Das Atomkraftwerk Neckarwestheim (Foto: dpa Bildfunk, picture alliance/dpa | Christoph Schmidt)

Neckarwestheim 2 offiziell abgeschaltet

Was bedeutet das Ende der Atomkraft für Baden-Württemberg?

Stand

Geht uns ohne Atomkraftwerke jetzt der Strom aus? Was passiert mit dem Atommüll? Und wie geht es nach der Atomkraft weiter? Hier die Antworten.

Die letzten drei Atomkraftwerke in Deutschland sind am Samstag endgültig vom Netz gegangen. Damit wurde auch das letzte in Baden-Württemberg laufende Kraftwerk Neckarwestheim 2 im Kreis Heilbronn abgeschaltet. Hier die wichtigsten Fragen und Antworten rund um das Ende der Atomstromzeit in Baden-Württemberg.

Geht uns jetzt der Strom aus und droht uns ein Blackout?

Kurze Antwort: Nein. Weder für unsere Energieversorgung in Baden-Württemberg, noch darüber hinaus hat das Atomkraftwerk Neckarwestheim eine wesentliche Rolle gespielt. Vergangenes Jahr kamen in Deutschland 6,4 Prozent des Stromes aus Atomkraftwerken. Die zu schließende Lücke ist also relativ klein.

Dass man Neckarwestheim und die anderen beiden Kraftwerke nicht schon früher abgeschaltet hat, war eine Vorsichtsmaßnahme im Zuge der Energiekrise und des Ukrainekrieges. Deshalb blieb das Kraftwerk als Notfallreserve am Netz. Die heikle Winterphase ist jetzt aber vorbei, somit kann das Atomkraftwerk endgültig abgeschaltet werden.

Einen größeren Anteil hat in Deutschland aktuell noch der Strom aus Kohlekraftwerken. Dieser Anteil machte 2022 etwa ein Drittel des Stroms in Deutschland aus. Bis 2030 soll aber auch in Baden-Württemberg kein Kohlekraftwerk mehr laufen.

Brauchen wir die AKW dann nicht wieder im nächsten Winter?

Die Atomkraftwerke waren eben nur noch im Streckbetrieb im vergangenen Winter. Den Betrieb erneut zu verlängern wäre nicht ohne Weiteres möglich - und eine absolute Grundsatzentscheidung. Auch EnBW, die Betreiberin vom AKW in Neckarwestheim, erklärte, eine Laufzeitverlängerung sei nicht mehr möglich.

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Tatsächlich gehen aber viele Energieexpertinnen und -experten davon aus, dass der kommende Winter für uns energietechnisch erneut eine ziemlich große Herausforderung wird. Manche prognostizieren sogar, dass er schwieriger wird als der Letzte. Das hängt vor allem damit zusammen, dass wir diesmal unsere Gasspeicher komplett ohne russisches Gas füllen müssen und dass generell das russische Gas im System ersetzt werden muss.

Laut Expertinnen und Experten sind wir aber auf einem ganz guten Weg. Die Speicher sind nach diesem Winter deutlich voller als im Vorjahr. Unsere Ausgangslage ist also schon mal eine andere. Außerdem sind wir mit der Flüssiggasinfrastruktur schon ein gutes Stück weiter.

Wird Strom durch die Abschaltung teurer?

Auf die Entwicklung der Energiepreise wird die Abschaltung von Neckarwestheim 2 und auch der beiden anderen verbliebenen deutschen AKW keinen großen Einfluss haben. Die Atomkraftwerke waren allesamt nur noch im sogenannten Streckbetrieb.

Man hat die vorhandenen Brennelemente also bis zum Ende der Betriebsdauer des Kraftwerks genutzt. Das kann man sich so vorstellen wie die Restwärme einer Herdplatte. Die Energiemenge, die hier noch produziert wurde, ist also nicht extrem groß und lässt sich inzwischen gut durch andere Quellen ersetzen. Eine Preisreaktion an den Energiemärkten, weil jetzt die AKW wegfallen, ist also unwahrscheinlich.

Ist die Ära des Atomstroms vorbei?

In Deutschland und in Baden-Württemberg wird mit der Abschaltung der letzten Atomkraftwerke kein Atomstrom mehr aktiv produziert. Aber allgemein ist die Ära noch lange nicht zu Ende. Schon alleine, wenn man in die direkten Nachbarländer schaut.

In Frankreich sind zum Beispiel zahlreiche Atomkraftwerke am Netz. Dort wird über 70 Prozent des Stroms aus Atomenergie gewonnen. In Finnland werden komplett neue Atomkraftwerke erst gebaut. Deutschland befindet sich mit den Nachbarländern weiterhin in einem europäischen Verbund, in dem diese Energieform eine große Rolle spielt. Aus Frankreich importiert Deutschland zum Beispiel weiterhin Strom, der aus Kernenergie gewonnen wird.

