Ein Mann lässt sich in einem Corona-Impfzentrum eine Booster-Impfung geben. (Foto: dpa Bildfunk, picture alliance/dpa | Bernd von Jutrczenka)

Erneut Debatte um Aussetzung der Teil-Impfpflicht

Immer mehr Sozialverbände in Baden-Württemberg fordern Abschaffung der einrichtungsbezogenen Impfpflicht

Stand

Nach dem Aus der allgemeinen Impfpflicht fühlen sich Gesundheitseinrichtungen durch die Teil-Impfpflicht benachteiligt. Ministerpräsident Kretschmann verweist auf den Bund.

Seit dem 16. März dieses Jahres gilt für Beschäftigte in Pflegeeinrichtungen und im medizinischen Bereich eine Impfpflicht. Dies sorgte im Vorfeld bei den Pflegeheimen und Krankenhäusern in Baden-Württemberg für hitzige Debatten. Während einige Einrichtungen die Teil-Impfpflicht von Anfang an kritisierten, trugen andere Verbände die gesetzliche Regelung mit - unter der Voraussetzung, dass die von der Politik versprochene allgemeine Impfpflicht kommt.

Dass eben diese flächendeckende Impfpflicht in der vergangenen Woche im Bundestag gescheitert ist, löste bei den Befürwortern der einrichtungsbezogenen Impfpflicht Ärger aus. Immer mehr fordern nun, diese auszusetzen oder ganz abzuschaffen.

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"Eklatanter Vertrauensbruch der Politik gegenüber der Pflegebranche"

Die Evangelische Heimstiftung in Stuttgart verweist auf das "feste Versprechen des Bundeskanzlers" für eine allgemeine Impfpflicht, als im Dezember die einrichtungsbezogene Impfpflicht für Mitarbeitende im Gesundheitswesen beschlossen wurde. Dass dies nach "großem politischen Theater nun leider doch nicht" komme, "ist ein eklatanter Vertrauensbruch der Politik gegenüber der gesamten Pflegebranche", sagte Bernhard Schneider, Hauptgeschäftsführer der Evangelischen Heimstiftung.

Auch die Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) zeigte sich nach der Abstimmung im Bundestag enttäuscht. "Das politische Versagen bei der gescheiterten Impfpflicht ist ein ganz bitteres Signal für Pflegekräfte und Ärzte in den Krankenhäusern", sagte der DKG-Vorstandsvorsitzende Gerald Gaß. Das bedeute für ihn auch, dass die einrichtungsbezogene Impfpflicht "umgehend auf den Prüfstand" gehöre.

Pflegekräfte fühlen sich durch Teil-Impfpflicht ungerecht behandelt

"Die Mitarbeitenden in den Einrichtungen der Pflege, Kinder- und Jugendhilfe und der Eingliederungshilfe werden mit der einrichtungsbezogenen Impfpflicht einseitig in die Verantwortung genommen", kritisierte am Dienstag auch Annette Noller, Vorstandsvorsitzende des Diakonischen Werks Württemberg. Bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gebe es "völliges Unverständnis".

Bernhard Schneider von der Evangelischen Heimstiftung machte zudem klar, dass es "nicht mehr zu vertreten" sei, tausende ungeimpfte Pflegekräfte nach Hause zu schicken, während "oft genug Besucher das Virus in die Einrichtung tragen" würden.

"Die Pflegekräfte fühlen sich verschaukelt, weil ihnen unter Androhung der Arbeitslosigkeit eine Impfpflicht auferlegt wird, während Besucher und Bewohner weiterhin ungeimpft in die Heime dürfen."

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Ministerpräsident Kretschmann verweist auf Verantwortung des Bundes

Auf der Regierungspressekonferenz am Dienstag gab der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) zu, dass die einrichtungsbezogene Impfpflicht "mit der Maßgabe eingeführt wurde, dass ihr eine allgemeine Impfpflicht folgt". Da dies "offenkundig gescheitert" sei, müsse der Bund nun überprüfen, "was er da möchte".

"Die Gefahr ist ja einfach, dass wir dann in dem ganzen Bereich einfach Leute verlieren, aber auch das muss der Bund entscheiden", sagte Kretschmann. Er wolle nun "intensivere Gespräche" mit den Einrichtungen führen, um beurteilen zu können, "was wir dann wirklich machen sollen und was nicht".

Gesundheitsbranche: Sorge vor der Rückkehr der Pandemie im Herbst

Die Deutsche Krankenhausgesellschaft warnte vor der "Gefahr, dass wir im Herbst vor der gleichen Situation stehen wie vor einem Jahr: neuer Lockdown, Gefahr der Überlastung von Kliniken, Patientinnen und Patienten werden sich erneut auf Wartelisten wiederfinden." Dass dies im dritten Winter der Pandemie wieder passieren könnte, ist laut dem Vorstandsvorsitzenden Gaß ein "Armutszeugnis der politischen Entscheider".

Auch die Evangelische Heimstiftung schlug Alarm: "Den Verantwortlichen in Berlin muss klar sein, dass sie einen Kollaps des Pflegesystems im Herbst riskieren". Ohne die Impfpflicht würden wir im Herbst mit großer Wahrscheinlichkeit wieder in die nächste Coronawelle schlittern, so Hauptgeschäftsführer Schneider.

Die Diakonie Württemberg forderte deshalb von der Politik "rechtzeitig einen Plan für den Herbst, in dem sich erfahrungsgemäß Viren verstärkt vermehren", sagte die Vorstandsvorsitzende Noller. Es benötige "überzeugende Impf-Kampagnen, Aufklärung und Beratung, um gerade vulnerable Gruppen effektiv vor Covid-19 zu schützen".

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Wie es mit der einrichtungsbezogenen Impfpflicht weitergeht, ist derzeit noch unklar. Im Februar hatte das Bundesverfassungsgericht den Eilantrag gegen die Impfpflicht in Heimen und Kliniken abgelehnt. 74 Verfassungsbeschwerden von rund 300 Klägerinnen und Klägern waren zuvor eingegangen.

Das Gericht in Karlsruhe begründete seinen Beschluss damit, dass die Nachteile für die im Gesundheitswesen tätigen Personen weniger schwer seien als die Nachteile, die bei einem Aussetzen der Regelung für vulnerable Menschen zu befürchten seien. Ob die einrichtungsbezogene Impfpflicht grundsätzlich verfassungsmäßig ist, sei damit aber noch nicht entschieden. Dies muss noch im Hauptverfahren geprüft werden. Wann dies abgeschlossen ist, steht noch nicht fest.

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SWR