eine Beweislastumkehr. Hieße, die Kassen müssten bei einer Ablehnung der Zahlung den Ärzten und Sozialpädiatrischen Zentren beweisen, dass deren verordnetes Hilfsmittel unnötig ist.
Dieser ganze Kampf und der bürokratische Aufwand sind sehr zermürbend für die Eltern, die ohnehin schon oft an der Belastungsgrenze und darüber hinaus sind, schildert Niethammer.
Gefahr des sozialen Abstiegs vor allem für die Mütter
Damit die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf gelingen kann, braucht es viel Unterstützung. Doch was, wenn der Pflegedienst wegen Personalmangel kurzfristig absagt, der Kindergarten Inklusion nicht gewährleisten kann oder will? Dazu komme, dass es keine wirklich "pflegesensiblen Strukturen" am Arbeitsmarkt gibt, kritisiert der Verein.
Eltern, die häufig Arzttermine mit dem Kind haben, Therapien wahrnehmen müssen, täglich mit den Kindern Übungen machen sollen und öfter im Jahr zur Reha weg sind, sind auf dem Arbeitsmarkt nicht unbedingt die erste Wahl, sagt Niethammer.
Zwar gibt es vom Gesetzgeber Instrumente wie Pflegezeiten, doch die orientieren sich an Senioren. Es geht um eine Überbrückungszeit (unbezahlt), nicht um Pflegende, die dauerhaft gefordert sind, kritisiert die Initiative.
Die Eltern fordern das Angebot einer Tages- oder Nachtpflege, das es bisher für Kinder und Jugendliche mit Pflegebedarf in ganz Deutschland nicht gibt. Wenn überhaupt bekämen Kinder mit Intensivpflegebedarf eine Verordnung über Nachtpflege, wobei die Pflegedienste die notwendigen Stunden selten vollständig abdecken könnten und Eltern deshalb einen Großteil selbst übernehmen müssten, beklagt Niethammer.
Kinderpflegestützpunkte als zentrale Anlaufstellen
Angelehnt an die schon bestehenden Senioren- und Pflegestützpunkte wünschen sich die pflegenden Eltern flächendeckende, spezielle Kinderpflegestützpunkte mit qualifiziertem Personal, die ihnen im Bürokratiedschungel helfen.
Außerdem fordern sie mehr Einrichtungen der Kurzzeitpflege und stationäre Pflege für Kinder und Jugendliche. Bislang gebe es deutschlandweit nur knapp über 200. Die Folge, lange Wartelisten und hohe finanzielle Eigenanteile.
Hoffen auf die neue Familienministerin
Ihre Forderungen hat die Lauffener Initiative in einem Paper mit Handlungsempfehlungen an die Politik formuliert. Dieses wollen sie auch der am Mittwoch vereidigten neuen Bundesfamilienministerin, Lisa Paus (Grüne) zuschicken. Bei den Vorgängerinnen Anne Spiegel (Grüne) und Franziska Giffey (SPD) seien die Eltern aus Lauffen eher auf taube Ohren gestoßen, sagt Niethammer.
Bei aller Kritik an den Strukturen und der Bürokratie soll nicht unerwähnt bleiben, dass es ganz viele engagierte Ärztinnen und Ärzte, Logo-, Physio- und Ergotherapeutinnen und Therapeuten, Erzieherinnen und Erzieher, Pflege- und Lehrkräfte gibt, die jeden Tag versuchen das Leben der betroffenen Kinder und Eltern zu erleichtern. Auch Mitarbeitende von Krankenkassen oder Behörden gehören dazu.
SWR Hörfunkbeitrag zum Thema: