Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) will die Rüstungsindustrie zu einem neuen Schwerpunkt in Baden-Württemberg machen. Deutschland und Europa wollen viele Milliarden Euro in die Verteidigung investieren. Das lässt die Aktienkurse von Rüstungsunternehmen in die Höhe schießen. Viele Anlegerinnen und Anleger sehen darin offenbar große Renditechancen und investieren in entsprechende Aktien, Fonds und ETFs. Das wäre vor wenigen Jahren noch undenkbar gewesen, sagt Bernd Villhauer vom Weltethos-Institut in Tübingen.
Doch mit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine habe ein gesellschaftliches Umdenken stattgefunden. Das Bild von Rüstung habe sich gewandelt. Militär werde nun als "notwendiges Übel", gerade hinsichtlich der Verteidigung gesehen. "Deswegen ist die Bereitschaft, das auch selbst im Anlageverhalten abzubilden, viel größer geworden", sagt der Finanzethiker.
Zwei Typen von Anlegern: Profitorientiert oder verantwortungsvoll?
Dabei müsse zwischen zwei Typen von Anlegern unterschieden werden, erklärt Villhauer. Auf der einen Seite gebe es die Profitorientierten: "Die greifen nun zu und gehen da rein". Die verantwortlichen Anleger andererseits würden weiterhin differenzieren. Für diese Gruppe sei immer noch wichtig, dass sie beispielsweise nicht in Streubomben oder chemische Waffen investieren, so der Experte. Der Diskurs drehe sich nun vermehrt darum, welche Waffen der Verteidigung dienen und welche Angriffswaffen seien.
"Das Dilemma ist für einen moralisch verantwortlichen Anleger aber nicht zu umgehen. Wer in Rüstung und diesen ganzen Bereich investiert, kann sich durchaus mitschuldig machen und der verdient in gewisser Weise daran, dass irgendwo Menschen sterben."
Das sieht man bei der GLS-Bank, der nach eigener Aussage ersten sozial-ökologischen Bank Deutschlands, ganz ähnlich. Investitionen in Rüstung werden hier kategorisch ausgeschlossen. Diese sei zwar notwendig, aber nicht nachhaltig, teilt Sprecherin Nora Schareika auf SWR-Anfrage mit. Man sehe es kritisch, dass ein Teil der Anleger und Anlegerinnen Aktien von Rüstungsfirmen als lohnendes Investment betrachten. "Damit verengen sie die aus ernsten Gründen notwendige Aufrüstung auf den Aspekt Rendite", sagt sie. "Wir befürchten, dass sich damit eine Entwicklung verselbständigt und Rüstung zum Selbstzweck wird."
GLS-Bank: Interesse an nachhaltigen Anlagen ungebrochen
Umso wichtiger ist es der GLS-Bank gerade in Zeiten der Aufrüstung, in ihre Kernbereiche zu investieren: Erneuerbare Energien, Wohnen, Ernährung, Bildung, Soziales und nachhaltige Wirtschaft. Ohnehin sei das Interesse an nachhaltigen Geldanlagen bei der GLS-Bank ungebrochen, so die Sprecherin. Die Kundinnen und Kunden hätten zwar Fragen. "Allerdings nicht, weil sie sich Anlageangebote im Bereich Rüstung wünschen, sondern weil sie verunsichert sind oder unsere Haltung dazu erfahren wollen", sagt Schareika.
"Es erscheint uns nicht angemessen, durch Angebote mit Rüstungstiteln zu ermöglichen, dass Anlegende aus dem Leid eines Krieges privates Kapital schlagen."
Solch klare Bekenntnisse von Banken wie der GLS empfindet Bernd Villhauer als glaubwürdig. Schließlich hätten diese nachhaltige Anlagen seit der Gründung in ihrer DNA. Daher erwartet er auch nicht, dass sie von ihrer Linie abrücken. Bei anderen Banken, die nachhaltige Produkte nur als "nice to have" in ihrem Portfolio haben, hat der Finanzethiker seine Zweifel, ob sie der Versuchung ob der hohen Gewinne widerstehen können: "Der zweite Typ von Banken wird sich das höchstwahrscheinlich nicht entgehen lassen, dass man nun im Rüstungsbereich wieder richtig Kohle machen kann."

Investitionen in Rüstung waren in Deutschland lange verpönt
Denn lange Zeit sah das ganz anders aus. Zwar habe es vor dem Ersten Weltkrieg eine gewisse Kriegsbegeisterung in Deutschland gegeben. Doch seit Ende des Zweiten Weltkrieges sei Rüstung gerade bei Deutschen verpönt gewesen, erläutert Villhauer. Interesse an Investitionen in diesem Bereich habe es eigentlich nicht gegeben.
