Der Teilnehmer einer Demonstration am Brandenburger Tor hält ein Schild mit der Aufschrift "Die Russen sind gegen den Krieg" in die Kamera. (Foto: dpa Bildfunk, Picture Alliance)

Wegen Angriffskrieg gegen die Ukraine

Anfeindungen gegen Deutsche aus Russland: So bekommen Betroffene Hilfe

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Anne Jethon

Wegen Russlands Krieg gegen die Ukraine fühlen sich Deutsche aus Russland diskriminiert. Dabei sind viele selbst mit Ukrainern befreundet. Beratungsstellen bieten Hilfe an.

Nach dem Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine beklagen Deutsche aus Russland, dass sie zunehmend angefeindet werden. Das berichten sie auch im Gespräch mit dem SWR - zum Beispiel Wadim B. Er besucht am Sonntag mit Freunden und seiner Frau ein Restaurant in Reutlingen. Sie unterhalten sich auf deutsch, hier und da fallen russische Worte. Die Menschen um ihn herum werfen der Gruppe Blicke zu. "Die Leute sind nicht amused. Man hat sich wie unter Beobachtung gefühlt", sagt er.

Dabei war er selbst noch nie in Russland. "Mich verbindet mit dem Land die Sprache, mein Name und die Herkunft meines Vaters. Man merkt aber an der Reaktion der Menschen, dass sie denken: 'Das ist ein Russe.'" Er selbst sei gegen den Krieg, von Putin distanziert er sich klar. "Die Situation ist mir unangenehm. Ich versuche jetzt Russisch zu vermeiden." Man passe sich der Situation an.

Medien berichten häufiger über Diskriminierung Deutscher aus Russland

Es sind Alltagssituationen, die momentan vielen russischstämmigen Menschen bekannt vorkommen könnten. Immer wieder wird von der Diskriminierung Deutscher aus Russland oder russischsprachiger Menschen gesprochen. Der Waffenhersteller Heckler & Koch soll Mitarbeitende mit russischem Hintergrund aus der Qualitätssicherung wegversetzt haben. Die Versetzung bestätigte das Unternehmen dem SWR. Betroffene sprechen in einem Erstbericht des "Schwarzwälder Boten" von Diskriminierung. Das Unternehmen selbst weist die Vorwürfe gegenüber dem SWR von sich. Die Politik warne seit dem Krieg vor russischen Agenten. Die hätten vor allem Rüstungsbetriebe im Visier - und deren Mitarbeitende. Die und deren Familien gelte es zu schützen.

Ein weiteres Beispiel: Eine Familie aus Waldshut berichtet dem SWR, dass ihre Kinder in der Schule seit dem Krieg Probleme mit ihren Mitschülerinnen und Mitschülern hätten. Auf der Straße bekomme die Mutter diskriminierende Sprüche zu hören:

Waldshut

"Wir können doch nichts dafür!" Ukraine-Krieg: Ehemalige Sowjetbürger wehren sich gegen Mobbing

Allein der russische Akzent reiche schon, um beschimpft zu werden, klagen ehemalige Sowjetbürger. Selbst unter Schulkindern gibt's da keine Ausnahme.

Die in Kasachstan geborene Unternehmerin Olesja Romme aus Lahr (Ortenaukreis) spricht von Hetze und Anfeindungen gegenüber Deutschen aus Russland und russischen Staatsbürgerinnen und -bürgern. "Es werden Kinder in der Schule gemobbt, im Job gibt es Anfeindungen von Arbeitskollegen und sogar Vorgesetzten", sagte Romme der "Stuttgarter Zeitung" und den "Stuttgarter Nachrichten". Romme ist auch Vertreterin der Lahrer Landsmannschaft der Deutschen aus Russland.

Polizei kalkuliert Straftaten mit ein

Laut einer Umfrage des ARD-Politmagazins REPORT MAINZ unter den Innenministerien der Länder und mehreren Polizeipräsidien gab es in den vergangenen Wochen schon vereinzelt Angriffe gegen russischsprachige Menschen. Außerdem habe es mehrere Fälle von Sachbeschädigungen gegen russische Geschäfte gegeben. Schaufenster wurden beschmiert und beschädigt. Behörden berichten von Streitigkeiten und Beleidigungen.

Mehrere Ministerien teilten REPORT MAINZ mit, dass sie von weiteren Straftaten ausgingen. Die Polizei in Baden-Württemberg kalkuliere schon jetzt weitere Fälle von Sachbeschädigungen, Vandalismus und körperlichen Auseinandersetzungen mit ein.

Betroffene können sich bei Beratungsstellen Hilfe suchen

Bisher haben sich noch keine Betroffenen bei der Antidiskriminierungsstelle des Landes Baden-Württemberg (LADS) gemeldet. "Allerdings sagt die Anzahl der Personen, die sich an die LADS wenden, nichts über die Anzahl der tatsächlich stattfindenden Diskriminierungen aus", schreibt ein Sprecher des Sozialministeriums auf SWR-Anfrage. Die meisten Menschen meldeten Fälle von Diskriminierung nicht, weder der LADS noch einer anderen Stelle.