Was kommt nach der Atomkraft?

Das große Ziel heißt: Erneuerbare Energien. Sie lieferten im vergangenen Jahr aber erst 46 Prozent des Stroms. 2030 sollen es bereits 80 Prozent sein. Zum Beispiel durch Windkraftanlagen, Photovoltaikanlagen, Biomasse- und Wasserkraftreaktoren. Aber der Ausbau läuft schleppend. Die Windenergie ist zwar zweitwichtigste Energiequelle nach der Kohle. Doch um die Ziele zu erreichen, müssten jeden Tag sechs Windräder gebaut werden. In den vergangenen zehn Jahren waren es im Schnitt gerade mal dreieinhalb. Also viel zu wenig, auch in Baden-Württemberg.

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Was passiert mit dem Atommüll?

Das ist nach wie vor eine der großen offenen Fragen. Trotz Atomausstieg: In den letzten Jahrzehnten hat sich viel radioaktiver Müll angehäuft - auch in Baden-Württemberg. Die Bundesgesellschaft für Endlagerung sorgte kürzlich mit dem Eingeständnis für Schlagzeilen, dass ein Standort für ein Atommüll-Entlager nicht - wie angestrebt - im Jahr 2031 feststeht, sondern erst Jahrzehnte später. Bis dahin müssen die rund 1.700 Castoren mit Atomschrott dicht bleiben. Mehr als 120.000 Kubikmeter schwach- und mittelradioaktive Abfälle lagern heute bereits in Zwischenlagern in ganz Deutschland. In Baden-Württemberg gibt es Zwischenlager in Philippsburg (Kreis Karlsruhe) und auch in Neckarwestheim. Die Zwischenlager haben eine Laufzeit von maximal 40 Jahren.

Regelmäßig informiert das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung in einem Info-Mobil in verschiedenen Städten über die aktuelle Endlager-Suche. Auch Orte in Baden-Württemberg kommen in Frage:

Auch der sich über Jahrzehnte hinziehende Abriss der Atomkraftwerke birgt aus Sicht der Anti-AKW-Bewegung Gefahren. Zehntausende Tonnen teils verstrahlten Metalls und Betons müssen abgetragen und abtransportiert werden. Die Strahlenschutzverordnung erlaubt es, radioaktiv belastetes Material wie kontaminierten Bauschutt als "normalen" Müll zu entsorgen - sofern die zusätzliche Belastung für eine Person zehn Mikrosievert nicht überschreitet.

Auf dem Gelände des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) bei Eggenstein (Landkreis Karlsruhe) wurden neue Zwischenlager in Betrieb genommen. Dadurch soll es künftig einfacher sein, den Atommüll zu kontrollieren, wie SWR Aktuell im März berichtete:

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Was passiert mit den Menschen, die im Atomkraftwerk gearbeitet haben?

Auf die Straße gesetzt wird laut Betreiberfirma EnBW niemand. Betriebsbedingte Kündigungen schließt das Unternehmen aus. Ein Teil der Mitarbeitenden wird im Rückbau der drei Standorte in Baden-Württemberg eingesetzt. Ihre Mitarbeit wird dort auch gebraucht, denn wer jahrelang in einem Kraftwerk gearbeitet hat, bringt Fachwissen mit und kennt die Anlagen sehr gut.

Insgesamt verringert sich fortlaufend die Mitarbeiterzahl, weil Stellen nicht nachbesetzt werden, wenn zum Beispiel jemand in Rente geht. Bleiben dann noch Beschäftigte über, wolle man diesen einen Bereichswechsel innerhalb der EnBW oder Altersteilzeit anbieten, sagt das Unternehmen.

Darüber hinaus gibt es in Deutschland noch eine ganze Branche, die sich mit Nukleartechnik beschäftigt und die Fachkräfte braucht, zum Beispiel in der Nuklearmedizin oder -Forschung.

Wird die Abschaltung von Neckarwestheim 2 gefeiert?

Es gibt ein sogenanntes Abschaltfest. Die Atomkraftgegnerinnen und -gegner wollen Zelte und Bierbänke in der Nähe des Kernkraftwerkes aufbauen und das Ende des Atomkraftzeitalters in Baden-Württemberg feiern. Zuvor gab es allerdings Streit über diese Feierlichkeiten. Zunächst wollte die EnBW, die das Atomkraftwerk betreibt und abschalten wird, ein Fest mit "volksfestähnlichem Charakter" nicht zulassen und Zelte und Bierbänke untersagen. Inzwischen ist das Fest aber erlaubt.

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