Ein Mitarbeiter des Energiekonzerns EnBW geht an Anlagen des Heizkraftwerk 3 Stuttgart-Gaisburg vorbei, rechts ist ein Gaskessel zur Warmwasserbereitung zu sehen. (Foto: dpa Bildfunk, picture alliance/dpa | Marijan Murat)

Drohende Lieferengpässe

"Gasgipfel" in BW: Industrie und Handwerk fordern klare Kriterien

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Johannes Böhler

Einigkeit herrscht darüber, dass gespart werden muss. Doch noch ist nicht geklärt, welche Gewerke bei einem Lieferengpass leer ausgehen. Ein Krisengipfel soll Klarheit bringen.

Wegen des Ukraine-Kriegs drohen im Winter Einschränkungen bei der Gasversorgung. Weil dies auch in Baden-Württemberg zu einer schweren Wirtschaftskrise führen könnte, hat die Landesregierung kurzfristig am Montag einen Krisengipfel einberufen.

An dem Krisengipfel im Neuen Schloss in Stuttgart nehmen neben Mitgliedern der Landesregierung wie Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne), Innenminister Thomas Strobl (CDU) und Umweltministerin Thekla Walker (Grüne) rund 40 Vertreterinnen und Vertreter von Wirtschaft, Kommunen, Gewerkschaften sowie den Versorgungsunternehmen teil.

Bundesnetzagentur entscheidet über Verteilung

Zunächst wird der Chef der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, per Videoschalte einen aktuellen Lagebericht abgeben. Vor allem Industrie- und Handwerksbetriebe wollen von ihm wissen, was auf sie zukommt, sollte das Gas nicht in gewohntem Umfang fließen. Die Bundesnetzagentur entscheidet im Fall eins Mangels, wie das Gas verteilt wird. Grundsätzlich gilt, dass private Haushalte bei Ausfällen der Gasversorgung Vorrang gegenüber der Industrie haben. Allerdings ist die Frage, welche Firmen als systemrelevant eingestuft und weiterversorgt werden.

Nach dem Treffen soll es am Mittag eine Pressekonferenz geben, die auf swr.de im Live-Stream zu sehen sein wird.

Landkreistag mahnt: Einsparpotenziale konsequent ausschöpfen

"Es besteht große Einigkeit, dass jede Kilowattstunde an Gas, die wir heute einsparen, dazu beitragen wird, die Versorgungssicherheit im kommenden Winter sowohl für private Haushalte wie auch für die Wirtschaftsunternehmen im Land zu gewährleisten", sagt der Hauptgeschäftsführer des Landkreistags Baden-Württemberg, Alexis von Komorowski. Deshalb arbeiteten die Landkreise schon jetzt mit Hochdruck daran, zusätzliche Einsparpotenziale in kreiseigenen Gebäuden zu identifizieren und konsequent auszuschöpfen. "Für die kommenden Jahre wollen wir alles daran setzen, beim Ausbau der Erneuerbaren Energien mit großen Schritten voranzukommen und die Abhängigkeit von russischen Energielieferungen zu minimieren", so von Komorowski.

EnBW-Vorstand: Energie an der richtigen Stelle sparen

"In dieser herausfordernden Situation gilt es, die Energieversorgung in Deutschland und Baden-Württemberg weiterhin sicher zu gewährleisten", antwortet Frank Mastiaux, Vorstandsvorsitzender der EnBW Energie Baden-Württemberg AG auf eine Anfrage des SWR. "Gemeinsam mit den Regierungsstellen bereiten wir uns als EnBW in enger und guter Zusammenarbeit auf eine eventuelle Verschärfung der Lage vor - wenn auch momentan rein vorsorglich." Energie an der richtigen Stelle zu sparen, sei dabei ein wesentlicher Hebel, der in der Öffentlichkeit noch deutlich stärker vermittelt werden müsse, so Mastiaux. Er begrüße daher die Initiative der Landesregierung, alle relevanten Akteure an einem Tisch zu versammeln.

IG Metall: Frieren für die Industrie unzumutbar

"Einen starken Industriestandort wie Baden-Württemberg könnte ein Gasstopp empfindlich treffen", sagt Roman Zitzelsberger, Bezirksleiter der IG Metall Baden-Württemberg. Deshalb sei auch er froh darüber, dass die Landesregierung alle wichtigen Akteure an einem Tisch versammle. "Wir wollen erreichen, dass die Produktion in der Industrie so lange wie möglich weiterläuft", sagt Zitzelsberger. Eventuell notwendige Abschaltungen von Produktionsanlagen müssten kontrolliert ablaufen, damit diese nicht beschädigt werden, verlangt er. In dieser Hinsicht am härtesten würde ein Erdgas-Lieferengpass seiner Einschätzung nach Betriebe mit heißer beziehungsweise flüssiger Metallverarbeitung wie Gießereien und Härtereien treffen. Für Unternehmen, die ihren Zahlungsverpflichtungen aufgrund von Energieengpässen nicht mehr nachkommen können, fordert er eine Aussetzung dieser.

