Manfred Lucha (Bündnis 90Die Grünen), Minister für Soziales, Gesundheit und Integration in Baden-Württemberg, nimmt an einer Regierungs-Pressekonferenz im Bürger- und Medienzentrum des Landtags von Baden-Württemberg teil. (Foto: dpa Bildfunk, picture alliance/dpa | Marijan Murat)

Expertenanhörung zum Pandemie-Management

Lucha will unter anderem Maskenpflicht wieder einführen können

Stand

Baden-Württembergs Gesundheitsminister Manfred Lucha (Grüne) drängt weiter auf eine Anpassung des Infektionsschutzgesetzes. Nur so könnten sich die Länder auf den Herbst vorbereiten.

Die Landesregierung von Baden-Württemerg will sich angesichts steigender Corona-Infektionszahlen auf den kommenden Herbst vorbereiten. Gesundheitsminister Lucha war deshalb am Freitag mit Fachleuten aus Wissenschaft und Gesundheitssystem in Stuttgart zusammengekommen, um über das weitere Vorgehen zu beraten.

Wirksamste Mittel laut Lucha: Maskenpflicht und Zutrittsbeschränkungen

Lucha forderte erneut vom Bund den "bewährten Instrumentenkasten" an Corona-Maßnahmen zur Bewältigung der Pandemie im Herbst. Dazu gehöre als wichtigste Maßnahme die Maskenpflicht in Innenräumen, sagte Lucha bei der Online-Expertenanhörung zum Pandemiemanagement. Das bedeute nicht, dass man jedes Instrument nutzen müsse, aber wenn sich eine Verschlechterung der Lage abzeichne, sei es erforderlich, schnell regieren zu können, so Lucha.

Expertenrunde berichtet über Corona-Lage

An dem Online-Austausch mit Minister Lucha nahmen unter anderem der Epidemiologe des Landesgesundheitsamts, Stefan Brockmann, teil sowie Vertreter und Vertreterinnen der Kommunen und des öffentlichen Gesundheitsdienstes. Um eine Prognose zur Lage im Herbst abzugeben, waren außerdem Führungskräfte der Unikliniken in Tübingen, Heidelberg und Freiburg geladen. Über die Vorbereitungen im Gesundheitswesen berichteten etwa die Kassenärztliche Vereinigung, die Krankenhausgesellschaft und die Landesärztekammer.

Baldiger Anstieg von Patienten auf Intensivstationen erwartet

Wie stark eine Welle im Herbst ausfällt, hängt laut dem Epidemiologe Stefan Brockmann von drei Faktoren ab: Welche Virusvariante dann vorherrsche, wie sehr andere Atemwegserkrankungen hinzukämen und wie sehr die Immunität in der Bevölkerung nachlasse. Er erwarte erneut eine spürbare Belastung der Kliniken. Gesundheitsminister Lucha ergänzte, auf den Intensivstationen dürfte es bereits in der nächsten Woche einen Zuwachs der Patientenzahlen um 15 Prozent geben.

Zahl der Neuinfektionen steigt seit Wochen steil an

Die Zahl der Corona-Neuinfektionen nimmt auch in Baden-Württemberg seit Ende Mai wieder zu. Die landesweite Sieben-Tage-Inzidenz hat inzwischen fast die Marke von 600 erreicht. Das bedeutet, dass sich zuletzt innerhalb einer Woche und pro 100.000 Einwohner wieder fast 600 Menschen neu mit dem Coronavirus infiziert haben. Allein in der vergangenen Woche sind 60.000 neue Corona-Fälle in Baden-Württemberg registriert worden. Experten schätzen aber, dass die Zahl der Neuinfektionen tatsächlich deutlich höher liegt und nicht alle Fälle in der Statistik erfasst werden. Auch die Zahl der Todesfälle in Verbindung mit dem Virus sowie der Covid-Patienten in den Kliniken steigt wieder. Allein der aktuelle Tagesbericht des Landesgesundheitsamtes vom Freitag weist zehn neue Todesfälle in Zusammenhang mit Covid-19 aus.

