In der Landeserstaufnahmestelle (LEA) für Flüchtlinge in Karlsruhe (Baden-Württemberg) warten am 08.10.2014 Flüchtlinge auf ihre Registrierung. Im Hintergrund ist ein Papier an der Wand angebracht, auf dem das Wort "Asyl" steht.  (Foto: dpa Bildfunk, picture alliance / dpa | Uli Deck / Archivbild)

"Keine grüne Position"

EU-Einigung zu verschärfte Asylverfahren: Grüne Jugend kritisiert Kretschmanns Verteidigung

Stand

Die EU-Staaten haben sich auf einen deutlich härteren Umgang mit Asylbewerbern geeinigt. Der BW-Ministerpräsident lobt die Bundesregierung. Dafür gibt es Gegenwind.

Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hat den Kompromiss der Europäischen Union für schärfere Asylverfahren verteidigt. Zuvor hatte nach stundenlangen Verhandlungen eine ausreichend große Mehrheit an EU-Mitgliedsstaaten den umfassenden Reformplänen zugestimmt.

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EU-Einigung: Deutliche Verschärfung der Asylverfahren

Im Detail sehen die Reformpläne insbesondere vor, einen deutlich rigideren Umgang mit Migranten ohne Bleibeperspektive durchzusetzen. So sollen ankommende Menschen aus als sicher geltenden Ländern künftig nach dem Grenzübertritt in streng kontrollierte Aufnahmeeinrichtungen kommen. Dort soll dann im Normalfall innerhalb von zwölf Wochen geprüft werden, ob der Antragsteller eine Chance auf Asyl hat. Wenn nicht, soll er umgehend zurückgeschickt werden. Noch ist die Reform nicht final, das EU-Parlament hat auch noch ein Mitspracherecht. So sind bei Verhandlungen in den kommenden Monaten noch Änderungen möglich.

Kretschmann bekundet Respekt für die Bundesregierung

Ministerpräsident Kretschmann erklärte am Donnerstagabend, er habe großen Respekt vor der Bundesregierung, die bei diesen schwierigen Verhandlungen stets auf den Ausgleich gesetzt und nun am Ende der Einigung auch zugestimmt habe. "Dahinter stehen schwierige politische und ethische Abwägungen zwischen den restriktiven Haltungen von vielen Mitgliedstaaten und den gerade von der Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) eingeforderten Verbesserungen bei der Verteilung von Geflüchteten und der Sicherung von Mindeststandards."

Kretschmann führte aus: "Nichthandeln hätte schlimmere Folgen für eine humanitäre Flüchtlingspolitik, weil es zwangsläufig die Wiederkehr einer Politik der Nationalstaaten mit vielen, teilweise humanitär bedenklichen Einzellösungen bedeutet hätte. Eine Nichteinigung hätte zur Handlungsunfähigkeit der EU in diesen belasteten Zeiten und bei diesem schwierigen Thema geführt."

Zustimmung vom Landkreistag

Die Landkreise in Baden-Württemberg begrüßen ebenfalls die Einigung der EU. Ohne die Steuerung der Zuwanderung auf EU-Ebene und eine Eindämmung irregulärer Einwanderung würde das Aufnahmesystem absehbar in die Knie gehen, erklärte der Hauptgeschäftsführer des Landkreistages, Alexis v. Komorowski, dem SWR. Er hofft, dass bei den noch anstehenden Verhandlungen mit dem Europaparlament die jetzt getroffenen Beschlüsse nicht verwässert und ihrer Wirksamkeit beraubt würden. 

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Beifall auch von CDU und FDP in Baden-Württemberg

Die CDU in Baden-Württemberg spricht von einem "wichtigen Signal". Generalsekretärin Isabell Huber bezeichnete den Asylkompomiss gegenüber dem SWR als "wichtigen Schritt". "Nur durch eine konsequente Ordnung und Steuerung ist eine zukunftsfähige Migrationspolitik möglich", so Huber.

"Mit dem Asylkompromiss hat Europa gezeigt, dass es in Fragen der Migration handlungsfähig ist."

