Das Ausmaß des Schadens sei wohl den Schweizer Behörden erst deutlich nach dem Ereignis bekanntgeworden, teilte die Pressesprecherin des Umweltministeriums, Bettina Jehne, auf SWR-Anfrage mit. Grundsätzlich gebe es für den Bodensee einen internationalen Alarm- und Einsatzplan bei Unfällen mit wassergefährdenden Stoffen. Dieser habe aus baden-württembergischer Sicht bisher gut funktioniert. Man werde sich aber dafür einsetzen, dass der Vorfall in der Internationalen Gewässerschutzkommission für den Bodensee (IGKB) im Mai nochmals angesprochen werde.
"Insbesondere soll dafür sensibilisiert werden, die Kommunikation weiter zu verbessern und auch bei zeitlich zurückliegenden Ereignissen die Meldeketten regelmäßig zu bedienen."
Der giftige Löschschaum war am 29. Dezember 2020 und am 13. Januar 2021 bei Wartungsarbeiten des Verpackungsunternehmens Amcor Flexibles Rorschach AG in Goldach im Schweizer Kanton St. Gallen in den See geflossen. Das bestätigte ein Kantonssprecher auf SWR-Anfrage. Zunächst hatte das "St. Galler Tagblatt" von fast drei Tonnen Löschschaum berichtet. Der Kantonschemiker Pius Kölbener erklärte aber gegenüber dem SWR, es habe sich um rund 850 Kilogramm Schaum gehandelt.
Der Löschschaum enthielt die hochgiftige Chemikalie PFOS (Perfluoroctansulfonsäure), die bereits seit 2011 in Deutschland und in der Schweiz verboten ist. Eine Übergangsfrist für die Verwendung von PFOS in Löschschaum lief 2018 aus. Nach Angaben des Kantons gelangten insgesamt zehn Kilogramm PFOS in den Bodensee.
Das Institut für Seenforschung in Langenargen (Bodenseekreis) habe in der Folge keine Erhöhung der PFOS-Werte im Wasser der Obersees gemessen. Auch bei der Bodensee-Wasserversorgung hätten Wasserproben in dem Zeitraum keine erhöhten Werte dieser Chemikalie enthalten, sagte eine Sprecherin dem SWR.

Bodensee-Anrainer erst nach Monaten informiert
Öffentlich bekannt wurde der Fall erst im März dieses Jahres, nachdem Amcor durch einen Strafbefehl der Staatsanwaltschaft St. Gallen zu einem Bußgeld von 5.000 Schweizer Franken sowie einer Ersatzforderung von rund 28.000 Franken verurteilt wurde. Auch die betroffenen Schweizer Gemeinden und Behörden in den Anrainerstaaten Deutschland und Österreich erfuhren erst durch Medienberichte von dem Vorfall.
"Zum Zeitpunkt der Begehung waren keine Auswirkungen auf die Umwelt erkennbar und die Tragweite der Vorfälle nicht unmittelbar absehbar. [...] Deshalb wurde die Öffentlichkeit nicht informiert."
Im "St. Galler Tagblatt" legte die Umweltorganisation WWF eigene Berechnungen der Belastung des Bodensees vor. Ein Mensch könne 15 Liter Bodenseewasser trinken, ohne die Grenzwerte zu erreichen. Bedenklich aber sei der Verzehr von Bodenseefischen.
"Aufgrund der durch Amcor verursachten PFOS-Freisetzung müsste vom Verzehr von Bodenseefischen abgeraten werden."
Der Obmann der Schweizer Berufsfischer, Reto Leuch, ist empört, dass der Umweltskandal unter den Teppich gekehrt worden sei. Er glaube aber nicht, dass Trinkwasser oder Fische belastet seien. Das zuständige Untersuchungsamt für Lebensmittelüberwachung und Tiergesundheit (CVUA) in Freiburg hatte zuletzt im August und September 2020 140 Bodenseefische auf PFOS untersucht.
Diese seien unterschiedlich stark belastet, aber "der gelegentliche Verzehr von Bodenseefisch im Rahmen einer ausgewogenen Ernährung wird nach aktueller Einschätzung weiterhin als nicht bedenklich angesehen." Diese Untersuchung fand vor der Verunreinigung durch Amcor statt.

Das Unternehmen Amcor teilte auf SWR-Anfrage lediglich mit, es bedauere den Vorfall selbstverständlich. Außerdem laufe derzeit eine interne Untersuchung, deshalb könne man keine weiteren Angaben machen.
Amcor stellt eigenen Angaben zufolge Verpackungen für Lebensmittel, Getränke und medizinische Produkte her. Das börsennotierte Unternehmen mit Sitz in Zürich machte zuletzt 13 Milliarden US-Dollar Umsatz und beschäftigt weltweit rund 46.000 Mitarbeitende.