Im SWR sagte Lucha, in diesem Sommer würden zwar mehr Menschen in Baden-Württemberg wegen Corona auf den Intensivstationen der Kliniken behandelt als im vergangenen Jahr. Die Lage sei aber beherrschbar. Wichtig sei, dass das Klinikpersonal geschützt ist, so der Grünen-Politiker.

Lucha zufrieden mit Beschlüssen der Gesundheitsministerkonferenz

Die Gesundheitsministerinnen und Gesundheitsminister der Länder haben sich am Freitag auf Maßnahmen für den Corona-Herbst geeinigt. Darin werden unter anderem eine Maskenpflicht und Abstandsgebote in Innenräumen gefordert sowie eventuelle Personenobergrenzen und die Möglichkeit, Immunitätsnachweise zu verlangen. Lucha sagte über den einstimmigen Beschluss der Länder im SWR, daran komme jetzt auch der Bund nicht mehr vorbei. Die Regierung sei gut beraten, alle Punkte ins Infektionsschutzgesetz aufzunehmen. Eine Maskenpflicht in Innenräumen sei richtig und notwendig. Das hätten sowohl Gesundheitsexpertinnen und -experten auf Landesebene als auch der Sachverständigenrat in Berlin bestätigt. Die Masken müssten aber auch passgenau getragen werden, so die Mahnung der Experten. Lucha will deshalb mit Videos für mehr Aufklärung sorgen und mit Maskenherstellern über bessere Passformen sprechen. Vulnerable Gruppen müssten im Herbst und Winter besonders geschützt und die Schließung von Schulen oder Kitas auf jeden Fall vermieden werden.

Sachverständigenrat empfiehlt Maskenpflicht

In Berlin hat am Freitag der Sachverständigenrat über die Wirksamkeit der bisherigen Corona-Maßnahmen berichtet und für die Zukunft vor allem das richtige und konsequente Tragen von Masken empfohlen.

Hier sehen Sie eine Zusammenfassung der Ergebnisse des Sachverständigenrats:

In Baden-Württemberg haben sich Politikerinnen und Politiker zu dem Ergebnissen des Sachverständigenrates geäußert - und kommen zu unterschiedlichen Schlussfolgerungen. Aus Sicht der AfD ist die endemische Lage entscheidend. Der AfD-Landtagsabgeordnete Rainer Podeswa schließt eine Maskenpflicht in geschlossenen Räumen nicht aus, rät von Schulschließungen in jedem Fall aber ab. FDP-Generalsekretärin Judith Skudelny sagte, bei der Datenerhebung zur Bewertung der Pandemie könne man noch vieles besser machen. Der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU-Bundestagsfraktion, Thorsten Frei, aus dem Wahlkreis Schwarzwald-Baar/Oberes Kinzigtal will, dass die Landesregierungen frühzeitig in die Lage versetzt werden, flexibel und zielgerichtet auf die Pandemie reagieren zu können.

Kretschmann verteidigt Corona-Politik gegen Protest in Aalen

Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) wurde am Donnerstagabend bei einem Bürgerempfang in Aalen (Ostalbkreis) lautstark von Demonstrierenden kritisiert worden. Rund 150 Gegner der Corona-Politik und Anhänger der "Querdenken"-Bewegung hielten Plakate mit Aufschriften wie "Keine Impfpflicht, keine Maskenpflicht" hoch, riefen "Lügner" und warfen ihm eine verfehlte Corona-Politik vor. Kretschmann wies die Kritik zurück: Die getroffenen Maßnahmen seien zum Schutz der Bürger richtig gewesen. Selbstkritisch betonte er, dass man nicht alles richtig gemacht habe, weil man zunächst zu wenig wusste.

"Allerdings: Manches hätte ich auch schärfer gemacht und schneller als ich es gemacht habe."

Kretschmann verwies weiter darauf, dass es auch im Herbst "den vollen Instrumentenkasten an Maßnahmen" brauche, um auf die Entwicklung der Pandemie reagieren zu können.

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