10. Diversity-Tag 2022

"Inkluencerin" Hülya Marquardt: "Jeder soll Vielfalt auf seine Art und Weise zeigen"

Stand
AUTOR/IN
Miriam Staber
ONLINEFASSUNG
Mirela Delić

Influencerinnen und Influencer geben oft Modetipps oder werben auf Social Media für Produkte. Hülya Marquardt aus dem Rems-Murr-Kreis will mehr erreichen: Sie setzt sich als "Inkluencerin" für Sichtbarkeit von Menschen mit Behinderung ein.

In ihren Instagram-Videos, unterlegt mit poppiger Musik, fährt Hülya Marquardt aus Weissach im Tal (Rems-Murr-Kreis) mit ihrem Rollstuhl durch eine Pfütze, um Supermarktregale herum oder von einem Zimmer ins andere mit ihrem kleinen Sohn. Immer wieder muss sie aber stoppen, weil ein Hindernis im Weg ist oder sie wegen einer Stufe nicht weiterkommt, erzählt die 39-Jährige. "Es gibt zu viele Barrieren. Wenn ich irgendwohin möchte, ins Café oder so, muss ich mir schon Gedanken machen: Kann ich da auf Toilette? Ich möchte spontan sein und auch, dass das für alle möglich ist. Dass sich alle fortbewegen können, wann sie wollen und wohin sie wollen."

Inkluencerin Hülya Marquardt (Foto: SWR)
Influencerin mit Behinderung: Hülya Marquardt schafft Sichtbarkeit auf Social Media für Menschen mit Behinderung

"Ich finde es ganz wichtig, dass jeder Vielfalt auf seine Art und Weise zeigt"

Hülya Marquardt ist mit Dysmelie auf die Welt gekommen, eine Fehlbildung an Beinen und Händen. Als sie 18 Jahre alt war, mussten ihre Beine amputiert werden, jetzt enden sie über den Knien. Ihre Behinderung ist auf den Videos zu sehen. Sie zeigen, wie eingeschränkt sie manchmal ist. Sie zeigen aber auch, was sie mit Prothesen, dem Rollstuhl oder einem Skateboard alles kann. Auf Instagram ist sie seit fünf Jahren aktiv. Ihr folgen rund 70.000 Menschen. "Ich gehe ganz offensiv mit der Behinderung um", sagt die 39-Jährige. Denn auch in den sozialen Medien sei es wichtig, zu zeigen, wie vielfältig die Gesellschaft ist. "Es geht um die Vielfalt und nicht: Wir müssen alle so aussehen oder so aussehen."

Phänomen "Inkluencer": Influencer setzen sich für mehr Vielfalt ein

Marquardt will sich mit ihren Fotos und Videos aber nicht nur für Vielfalt und mehr Barrierefreiheit einsetzen, sondern auch Vorurteile abbauen. In ihren Videos tanzt sie auch mal mit den Prothesen. Sie zeigt sich bewusst schick gekleidet und ästhetisch, ihre dunklen Haare gestylt. Mode ist ein wichtiges Hobby für sie. Sie ist auch Mit-Besitzerin einer Boutique. "Ich glaube, dass viele Menschen Mode nicht mit Behinderung zusammenbringen. Es passt für viele vielleicht nicht ins Bild: Eine Amputierte Frau und sich trotzdem schön kleiden wollen." Durch ihre Sichtbarkeit auf Instagram möchte sie bewusst ein anderes Bild zeigen: "Ich glaube, dass es wichtig ist, dass ich das zeige, weil dann auch das gewisse Schubladendenken verschwinden kann."

Mit ihrem Anliegen ist die 39-Jährige nicht alleine. In den letzten Jahren ist die Zahl der Influencerinnen und Influencer mit körperlicher und geistiger Behinderung gestiegen. Sie werden auch "Inkluencer" genannt - das sind Menschen, die ihre Reichweite dafür nutzen, sich für Inklusion einzusetzen, in dem sie zum Beispiel auf ihre Lebenssituation und ihre Herausforderungen aufmerksam machen. Durch sie sei die Inklusionsbewegung stärker geworden, erklärt die Beauftragte für Menschen mit Behinderung in Baden-Württemberg, Simone Fischer. "Ich habe den Eindruck, dass Inklusion mehr in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird. Inklusion ist dadurch sichtbarer und durch die Sichtbarkeit in den sozialen Medien auch zeitgemäßer", sagt Fischer. Durch Inkluencerinnen wie Hülya Marquardt werde Behinderung auch positiv besetzt, Behinderung kann so auch weniger als Stigma wahrgenommen werden.

Hülya Marquardt war auch zu Gast bei "naber? Was geht!". Im SWR Format auf Youtube und Instagram werden Frauen mit türkischen und kurdischen Wurzeln porträtiert:

Durch die Sichtbarkeit als Influencerin entstehe auch ein weltweites Netzwerk an Betroffenen. Viele Inkluencerinnen und Inkluencer tauschen sich in sozialen Medien aus und machen sich so auch untereinander Mut, sagt Marquardt. Sie sieht die sozialen Netzwerke als Chance: "Social Media ermöglicht es uns, auch andere Menschen zu sehen, die in der selben Situation stecken. Von daher finde ich es wichtig, damit sich etwas verändert."

Podcast zum Diversity-Tag mit Landtagspräsidentin Muhterem Aras

Anlässlich des 10. Diversity-Tags finden zahlreiche Aktionen statt. Im Podcast SWR Aktuell Mondial ist Muhterem Aras zu Gast - sie wurde 2016 als erste Frau mit Migrationshintergrund zur baden-württembergischen Landtagspräsidentin gewählt. "Für mich ist Deutschland, Stuttgart, Baden-Württemberg, auch deshalb Heimat geworden, weil ich mich mit den Werten dieser Gesellschaft identifiziere, weil ich Verantwortung übernommen habe", sagt die Grünen-Politikerin im Interview.

Ausstellung „Meine kleinen Schätze“ – Gegenstände des Alltags erzählen Migrationsgeschichten

Schlüsselbund und Oregano, Weinberge und türkischer Tee, Goethe und Nazim Hikmet: Anhand ihrer „kleinen Schätze“, die sie mit ihren beiden Heimaten verbinden, erzählen Menschen aus Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz ihre ganz persönlichen „Geschichten von Migration“.

Ulm

Deutscher Diversity-Tag 2022 Stadt, Land, Queer: Paulinos Neustart in Ulm

In Ulm ist Paulino angekommen - erst hier konnte er sich als Transmann outen. Der 21-Jährige ist im ländlichen Raum bei Biberach aufgewachsen. Dort fand er weder Toleranz noch eine Community.

Stand
AUTOR/IN
Miriam Staber
ONLINEFASSUNG
Mirela Delić