Vorsichtige Zustimmung für die Einigung auf EU-Ebene kommt auch von der Landes-FDP: Deren Vorsitzender Michael Theurer spricht von einem "Fortschritt in der Sache, der unbedingt zu begrüßen ist. "Nach etlichen Jahren des politischen Stillstands in Sachen Asylpolitik und Migration kommen wir nun endlich einer echten europäischen Lösung näher."

Flüchtlingsrat und Grüne Jugend "entsetzt" und "wütend"

Ganz anders ist die Reaktion des Flüchtlingsrates Baden-Württemberg. Er kritisiert die Pläne zur Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems aufs Schärfste. Durch Maßnahmen wie die Auslagerung der Asylverfahren an die EU-Außengrenzen sowie die Ausweitung der "sicheren Drittstaaten" drohe eine faktische Aushebelung des Asylrechts auf europäischer Ebene.

"Die diskutierten Maßnahmen zeugen davon, dass der Abschottungswahn Europas ein neues Ausmaß angenommen hat."

Die Geschäftsleiterin des Flüchtlingsrates, Anja Bartel, geht mit der Bundesregierung hart ins Gericht. "Wir sind entsetzt darüber, wie skrupellos die Bundesregierung ihren humanitären Versprechen aus dem Koalitionsvertrag den Rücken zukehrt und nun gemeinsam mit rechtspopulistischen Regierungen Pläne schmiedet, wie Europa noch weiter in eine Festung verwandelt werden kann", so Bartel. Sie bezeichnete den europäischen Asylkompromiss als einen massiven Angriff auf die Menschenrechte in Europa.

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"Überrascht und wütend" zeigt sich die Grüne Jugend Baden-Württemberg. "Die Punkte bedeuten aus meiner Sicht eine ziemliche Entrechtung der Flüchtlinge", so Elly Reich, eine der Sprecherinnen der Jugendorganisation in BW. Das Ergebnis sei weder grün noch mit dem Koalitionsvertrag des Bundesregierung zu vereinbaren.

Jusos: Recht auf Asyl ausgehöhlt

Auch die Jusos in Baden-Württemberg - die Nachwuchsorganisation der SPD - zeigen sich schockiert. Landeschefin Lara Herter sagte: "Europa schottet sich weiter ab, höhlt das Recht auf Asyl aus und schränkt die Rechte Geflüchteter ein - alles mit Zustimmung der Bundesregierung." Vor allem Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) bekommt für ihre Bewertung, den Beschluss als "historischen Erfolg" zu bezeichnen, keine Zustimmung vom eigenen Parteinachwuchs.

Die Schaffung neuer, haftähnlich kontrollierter Lager an den EU-Außengrenzen, um dort die Asylverfahren im Schnelldurchlauf durchzuziehen, sei eine Katastrophe - auch weil nicht einmal Familien mit Kindern von diesen Grenzverfahren ausgenommen seien, so Herter.

Asylreform in Europa und Deutschland hochumstritten

Über eine Reform des EU-Asylsystems wird bereits seit Jahren gerungen. Auch in Deutschland sind die Pläne umstritten. So hatte etwa die Grünen-Parteibasis - in einem von rund 730 Parteimitgliedern unterzeichneten Schreiben - unter anderem an Außenministerin Baerbock und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) Pläne zu einer "massiven Beschneidung des Asylrechts" beklagt. 

Die Bundesregierung hatte sich in den Verhandlungen über die Reform des EU-Asylsystems nachdrücklich dafür eingesetzt, dass Familien mit Kindern von den sogenannten Grenzverfahren ausgenommen werden. Um den Durchbruch zu ermöglichen, musste sie allerdings letztlich akzeptieren, dass dieser Punkt nicht durchsetzbar war.

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Das ist ein historischer Erfolg - für die Europäische Union, für eine neue, solidarische Migrationspolitik und für den Schutz von Menschenrechten. #GEAS

Außenministerin Baerbock verteidigte die Entscheidung. "Der Kompromiss ist ganz und gar kein einfacher. Zur Ehrlichkeit gehört: Wenn wir die Reform als Bundesregierung alleine hätten beschließen können, dann sähe sie anders aus", schrieb die Grünen-Politikerin in einer Erklärung. "Aber zur Ehrlichkeit gehört auch: Wer meint, dieser Kompromiss ist nicht akzeptabel, der nimmt für die Zukunft in Kauf, dass niemand mehr verteilt wird", so Baerbock.

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