In jedem Glas Müller-Thurgau vom deutschen Bodenseeufer steckt auch ein bisschen kriminelle Energie. Denn die ersten Reben des Weißweins wurden vor 100 Jahren aus der Schweiz nach Deutschland geschmuggelt. Dieses Abenteuer können Besucherinnen und Besucher derzeit in einer Sonderausstellung im Vineum Bodensee in Meersburg (Bodenseekreis) nachempfinden.
Müller-Thurgau-Pflanzen als wertvolle Schmuggelware
Die Ausstellung zeigt keine Kulturgeschichte des Müller-Thurgau. Vielmehr sollen die Museumsgäste hautnah spüren, wie die Schmuggelfahrt vor 100 Jahren abgelaufen sein könnte, sagt Meersburgs Kulturamtsleiterin und Museumschefin Christiane Johner: "Unsere Absicht war, wirklich diese Geschichte erfahrbar zu machen. Wie in einem guten Film oder einem guten Theaterstück."

Künstliche Intelligenz lässt Geschichte aufleben
Dafür kommt der Mann selbst zu Wort, der den Müller-Thurgau in der Schweiz kennenlernte und alles daran setzte, die Rebsorte nach Deutschland zu bringen: Johann Baptist Röhrenbach. Damals Gutsverwalter auf Schloss Kirchberg und zuständig für den Weinbau. Künstliche Intelligenz erweckt ihn oder viel mehr sein Ölgemälde zum Leben.
Und wo ein See ist, da ist auch ein Schmuggler.
Die Details sind beeindruckend: Röhrenbach runzelt die Stirn, atmet sichtbar und blinzelt, wenn er erzählt: "Eine neue Kreation: knackig, frisch und dennoch süffig. Ein herrlicher Sommerwein", schwärmt er. "Aber für uns am See: untersagt. Die Bürokraten wollten nichts davon wissen. Doch, wo ein Verbot ist, da ist auch ein Schlupfloch. Und wo ein See ist, da ist auch ein Schmuggler."
Wein vom Bodensee hatte in den 1920er-Jahren keinen guten Ruf
Das sprechende Gemälde habe auch die Nachfahren von Röhrenbach nachhaltig beeindruckt, erzählt Christine Johner. Sie bauen noch heute den Müller-Thurgau am Bodensee an. Der Anfang dafür liegt aber in einer Zeit, in der der Wein vom Bodensee keinen guten Ruf hatte.
So berichtete SWR-Reporter Fabian Siegel in der Tagesschau über die Ausstellung:
Die vorherrschende Sorte Elbling ging zu großen Teilen billig an Sektkellereien und Essigfabriken. Der Weinbau steckte am nördlichen Bodenseeufer in einer Krise. Aber seine Vorgesetzten untersagten Gutsverwalter Röhrenbach, seine Entdeckung auf den großherzoglichen Gütern anzubauen. Da blieb ihm nur der Schmuggel.
"Man muss dazu sagen: Johann Baptist Röhrenbach ist nicht selbst gerudert, sondern man hat sich dazu junge Burschen ausgesucht", sagt Christine Johner. Röhrenbachs 22-jähriger Sohn Albert und der Sohn einer befreundeten Fischerfamilie aus Hagnau machten sich auf den Weg zum Schloss Arenenberg am Schweizer Untersee.
Acht Stunden im Ruderboot über den Bodensee
"Die Aufzeichnungen besagen, dass sie circa acht Stunden gebraucht haben. Dreieinhalb auf dem Hinweg und vier Stunden auf dem Rückweg", so Johner. Ein Kraftakt und immer mit der Angst, entdeckt zu werden. Denn die beiden mussten mehrfach Grenzposten passieren.
Auch diese Bootsfahrt über den stockfinsteren Bodensee ist in der Ausstellung erlebbar. In einem Ruderboot können die Besucherinnen und Besucher Platz nehmen und selbst Hand an die Ruder legen.

Anders als die Schmuggler können Museumsgäste den Erfolg dieses Abenteuers gleich im Anschluss an die Sonderausstellung bei einer Weinprobe genießen. Denn der große Erfolgszug des Müller-Thurgau beginnt erst mehr als 20 Jahre nach der Schmuggelfahrt. Aber dank Künstlicher Intelligenz kann Röhrenbach heute selbst auf die Schmuggelfahrt und den Müller-Thurgau anstoßen.