Wenn Landwirtschaft krank macht

Bauern im Burnout: Wie ein Landwirt aus Tengen den Neustart geschafft hat

Stand

Von Autor/in Jan Lehmann

Nach dem Tod seines Vaters kam der Zusammenbruch. Stefan Leichenauer war am Ende. Doch zum Glück ließ sich der Landwirt helfen - und als einer der Wenigen spricht er darüber.

Viele Landwirte und Landwirtinnen stehen offenbar am Rande der völligen Erschöpfung. Laut einer Studie der Uni Salzburg ist mehr als jeder Vierte Burnout-gefährdet. Eine weitere Studie kommt zu dem Ergebnis, dass mindestens ein Fünftel der Landfrauen betroffen ist. Damit sind die Landwirtinnen und Landwirte deutlich stärker gefährdet als viele andere Berufsgruppen. Darüber reden wollen sie allerdings nicht so gerne.

Ein Landwirt bricht das Eis und spricht über sein Burnout

Stefan Leichenauer ist da eine seltene Ausnahme. Der Landwirt aus Tengen-Uttenhofen (Kreis Konstanz) spricht offen darüber, wie ihn vor einigen Jahren ein Burnout in die Knie zwang. Aber auch, wie aus der Krise letztlich eine Chance wurde. Heute appelliert er an seine Kollegen: "Wenn ihr merkt, dass mit einem was nicht stimmt, fragt ihn doch mal: Du, dir geht's nicht gut, was ist?" Damals dachte er, er sei damit allein. Inzwischen weiß er, dass er bei weitem nicht der Einzige ist.

Heute rufen mich gestandene Männer an, die ich kenne, von denen ich nie dachte, dass das dahinter ist.

Landwirt Stefan Leichenauer hat seinen Burnout öffentlich gemacht
Die Ackerböden im Hegau sind steinig - so war auch der Weg von Stefan Leichenauer.

Das Stopp-Signal kam im Sommer 2016. Nach dem überraschenden Tod seines Vaters im Jahr zuvor musste Stefan Leichenauer den Familienbetrieb plötzlich allein stemmen. Und war damit zusehends überfordert. An einem Sommertag ist er mit dem Mähdrescher auf dem Feld unterwegs. Als er aussteigt, um das Schneidwerk abzuhängen, bricht er plötzlich zusammen. "Der Akku war leer." Ein bis zwei Stunden liegt er halb unter der Maschine, bewusstlos. Der Motor läuft die ganze Zeit weiter. Dann entdeckt ihn zum Glück sein Cousin.

"Nur noch funktioniert" - Burnout belastet die ganze Familie

Leichenauer tut das Ganze zunächst ab, sagt, er habe einfach zu wenig geschlafen. Doch dann wird ihm schmerzhaft klar, dass er am Ende ist. "In dieser Nacht, sag ich ehrlich, hab' ich Selbstmordgedanken gehabt." Noch heute gerät er ins Stocken, wenn er davon erzählt. Damals spricht er mit seiner Frau Nicole. Offenbart ihr, wie es ihm wirklich geht. Sie ist wenig überrascht. Schließlich hat sie ihren Mann schon seit langem gereizt, launisch und bisweilen antriebslos erlebt. Zu diesem Zeitpunkt ist sie selbst bereits völlig erschöpft: "Ich hab' zum Schluss nur noch funktioniert. Ich habe geguckt, dass die Kinder versorgt sind und der Hof einfach läuft."

Insgeheim hab' ich immer gehofft, dass er irgendwann mal die Einsicht hat, dass man ihm helfen muss.

Stefan Leichenauer und Nicole Kopp führen den Familienbetrieb gemeinsam.
Stefan Leichenauer und Nicole Kopp haben die Krise gemeinsam gemeistert - und führen heute einen erfolgreichen Familienbetrieb.

Erst jetzt sieht Stefan ein, dass er etwas tun muss. Er holt sich therapeutische Hilfe, nimmt an einem einwöchigen Anti-Stress-Seminar teil. Und er beschließt gemeinsam mit seiner Frau, den Betrieb zu verkleinern. Das Milchvieh wird verkauft, sie konzentrieren sich jetzt ganz auf Mastbullen und Ackerbau. Nicole nimmt einen Job in einer Tengener Arztpraxis an. So kommen sie gut über die Runden und haben seitdem deutlich weniger Stress.

Psychische Probleme bei Bauern - Verbände und Behörden reagieren

Das Thema Burnout beschäftigt zunehmend auch die Bauernverbände. Auch weil Hilfe immer wieder zu spät kommt. "Die Suizidrate in der Landwirtschaft ist leider recht hoch", weiß Stefan Leichenauer, der auch Vorsitzender des BLHV-Kreisverbands Konstanz ist. Allein in seinem Umfeld habe es in den letzten Monaten drei Fälle gegeben. Damit es nicht soweit kommt, hat die Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau (SVLFG) eine 24-Stunden-Krisenhotline eingerichtet. Und die wird von den Landwirten immer häufiger genutzt. Etwa 150 Menschen rufen dort inzwischen pro Monat an. Jeder Dritte hat psychische Probleme.

