Eine Frau steht einsam am Fenster (Foto: dpa Bildfunk, picture alliance/dpa | Fabian Sommer)

Thema betrifft alle

SPD-Fraktion fordert Strategie gegen Einsamkeit für Baden-Württemberg

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Die baden-württembergische SPD hat am Montag zu einer Fachkonferenz zum Thema eingeladen. Es soll größeres Bewusstsein für Einsamkeit in der Gesellschaft geweckt werden.

Die Landesregierung muss aus Sicht der SPD-Fraktion deutlich mehr gegen Einsamkeit in der Gesellschaft tun. Deshalb hat die Partei am Montag zu einer Fachkonferenz zum Thema Einsamkeit eingeladen. Sie möchte, dass die Landespolitik das Thema Einsamkeit auf die Agenda hebt und Projekte gebündelt werden. Auf diese Weise solle ein größeres Bewusstsein für das Thema in der Gesellschaft geweckt werden. Denn seit der Corona-Pandemie sei klar, dass es nicht nur ein Thema für ältere Menschen ist, sondern auch junge Leute betrifft.

Einsamkeit während der Corona-Pandemie

Dass das Thema nicht nur alte Menschen betrifft, zeigt sich bei der Debatte im Landtag auch bei einem Blick ins Publikum. Einen jungen Mann, etwa Anfang 30, hat die Einsamkeit mitten in den Examensvorbereitung an der Uni eingeholt - mitten im Corona-Lockdown. "Die Examensvorbereitung ist natürlich immer eine einsame Zeit. Es hat sich dadurch natürlich extrem verschlimmert, dass die Vorlesungen alle nur noch digital stattgefunden haben, die Bibliotheken geschlossen waren und man halt auch keine Freizeiträume hatte", sagt der junge Mann, der anonym bleiben möchte, dem SWR.

Nach dem Examen lockerten sich zwar die Pandemie-Maßnahmen - aber dann folgte ein neuer Job in einer neuen Stadt - und es fiel ihm plötzlich schwer, Kontakte zu knüpfen. "Die Bars waren wieder offen, aber ich zumindest war für mich daran gewohnt, allein zu sein und war nicht mehr outgoing", erzählt er weiter. Neue Menschen kennenlernen und auf Menschen zugehen, fiel ihm nicht leicht. Er war da gehemmter. Mittlerweile klappe das wieder besser, auf Menschen zuzugehen. Aber am Anfang sei es schwer gewesen, sagt der junge Mann.

Einsamkeit ist ein schambehaftetes Thema

Einsamkeit sei schließlich schambehaftet. Das stellt auch der Vorsitzenden des Landesseniorenrates Eckart Hammer fest. "Das Thema Scham ist ein wichtiges Thema, sowohl für jung als für alt. Das heißt oft, ich bin nicht in der Lage gewesen, mir ein gutes Netzwerk zu schaffen und allen anderen geht es irgendwie gut - so scheint es - und ich bin eben jemand, der es nicht geschafft hat. Sich damit zu outen und sich zu zeigen, ist nicht so einfach", so der Vorsitzende des Landesseniorenrates.

Und noch schwieriger werde es, wenn Armut hinzukommt, so Hammer. "Es gibt Menschen, die sich schämen, sich zu zeigen, weil sie sagen, ich bleibe in Armut", sagt Hammer. Den Menschen falle es schwer, jemanden in die Wohnung zu lassen, der dann deren Zustand sieht und das man nichts anzubieten habe. Armut habe viele Facetten, ihre Bekämpfung müsse noch stärker vorangetrieben werden, fordert Hammer.

"Wir müssen im Quartier in der Nachbarschaft unbedingt Acht geben, wen gibt es dort, wen haben wir nicht im Blick oder wer erscheint nie. Wir sollten die einsamen Menschen ansprechen, die sich selbst nicht trauen. Wir sollten auch die neutralen Orte schaffen, gerade wie in Straßenfesten, wo man eben nicht in die Wohnung oder seinen Garten einladen muss. Wo die Möglichkeit besteht, sich zwanglos kennenzulernen und sich auch in Not beizustehen", schlägt der Vorsitzende des Landesseniorenrates vor, um für Einsamkeit in der Nachbarschaft sensibler zu werden.

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Mehr Aufmerksamkeit für Einsamkeit in der gesellschaftlichen und politischen Debatte

Bei der Fachkonferenz wurden viele Vorschläge von den Fachleuten vorgetragen. Genau darum gehe es in einem ersten Schritt, sagt SPD-Fraktionschef Andreas Stoch nach der Veranstaltung. Der Blick müsse darauf gelenkt werden, wo Handlungsmöglichkeiten bestehen. "Das heißt, wir müssen überlegen, ob wir zum Beispiel einen Einsamkeitsbeauftragten in Baden-Württemberg brauchen, ob wir einen jährlichen Bericht zum Thema Einsamkeit brauchen, um daraus die richtigen Maßnahmen abzuleiten", betonte Stoch. Der Prozess sei noch am Anfang. "Wir wollen das Thema vor allem in der gesellschaftlichen, aber auch in der politischen Debatte in Baden-Württemberg fest verankern."

In einem Positionspapier fordert die Fraktion die Landesregierung unter anderem zu einer Bestandsaufnahme zu Einsamkeit und sozialer Isolation in Baden-Württemberg auf, zu einem regelmäßigen Einsamkeitsbericht und mehr Präventions- und Behandlungsangeboten. Im Koalitionsvertrag der Grünen und der CDU in Baden-Württemberg komme das Wort Einsamkeit nicht vor, kritisieren die Sozialdemokraten. Das Handeln in dem Problemfeld sei dürftig.

Die Stuttgarter Sozialbürgermeisterin Alexandra Sußmann sagte bei der Konferenz, dass schätzungsweise rund vier Prozent der Bürgerinnen und Bürger in der Landeshauptstadt von Einsamkeit betroffen seien, speziell Menschen mit Migrationshintergrund, Menschen mit gesundheitlicher Einschränkung und Menschen mit geringem Erwerbseinkommen.

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