Einen Verteilungskonflikt zwischen Industrie und Zivilgesellschaft schließt er grundsätzlich aus. "Wir gehen davon aus, dass die geltenden Abschaltehierarchien nicht grundsätzlich verändert werden", sagt Zitzelsberger. "Dass Menschen zuhause frieren müssen, damit die Industrie weiterlaufen kann, - das wäre unzumutbar", so der Gewerkschafter. In Bezug auf die steigenden Energiekosten für Privathaushalte sieht er die Bundesregierung in der Verantwortung. Diese träfen nicht nur Menschen mit geringem, sondern auch mit mittleren Einkommen. "Der Staat muss das abfedern - sonst gibt es riesige Probleme", sagt Zitzelsberger.

Handwerkstag fordert Schutz für Betriebe

Peter Haas, Hauptgeschäftsführer des Baden-Württembergischen Handwerkstags e.V., blickt dem "Gasgipfel" mit großen Erwartungen entgegen. "Erstens erwarten wir, ein klareres Bild über die Ideen aller Akteure zum Thema Energiesparen zu bekommen", sagte er dem SWR. "Zweitens müssen Landesregierung und Bundesnetzagentur endlich planbare Kriterien liefern." Bislang wisse kein Handwerksbetrieb, ob er bei einem Lieferengpass im Winter noch Gas bekomme oder nicht. Selbst die Netzbetreiber tappten im Dunkeln. "Es hilft doch nichts, nur die BASF zu schützen, wenn es dafür am Ende kein Brot mehr gibt", sagt Haas.

Aktuell hätten Lebensmittel produzierende Betriebe wie Bäckereien keine Sicherheit in Form einer entsprechenden Schutzklassifizierung, auch wenn Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) dies behaupte. Auch soziale Einrichtungen wie Krankenhäuser könnten nur dann funktionieren, wenn Betriebe wie Textilreinigungen weiterarbeiten könnten, gibt Haas zu bedenken. "Sonst steht der Chirurg am Ende ohne sauberen Kittel da." Grundsätzlich begrüße der Handwerkstag die Möglichkeit, diese Fragen auf dem "Gasgipfel" zu diskutieren. Er dürfe aber nicht nur ums Sparen gehen, sondern auch um die Planung.

Südwestmetall: Unwägbarkeiten für Industriebetriebe groß

Ähnlich gelagert sind auch die Interessen des Arbeitgeberverbandes Südwestmetall: "Wir brauchen endlich planbare Kriterien für den Fall einer Versorgungskrise an die Hand", sagte eine Sprecherin dem SWR. Im Moment seien die Unwägbarkeiten für die Industriebetriebe groß.

Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU) macht sich Sorgen, dass bei einer Gasmangellage der Süden benachteiligt werden könnte, weil bei den Pipelines Bayern und Baden-Württemberg die "letzten Glieder der Kette seien". Sie forderte daher vom Bund Klarheit, in welcher Reihenfolge und nach welchen Maßgaben Betriebe im in diesem Fall beliefert werden sollen. Auch für Innenminister und Vize-Regierungschef Thomas Strobl (CDU) eine "gleichmäßige, bedarfsgerechte und damit gerechte Verteilung des Gases im gesamten Netz der Bundesrepublik" entscheidend, um durch die kommenden Monate zu kommen.

Kretschmann: Mit zwei Grad zwölf Prozent Heizkosten sparen

Bereits im Vorfeld des "Gasgipfels" hatte Ministerpräsident Kretschmann zum Energiesparen aufgerufen: Wer die Raumtemperatur um zwei Grad absenke, könne zwölf Prozent der Heizkosten sparen. In der Summe habe dies einen gewaltigen Effekt, um die Gasspeicher zu füllen, so der Regierungschef. Auch die Landesverwaltung will den Verbrauch von Gas und Strom senken. Im Gespräch ist beispielsweise wieder auf mehr Homeoffice zu setzen und in Behörden Klimaanlagen sowie das Warmwasser in den Sanitärbereichen abzustellen.

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Johannes Böhler