Stefan Leichenauer und seine Familie am Küchentisch
Wie war der Tag? Stefan Leichenauer, seine Frau Nicole Kopp und die Söhne Moritz (links) und Nils (zweiter von rechts) nehmen sich abends oft Zeit zum Reden.

Selbsthilfegruppe für Landwirte auf der Baar geplant

"Der Druck auf Landwirte ist wesentlich größer geworden", erklärt Hans-Martin Schwarz vom Landwirtschaftsamt des Schwarzwald-Baar-Kreises. Er muss es wissen, denn er ist seit über 20 Jahren Betriebsberater. Durch weniger Personal laste viel Arbeit und Verantwortung auf den Familien. Dazu kommen strenge Auflagen, immer mehr Bürokratie und ständig schwankende Marktpreise. Nicht zuletzt sind auch die Ansprüche der Gesellschaft groß: "Heute meint jeder, er sei ein Agrarexperte", sagt Schwarz. Doch die Vorstellung vom idyllischen Bilderbuch-Bauernhof sei nicht erfüllbar. All das sorgt für Stress, der krank machen kann.

Gemeinsam mit dem BLHV bietet der Landkreis Seminare zur mentalen Gesundheit an. Eine Selbsthilfegruppe für Burnout-gefährdete Landwirte im Schwarzwald-Baar-Kreis sei gerade im Entstehen, berichtet Schwarz. Auch die SVLFG bietet zahlreiche Hilfen und Kurse an. Im Landkreis Ravensburg wurde zudem die erste Kontaktstelle für Landwirte in Not eingerichtet - weitere sollen in Baden-Württemberg bald folgen.

Burnout passt nicht ins Selbstbild vieler Bauern

Stefan Leichenauer ist froh, dass er damals die Reißleine gezogen hat. "Zum Glück hat mein Körper Stopp gesagt - und ich habe auf ihn gehört." Nicht alle Kollegen haben darauf feinfühlig reagiert. "Es ist viel geschwätzt worden", sagt der Landwirt. Zuzugeben, dass man mit den Kräften am Ende ist, gehört nicht unbedingt zum Selbstbild eines zähen Bauern. Aber es gab auch viel Zuspruch und Unterstützung. Vor allem von seiner Familie. Und mittlerweile zollen ihm auch viele Kollegen Respekt für seine Offenheit - oder wenden sich in Notsituationen an ihn.

Auch mal aufs E-Bike schwingen oder walken

Er sei immer noch "Landwirt aus Leidenschaft", sagt Stefan Leichenauer. Aus seiner persönlichen Krise hat er neue Kraft und Motivation geschöpft. Das hat ihm 2020 sogar den Titel "Ackerbauer des Jahres" eingebracht. Mit seiner Begeisterung für nachhaltige Erzeugung und regionale Vermarktung hat Stefan auch seine beiden Söhne Nils und Moritz angesteckt. Beide packen auf dem Lauterbachhof mit an. Und machen ihre Sache so gut, dass sich ihre Eltern auch mal guten Gewissens aufs E-Bike schwingen, walken oder sogar ein paar Tage verreisen können.

Landwirt Stefan Leichenauer fotografiert den Blick von seinen Feldern ins Hegau
Zeit für die Schönheit der Natur im Hegau: Stefan Leichenauer postet seine Fotos gerne auf Facebook und Instagram. Bild in Detailansicht öffnen
Mähdrescher mit einem Traktor auf einem Feld bei Sonnenuntergang
Ernte bei Sonnenuntergang - festgehalten von Stefan Leichenauer. Bild in Detailansicht öffnen
Ein Traktor mit Pflug im Winter bei Morgengrauen
Pflügen am eisigen Wintermorgen - fotografiert von Stefan Leichenauer. Bild in Detailansicht öffnen
Ein Traktor auf einem Feld bei Sonnenaufgang
Feldarbeit im Dämmerlicht - Foto von Stefan Leichenauer Bild in Detailansicht öffnen

Auch heute noch stößt der 46-jährige Landwirt manchmal an seine Grenzen, wie er zugibt. Aber dann scheut er sich nicht, auch mal einen Gang runterzuschalten. Ein bisschen früher Feierabend zu machen oder einfach die Natur zu genießen. "Das ist wie beim Traktor", sagt er, "wenn der Motor heiß wird, guckt man, dass die Nadel wieder aus dem roten Bereich kommt."

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