Hunderte Hausarztpraxen in Baden-Württemberg sind am Mittwoch wegen eines Protests der Ärzte und Ärztinnen gegen schlechte Arbeitsbedingungen geschlossen geblieben oder haben ihre Patiententermine verringert. Wie ein Sprecher des Hausärzteverbands Baden-Württemberg in Stuttgart sagte, nahmen rund 400 Ärztinnen und Ärzte und Praxisteams an der Protestaktion teil. Der Verband hatte zu dem Protest aufgerufen. "Wir geraten mit unseren Versorgungskapazitäten und unseren finanziellen Handlungsspielräumen immer weiter unter Druck", sagte die Landesvorsitzende Nicola Buhlinger-Göpfarth im Gespräch mit dem SWR.
Hausärzteverband: Politik muss Anreize schaffen
Der Hausärzteverband sieht die Patientenversorgung im Land massiv gefährdet. Weil Ärztinnen und Ärzte massiv überlastet seien, müssten sich Patientinnen und Patienten auf immer längere Wartezeiten und weite Wege einrichten. "Statt Rahmenbedingungen für Anreize und Entlastung zu schaffen, werden wir vor immer größere Herausforderungen gestellt", so Buhlinger-Göpfarth.
Der Ärger der Mediziner richtet sich gegen den Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen. Dieser fordert - nach Ansicht der Ärztinnen und Ärzte - quasi eine Nullrunde für die kommenden zwei Jahre bei den Ärztehonoraren. Das sei angesichts der Preissteigerungen und stark steigender Energiekosten nicht angemessen. Die aktuellen Sparmaßnahmen machten es außerdem unattraktiv und unsicher für junge Ärztinnen und Ärzte, sich in einer Praxis niederzulassen, so der Verband in einer Stellungnahme. Etwa 800 Hausärztinnen und -ärzte fehlen jetzt schon in Baden-Württemberg. Außerdem ist ein gutes Drittel der Praxisinhaber älter als 60 und wird sich in den kommenden Jahren in den Ruhestand verabschieden.
Interview mit Lutz Weber aus Laupheim vom Hausärzteverband Südwürttemberg Ärzte-Protest: Warum viele Praxen am Mittwoch geschlossen blieben
Hausärzte und -ärztinnen protestierten gegen Sparmaßnahmen, die zu ihren Lasten gehen. Im Fokus standen geforderte Nullrunden, so Lutz Weber vom Hausärzteverband im SWR-Interview.
Kritik an Wegfall der Neupatientenregelung
Zuletzt sorgte auch der geplante Wegfall der Neupatientenregelung für Frust bei den niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten im Land. Die Regel gibt es seit rund drei Jahren. Für Ärztinnen und Ärzte sollte sie als finanzieller Anreiz dienen, neue Patienten und Patientinnen in ihre Praxis aufzunehmen. Ihre Behandlung wurde dabei in voller Höhe vergütet. Laut Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) zeigte die Neupatientenregelung allerdings nicht die erhoffte Wirkung, weshalb sie nun abgeschafft werden soll.
Dagegen hatten bereits Anfang Oktober niedergelassene Ärztinnen und Ärzte protestiert. In Baden-Württemberg blieben deshalb mehr als 100 Arztpraxen geschlossen. Die Ärzteschaft sieht ohne die Neupatientenregelung die ambulante Versorgung in Gefahr. Patientinnen und Patienten müssten sich künftig nicht nur auf längere Wartezeiten, sondern auch auf Aufnahmestopps einstellen, so die Sorge des Ärzteverbands MEDI, der zu den Praxis-Schließungen aufgerufen hatte.
Höheres Honorar bei schneller Terminvermittlung für Ärzte
Unterdessen zeigte der Protest wohl Wirkung im Bundesgesundheitsministerium. Laut einem Änderungsantrag, der dem SWR vorliegt und der am Mittwoch im Gesundheitsausschuss des Bundestags diskutiert werden soll, sind "Vergütungsanreize" im Gespräch. So soll garantiert werden, dass Patientinnen und Patienten auch in Zukunft schnell einen Termin in einer Arztpraxis erhalten.
Vereinfacht gesagt: Je schneller Fachärztinnen und Fachärzte einen Termin anbieten können, umso höher soll das Honorar ausfallen, das sie für eine Terminvergabe erhalten. Die Vermittlung muss dabei über die Hausarztpraxis oder die Terminservicestelle laufen. Nur dann gibt es ein Honorar.
MEDI-Verband: Neues Honorar-Modell ist "Rückschritt"
Der MEDI-Verband bewertet es zwar positiv, dass sich das Bundesgesundheitsministerium "zumindest Gedanken gemacht hat". Norbert Smetak, der stellvertretende Vorsitzende, bezeichnet das neue Honorar-Modell allerdings als einen "Rückschritt" im Vergleich zur Neupatientenregelung, die "schlanker" gewesen sei. Das von Lauterbach ausgegebene Ziel, dass Patientinnen und Patienten so schneller an Termine kommen, werde nur "bedingt" erreicht.
Denn sowohl für alle Arztpraxen als auch die Terminservicestellen bedeute das Modell eine "deutliche bürokratische Verschlechterung", so Smetak gegenüber dem SWR. Neupatientinnen und -patienten, die sich selbst um einen Termin kümmern wollen, müssten die Facharztpraxen künftig entweder wieder an ihre Hausarztpraxis oder die Terminservicestelle verweisen. "Für den Patienten bedeutet das Zusatzaufwand und schlechtere Versorgung, weil er ja wieder Hürden überwinden muss", so Smetak.
Auch Hausärzteverband in BW kritisiert neuen Vorschlag
Auch der Hausärzteverband in Baden-Württemberg sieht diesen Vorstoß des Bundesgesundheitsministers kritisch. Für Hausärztinnen und Hausärzte ist bei erfolgreicher Terminvermittlung bei einer Facharztpraxis ebenfalls mehr Geld angedacht. Nicola Buhlinger-Göpfarth dämpft jedoch die Erwartungen. "Was wir gerne machen, ist eine sinnvolle Steuerung. Aber wir sind natürlich keine Callcenter", so die Landesvorsitzende gegenüber dem SWR. Sie befürchtet, dass diese zusätzliche Tätigkeit die Kapazitäten in den Praxen sprengen würde. Für Buhlinger-Göpfarth war das ein Grund mehr, um am Mittwoch für bessere Arbeitsbedingungen protestiert zu haben.