Das würde sich aber lohnen, sagt Tina Koch. Sie leitet das Antidiskriminierungsbüro in Mannheim. Es berät Menschen kostenlos, die sich in jeglicher Hinsicht diskriminiert fühlen. Die Mitarbeitenden des Büros helfen, die Situation einzuordnen und nach einer Lösung zu suchen: Macht ein Beschwerdebrief Sinn? Sollte der Betroffene an die Presse gehen oder klagen? Oder reicht ein Vermittlungsgespräch? "Außerdem ist es wichtig, Diskriminierung zu erfassen, damit die Fälle gemeldet werden", sagt Koch.

Die Gründe für Diskriminierung seien vielfältig. In Bezug auf die aktuelle Situation spiele oft auch Angst und Unsicherheit mit. Koch: "Die Vorurteile sind zum Teil so tief verwurzelt, dass sie nicht mehr auffallen."

Das Team des Antidiskriminierungsbüro in Mannheim sitzt an einem Tisch und berät sich. (Foto: Antidiskriminierungsbüro Mannheim )
Das Team des Antidiskriminierungsbüro in Mannheim berät Menschen, die sich in jeglicher Hinsicht diskriminiert fühlen. Tina Koch (zweite v.r.) leitet die Geschäftstelle.

Machtlosigkeit als Grund für Diskriminierung?

Für Ernst Strohmaier, Landesvorsitzender der Landsmannschaft Deutscher aus Russland in Baden-Württemberg, ist klar, woher die Anfeindungen kommen. "Man greift den, der zum Greifen nahe ist. Um seinen Frust, die Verärgerung, aber auch die Machtlosigkeit loszuwerden." Manche wollten Deutsche aus Russland stellvertretend für Russland in die Pflicht nehmen und bestrafen. "Wer hat das Recht dazu?", fragt Strohmaier.

"Egal ob Russen, Ukrainer oder Deutsche aus Russland. Wir halten zusammen."

Er hält Russlands Präsident Wladimir Putin für den Aggressor. Im Verein befürworte niemand den Krieg. Strohmaier spricht die Worte langsam und bedacht aus. "Egal ob Russen, Ukrainer oder Deutsche aus Russland. Wir halten zusammen, auch wenn wir manchmal anderer Meinung sind." Das sei anders, sobald die Menschen auf Distanz seien, zum Beispiel in den sozialen Medien.

Damit Anfeindungen weniger werden, sei vor allem Aufklärung wichtig. "Friedliche Koexistenz basiert auf Aufklärungsarbeit." Die vergangenen Jahre habe man sich viel mit Antidiskriminierungsarbeit beschäftigt - oft im Zusammenhang mit Krisensituationen, in denen sich eine andere Kultur befunden habe. "Jetzt hat es die Russen, Ukrainer und Deutsche aus Russland getroffen."

Was tun, wenn Menschen angefeindet werden?

Tina Koch vom Antidiskriminierungsbüro Mannheim rät Betroffenen, Verbündete zu suchen und Menschen zu finden, denen es ähnlich gehe. Man müsse darüber reden und beim Gegenüber nachfragen, "wenn es die Energie zulässt." Es sei nicht immer der Fall, dass die Person gegenüber menschenfeindlich sei. Manchmal müsse man sich aber auch schützen. Beratungsstellen würden hier helfen.

Tina Koch sitzt am Schreibtisch. (Foto: Antidiskriminierungsbüro Mannheim )
Tina Koch rät Betroffenen von Diskriminierung, Verbündete zu suchen und Menschen zu finden, denen es ähnlich gehe.

Außenstehende sollten Hilfe anbieten, wenn sie bemerken, dass andere diskriminiert werden. "Das ist aber situationsabhängig. Braucht die Person Unterstützung oder bin ich übergriffig, wenn ich denke, die Person bekommt es nicht alleine hin?" Je nach Situation könne man mit der betroffenen Person Augenkontakt aufnehmen, die Stimme erheben oder auf eine Beratungsstelle hinweisen, sagt Koch.

"Kein Deutscher aus Russland ist für den Krieg."

Wadim B. wünscht sich, dass die Menschen nicht in Schwarz-Weiß denken. Für ihn ist klar: "Kein Deutscher aus Russland ist für den Krieg. Das kann kein normaler Mensch befürworten." Alle hätten die gleichen Ängste. Deutsche aus Russland seien eher bestrebt, akzeptiert zu werden. "Wir sehen uns als Bestandteil des Systems", sagt er. Sie hätten viele Vernetzungen zur Ukraine und den Menschen dort. Das gilt auch für ihn: Seine Frau hat ukrainische Wurzeln.

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