Ein Schild mit der Aufschrift: jetzt impfen lassen - ohne Termin. (Foto: dpa Bildfunk, Bernd Weißbrod)

Experten führen diverse Gründe an

SWR-Datenanalyse zeigt: Aktuelle Impfkampagne der Regierung in Baden-Württemberg verläuft schleppend

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Johannes Schmid-Johannsen
Ulrich Lang
Nico Heiliger
Susanne Veil

Die Zahl der Impfungen in Baden-Württemberg nimmt nicht den gewünschten Verlauf. Vor allem bei den Erstimpfungen geht es immer noch kaum voran. Das hat unterschiedliche Gründe.

Immer noch zeigt die Impfkampagne der baden-württembergischen Landesregierung nicht den gewünschten Effekt. Vor allem die Zahl der Erstimpfungen stagniert. Das zeigen Datenanalysen des SWR.

Während es im November noch einen Anstieg bei den Menschen gab, die bereit waren sich erstmals gegen das Coronavirus zu impfen, sinken jetzt die Zahlen seit Dezember wieder. Und das trotz eines faktischen Lockdowns für alle, die sich freiwillig nicht impfen lassen:

Hausärzteverband beklagt Impfstoffmangel

Für den Hausärzteverband ist auch mangelnder Impfstoff ein Grund für die schleppende Impfkampagne. Nach wie vor würden Arztpraxen eine bestimmte Menge an Dosen bestellen und weniger geliefert bekommen. Das bestätigt auch die Kassenärztliche Vereinigung (KV) in Baden-Württemberg: "Wir sehen, dass die ausgelieferte Menge in den vergangenen zwei Wochen weniger als die bestellte ist, seit es die Kontingentierung gibt", so der Sprecher der KV, Kai Sonntag. Bundesweit wird vom Bundesgesundheitsministerium der Impfstoff von BioNtech rationiert, weil Dosen von Moderna zu verfallen drohen.

Ärzte bemängeln, nicht mehr verimpfen zu können

Die mangelnde Belieferung mit Impfstoff bestätigt auch der Stuttgarter Frauenarzt Jakob Keilbach. "Wir impfen in der Praxis von Anfang an und so viel wir können. Leider bekommen wir zur Zeit nicht genug BioNtech-Impfstoff. Moderna gibt es genug." Er bezeichnet die Strategie des geschäftsführenden Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) als "nicht so besonders gelungen. In der Öffentlichkeit zu sagen, das muss weg, sonst wird’s schlecht". Viele Menschen seien laut Keilbach bereits mit BioNTech geimpft. Die Leute seien "schon darauf gepolt".

Manche Menschen ließen sich überzeugen, so Keilbach, wenn man ihnen erkläre, dass nach neuesten Daten Moderna nach den ersten zwei BioNTech-Impfungen sogar besser wirke.

"Aber wir boostern sie lieber mit BioNTech als gar nicht."

In Haus- und Facharztpraxen in Baden-Württemberg herrscht Frustration. Nur ein Bruchteil der bestellten BioNTech-Impfdosen wird geliefert. So berichtete SWR Aktuell Baden-Württemberg am 30.11.21:

Ältere und Menschen mit Vorerkrankungen bei Impfungen bevorzugt

Ein weiterer Faktor der nach wie vor schlechten Erstimpfungsquote ist, dass Ärztinnen und Ärzte bei knappem Impfstoff priorisieren. Manche bevorzugen bei der Impfung ältere Patienten und Patientinnen mit Vorerkrankungen, vermutet Manfred King, Sprecher des Hausärzteverbandes Baden-Württemberg. Die vulnerablen Gruppen erhalten vermehrt Boosterimpfungen. Daher sei es möglich, dass Erstimpfungen zugunsten der Boosterimpftermine ausfallen würden.

Impflücke bei Teenagern besonders groß

Dass derzeit der Impfstoff von BioNTech von Seite des Bundes rationiert wird, führt zu einem weiteren Problem: Besonders viele Menschen unter 30 Jahren haben noch keine Erstimpfung und für diese Altersgruppe wird nur BioNTech empfohlen. Laut Impfquotenmonitoring des Robert Koch-Instituts sind in der Altersgruppe zwischen zwölf und 17 Jahren in Baden-Württemberg bislang 50,9  Prozent einmal geimpft. Bei den 18- bis 59-Jährigen sind es 80,3 Prozent (Stand: 7.12.). Auch das verhindere eine bessere Quote bei den Erstimpfungen, so der Sprecher der Kassenärztlichen Vereinigung (KV), Kai Sonntag. Er sagt ganz klar: "Es mangelt an BioNTech."

Der alternative Moderna-Impfstoff sei hervorragend. "Er ist nur nicht so universell einsetzbar." Und werde eben erst ab 30 Jahren und nicht für Schwangere verimpft. Gerade für Auffrischungsimpfungen nach einer BioNTech-Impfung gebe es Studien, die für Moderna als Booster die höchste Wirksamkeit auswiesen.

Die Praxen seien daher angehalten, Moderna für Patienten über 30 zu verwenden. "Wir wollen den Praxen keinen Vorwurf machen, wenn sie BioNTech verwenden, obwohl sie auch Moderna verwenden könnten", so Sonntag. "Wir wissen, dass das viele Praxen machen, das wird aber nicht flächendeckend der Fall sein".

In der Pandemie nur ein kleiner Knick im Impftempo?

Die neuerliche Abnahme der Erstimpfungen in Baden-Württemberg erklärt Sonntag mit besonderen Impfaktionswochen Ende November, die die Impfungen zeitweise stark gesteigert hätten.

In der Woche vom 22. bis 28. November seien 60.200 Erstimpfungen in Arztpraxen verabreicht worden. Dies sei ein "gewollter Ausreißer nach oben", so der KV-Sprecher. In der Woche darauf waren es noch 53.000 - immer noch eine deutliche Steigerung zum Zeitraum vom 15. bis 22. November, in dem 30.600 Impfungen stattfanden.

Sozialministerium: Beschaffung liegt beim Bund

Hinsichtlich der fehlenden Impfstoffmengen verweist das Sozialministerium von Baden-Württemberg erneut auf die Zuständigkeit des Bundes: "Wir haben den Bund mehrfach aufgefordert, ausreichend Impfstoff zu liefern", heißt es auf SWR-Anfrage. Das Thema Beschaffung und Logistik liege beim Bund. Die Bundesländer würden lediglich die Infrastruktur schaffen.

Dass gerade in der jungen Altersgruppe, in welcher der derzeit knappere Impfstoff BioNtTech verimpft wird, noch Aufholbedarf besteht, hat auch der baden-württembergische Gesundheitsminister Manfred Lucha (Grüne) erkannt. In einem Brief hat er sich an den neuen Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) gewandt und größere Impfstofflieferungen gefordert.

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