Dass sich die Wahrnehmung nun verändert hat, sieht auch Waffenhersteller Heckler & Koch mit Sitz in Oberndorf am Neckar (Kreis Rottweil). "Wir bemerken seit einigen Jahren, spätestens seit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine, eine erhöhte Aufmerksamkeit und auch Interesse an unseren Produkten, erklärt Sprecher Alexander Schuster auf SWR-Anfrage.
Heckler & Koch verkauft Waffen nur an bestimmte Staaten
Das Unternehmen, das unter anderem die Polizei und die Bundeswehr ausstattet, hat sich selbst eine sogenannte Grüne-Länder-Strategie gegeben. Heckler & Koch verkaufe seine Waffen nur an NATO- und EU-Staaten "sowie mit der NATO assoziierte Staaten und ausgewählte Sicherheitspartner der Bundesrepublik Deutschland", betont Schuster.
Das gesteigerte Interesse an Geldanlagen von Rüstungsfirmen liegt aber nicht ausschließlich an den sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen, meint Bernd Villhauer. Auch der Zugang zu Geldanlagen spiele eine Rolle. Durch Smartphones, Online-Broker und entsprechende Trading-Apps hat sich dieser deutlich vereinfacht. Daher investierten aktuell auch besonders viele junge Menschen an der Börse, sagt Villhauer.
In seinen Lehrveranstaltungen zeichne sich ab, dass es auch hier zwei Gruppen gebe: Diejenigen, die kompromisslos nachhaltig investieren und diejenigen, die auf Profite schielen. Wichtig ist dem Dozenten dabei: Man kann nachhaltig und profitabel investieren. "Diese Legende, dass sie entweder Geld verdienen oder das moralisch Richtige tun, ist Unsinn", sagt er. "Sich verantwortlich zu verhalten, heißt nicht, auf Gewinn zu verzichten."
Grundproblem: Begriff der Nachhaltigkeit nicht genau definiert
Umso drängender stellt sich die Frage, wie Nachhaltigkeit und Investitionen in Rüstung zusammenpassen. Das Grundproblem sieht Villhauer im Nachhaltigkeitsbegriff. Dieser sei nicht scharf genug definiert. Das zeige sich auch am Beispiel Atomkraft, die von der EU als nachhaltig eingestuft wurde und damit erhebliche Kritik auslöste. Bei der Rüstung habe man nun ein ähnliches Problem.
"Die EU hat Rüstungsaktien nicht aus Nachhaltigkeits-Portfolios ausgeschlossen. Als Anleger muss man also selbst überlegen, was man als nachhaltig verstehen will."
Gerade weil der Nachhaltigkeits-Begriff Interpretationsspielraum bietet, warnt die GLS-Bank davor, diesen weiter aufzuweichen. Waffen und Rüstungsgüter seien nicht nachhaltig, erklärt Sprecherin Schareika: "Sie zerstören bei Einsatz Leben, Gesellschaften, Umwelt und Infrastrukturen. Rüstungstitel mit einem Nachhaltigkeitslabel zu versehen, würde Anlegende noch stärker verunsichern."
Schon jetzt müssten Anlegerinnen und Anleger genau schauen, wie sich die ETF zusammensetzen. Denn neben offensichtlichen Finanzprodukten von großen Rüstungskonzernen liegt eine große Grauzone. So gibt es viele Zuliefererfirmen oder aber sogenannte Dual-Use-Güter, die sowohl zivil als auch militärisch verwendet werden können.
Schwierige Unterscheidung für Anlegerinnen und Anleger
"Die Grenzen sind wirklich fließend", sagt auch Bernd Villhauer. Es sei sehr schwierig, zwischen Defensiv- und Offensivwaffen zu unterscheiden. Das Argument, manche Waffen könnten auch der Verteidigung dienen, reicht Villhauer persönlich nicht aus. Er empfiehlt, von Fall zu Fall zu entscheiden und zu prüfen: "Profitiere ich langfristig von einer Beilegung oder Verschärfung des Konfliktes?"
Ehrlichkeit zu sich selbst und dem eigenen Umfeld ist für den Finanzethiker ohnehin der Schlüssel bei diesem hochkomplexen Thema. Wenn man offen diskutiere und für sich selbst definiere, was nachhaltig und verantwortlich ist, sei man auf dem richtigen Weg.