In den Kinderkliniken in Ravensburg und Friedrichshafen beispielsweise müssen derzeit deutlich mehr Kinder behandelt werden, die an dem RS-Virus erkrankt sind, als sonst zu dieser Jahreszeit. Das Respiratorische Synzytial-Virus löst Husten, Schnupfen, Halsweh und Fieber aus.
Singener Klinikdirektor: Situation in BW dramatisch
In Baden-Württemberg sei die Situation noch dramatischer als im Rest der Bundesrepublik, so Andreas Trotter, Ärztlicher Direktor des Zentrums für Kinder- und Jugendgesundheit im Hegau und Präsident des Verbandes Leitender Kinder- und Jugendärzte in Deutschland. Laut einer aktuellen Umfrage melden bereits jetzt 94 Prozent der Kinder- und Jugendkliniken im Land Versorgungsengpässe. Dazu komme, dass sich die Lage in den Wintermonaten vermutlich noch weiter zuspitze.
"Wir müssen damit rechnen, dass die Kliniken in den nächsten Monaten von einer Infektionswelle überrollt werden."
Säuglinge, Frühchen und Kleinkinder sind besonders gefährdet
Besonders betroffen sind Säuglinge und Kleinkinder. Für sie kann die Atemwegserkrankung gefährlich werden. Auch größere Kinder oder Erwachsene können erkranken, meist aber weniger schwer.
Infektionswellen mit dem RS-Virus gibt es jedes Jahr, dieses Jahr kam die Welle jedoch früher und heftiger. Das Immunsystem vieler Kinder ist wegen der Corona-Schutzmaßnahmen weniger Viren gewöhnt und daher anfälliger. Dieses Jahr sind viele Erkältungswellen schwächer ausgefallen oder gleich ganz ausgeblieben - das Immunsystem hatte also keine Möglichkeit zu trainieren.
Kaum freie Betten mehr in den Kinderkliniken
Das spüren nun auch die Kinderkliniken der Region Bodensee-Oberschwaben. "Wir sind an der Belastungsgrenze", heißt es seitens des Oberschwabenklinikverbunds. Wurden im September noch drei kleine Patienten im St. Elisabethen-Krankenhaus in Ravensburg behandelt, waren es im Oktober schon zwölf.
Ebenso viele sind es aktuell im Klinikum Friedrichshafen. Tageweise seien die Kapazitäten komplett ausgeschöpft, so der Chefarzt der Kinderklinik, Steffen Kallsen auf SWR-Anfrage. Versuche, Patienten mit dem RS-Virus in andere Kinderkliniken zu verlegen, seien gescheitert - egal ob Ulm oder Singen, auch dort seien die Betten belegt.
Ärzte fordern Hilfe von Politik
Es gebe aber noch einen weiteren Grund, der die RS-Problematik in diesem Jahr kompliziert mache, so Andreas Trotter. Das Bundesministerium für Gesundheit hat Anfang des Jahres auch in Kinder- und Jugendklinken die sogenannte Verordnung zur Festlegung von Pflegepersonaluntergrenzen (PpUGV) eingeführt. Das bedeutet, für eine bestimmte Anzahl an Patienten muss eine feste Zahl von Pflegekräften rund um die Uhr zur Verfügung stehen. Ist das nicht sichergestellt, muss das Krankenhaus Betten sperren, ansonsten drohen dem Krankenhaus hohe Strafzahlungen.
Die Regelung sei zwar generell gut, beim aktuellen Infektionsgeschehen mit dem RS-Virus aber sehr problematisch, erklärte Trotter. Teilweise würden Kinder in Kliniken abgewiesen.
"Ich habe Rückmeldungen aus Kliniken, dass kranke Kinder zum Teil bis zu 100 Kilometer entfernt erst ein Bett bekommen haben. Das ist doch ein Zustand, der für Deutschland ein Armutszeugnis ist. Das kann und darf so nicht bleiben."
Der Verband Leitender Kinder- und Jugendärzte in Deutschland fordert deshalb von der Politik, die PpUGV für einen befristeten Zeitraum auszusetzen. "Die Kraft aller Kinderkliniken mit ihren qualifizierten Mitarbeitern wird benötigt, um die Versorgung von kranken Kindern in Deutschland in den nächsten Monaten sicherzustellen. Potenzielle Strafzahlungen dürfen kein Thema sein", so Andreas Trotter.