Nach Kritik im Internet

Ravensburger zieht "Winnetou"-Kinderbücher zurück

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Der Ravensburger Verlag hat die Auslieferung der Kinderbücher "Der junge Häuptling Winnetou" gestoppt. Das bestätigte das Unternehmen dem SWR. Zuvor hatte Ravensburger dies auf Instagram angekündigt.

Der Ravensburger Verlag hat die Kinderbücher "Der junge Häuptling Winnetou" zu dem gleichnamigen Kinofilm aus dem Programm genommen. Ravensburger reagierte damit auf kritische Stimmen im Internet, die dem Verlag vorgeworfen hatten, in den Büchern rassistische Stereotype über die Ureinwohner Nordamerikas wiederzugeben. Auch der Vorwurf der kulturellen Aneignung steht im Raum, also die Übernahme von Merkmalen der Kultur der Ureinwohner. Zuvor hatten mehrere Medien über die Entscheidung des Ravensburger Verlags berichtet.

Verlag erklärt Rücknahme von Buch auf Instagram

Man bedauere es, die Gefühle anderer verletzt zu haben, schreibt Ravensburger auf seinem Instagram-Account "Ravensburgerkinderbuecher" am 11. August. Es gehe nun um eine Überarbeitung des Programms. Man wolle auch externe Berater zu den Themen Diversität und kulturelle Aneignung mit einbeziehen. Rund 800 Kommentare gab es bisher unter dem Post bei Instagram. Vielen Nutzerinnen und Nutzern kommt die Entscheidung zu spät, andere kritisieren, dass das Buch vom Markt genommen wird. "Der junge Häuptling Winnetou" ist als Begleitbuch zu einem neuen gleichnamigen Kinderfilm erschienen. Dieser ist nach wie vor in den Kinos zu sehen. Insgesamt erschienen im Ravensburger Verlag dazu vier Produkte, ein Kinderbuch, ein Erstlesebuch, ein Stickerbuch und ein Puzzle.

SWR-Moderatorin Rebecca Lüer hat die Schauspielerin und Chefin der Filmtage Oberschwaben, Helga Reichert, zur Debatte um die "Winnetou"-Kinderbücher interviewt. Reichert war zudem sechs Jahre lang in Burgrieden bei den Festspielen mit Karl-May-Inszenierungen tätig und hat dort auch vergangenes Jahr mitgewirkt.

Karl-May-Experte hält Entscheidung für falsch

Der Karl-May-Experte Andreas Brenne kritisiert die Entscheidung des Verlags. Er halte es nicht für richtig, ein solches Buch nur aufgrund eines Shitstorms aus dem Verkehr zu ziehen, sagte Brenne der "Neuen Osnabrücker Zeitung" (Dienstag). "Hier hat wohl die Angst der Marketingabteilung des Verlages, das Haus könne in Verruf kommen, das Vorgehen diktiert", analysierte Brenne, der als Professor für Kunstpädagogik und Kunstdidaktik an der Universität Potsdam wirkt und in der Karl-May-Gesellschaft an Programmfragen mitarbeitet.

Der Verlag hätte sich vor diesem Schritt von Experten für das Werk Karl Mays und das Genre des Kinder- und Jugendbuches beraten lassen sollen. Nach Brennes Worten ist das Buch unbedenklich, weil ja schon in einer Vorbemerkung klargestellt werde, dass es als fiktive Geschichte und nicht als sachgerechte Darstellung des Lebens indigener Völker zu verstehen sei. Der Wissenschaftler warnte davor, den Vorwurf der falschen kulturellen Aneignung unreflektiert zu generalisieren.

Mohrenapotheken, Sternsinger oder Weihnachtskrippen - Diskussionen über Rassismus im Alltag gibt es schon seit Längerem in Baden-Württemberg. Heidelbergs Oberbürgermeister Eckart Würzner (parteilos) verwendete kürzlich in einem Wahlkampf-Podcast das N-Wort und muss sich nun ebenfall gegen Rassismus-Vorwürfe verteidigen:

"Schon das Verkleiden als Indianer gilt dann als rassistischer Akt."

Zugleich nahm der Experte den Winnetou-Autor Karl May (1842-1912) selbst gegen den Vorwurf des Rassismus und Kolonialismus in Schutz: Der Vorwurf gegen den Klassiker der Wildwestliteratur, er habe den Völkermord an den indigenen Völkern Nordamerikas ignoriert, sei falsch. In den 1893 publizierten Winnetou-Romanen werde gerade das geschildert. "Das ist ja gerade ein zentrales Motiv bei Karl May", präzisierte Brenne, der im März 2023 an der Universität Potsdam eine Fachtagung zum Thema Karl May und kulturelle Aneignung ausrichtet.

SWR-Reporter Thorben Langwald hat Menschen in Ravensburg zur Debatte befragt:

Instagram-Post des Ravensburger Verlags:

Auch neue Verfilmung umstritten

An dem Kinofilm, zu dem die Titel im Ravensburger Verlag erschienen sind, gibt es ebenfalls Kritik. Die Deutsche Film- und Medienbewertung (FBW) hatte die Winnetou-Fortschreibung als "besonders wertvoll" eingestuft. Allerdings gegen den Widerstand einiger Jury-Mitglieder, wie auf der Homepage der FBW zu lesen ist. So wurde der Film von einigen Jury-Mitgliedern als "kitschiges rückwärtsgewandtes Theaterstück" bezeichnet, das nichts mit der Realität zu tun habe. Karl Mays literarische Vorgabe sei "eine Lüge, welche den Genozid an den Ureinwohnern Amerikas" ausblende.

Die Mehrheit der Jury kam zu einem anderen Urteil über den Film. Es sei allseits bekannt, dass Karl Mays Geschichten seiner Fantasie entsprungen seien und man ihn guten Gewissens als "Märchenonkel" bezeichnen könne. Die Verfilmung würde auch Botschaften wie "Frieden zwischen Menschen, egal welcher Herkunft" sowie "Waffen sind keine Lösung" enthalten.

"Native Americans" in Deutschland begrüßen Entscheidung des Verlags

Kritik kam auch von Carmen Kwasny, der Vorsitzenden von Native American Association of Germany (NAAOG). Der Film "Der junge Häuptling Winnetou" sei nicht mehr zeitgemäß. "Die Kultur einer Stammesnation, in diesem Fall die der Mescalero-Apache, wird auf die gängigen stereotypen Vorstellungen reduziert", so Kwasny gegenüber dem SWR. Beispielsweise werde in dem Film auch der Begriff "Squaw" verwendet - obwohl dieser Begriff als abwertend gelte. Insofern begrüße sie die Entscheidung des Ravensburger Verlags, die Bücher zum Film zurückziehen. "Wir sind froh darüber, dass nun endlich ein Umdenken innerhalb der Bevölkerung auch in Deutschland zu beobachten ist", sagte Kwasny.

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