Eine Schülerin hält ein mobiles Telefon in der Hand.  (Foto: dpa Bildfunk, Picture Alliance)

Ermittler vor großer Herausforderung

Deutlich mehr Kinderpornografie-Fälle: Wenn Minderjährige unbewusst zu Tätern werden

Stand

Die Zahl der registrierten Verbrechen rund um Kinderpornografie ist in Baden-Württemberg im vergangenen Jahr deutlich gestiegen. Die Verdächtigen sind selbst oft noch minderjährig.

Kinder und Jugendliche geraten immer mehr wegen der Verbreitung von Kinderpornografie ins Visier der Ermittler. Die Zahl der erfassten Verbrechen rund um Kinderpornografie in Baden-Württemberg stieg im Vergleich zum Vorjahr von 2.416 auf 4.873 - ein Zuwachs von 101,7 Prozent. Das ergab eine Antwort des Innenministeriums auf eine Anfrage der FDP, die der Deutschen Presse-Agentur vorliegt.

Bei Kinderpornografie handelt es sich um Abbildungen schweren sexuellen Kindesmissbrauchs. Im Bereich der Jugendpornografie stiegen die Deliktzahlen von 389 auf 575 (ein Plus von knapp 48 Prozent). Die Aufklärungsquote liegt derzeit bei 96,1 Prozent. Experten gehen aber von einer sehr hohen Dunkelziffer aus.

Großteil der erfassten Täter ist minderjährig

Beim Großteil der erfassten Delikte geht es um den Besitz und die Verbreitung der Kinderpornografie. Auch bei Erwerb und Herstellung steigen die Fallzahlen stark. Die Zahl der Tatverdächtigen stieg 2021 bei allen Altersgruppen kräftig an. Zum Großteil handelte es sich bei den Tatverdächtigen aber um Kinder, Jugendliche und Heranwachsende. Die Zahl der Täter unter 14 Jahren stieg in Baden-Württemberg um 45 Prozent auf 762.

Die sogenannte Schulhof-Pornografie stellt die Ermittler vor riesige Herausforderungen. Oft seien sich die Verbreiter der strafrechtlichen Relevanz ihrer Taten nicht bewusst.

Massenhafte Verbreitung über Whatsapp

Das Innenministerium berichtet nämlich von einer "massenhaften Verbreitung inkriminierter Inhalte über Messengerdienste" wie Whatsapp. Smartphones sind auf dem Schulhof weit verbreitet. Schüler erhalten Bilder in Whatsapp-Chats, etwa Fotos des gleichaltrigen Freundes oder das "Dickpic" genannte Penisfoto. Schickt eine 13-Jährige ein Nacktfoto als vermeintlichen Liebesbeweis an ihren Freund, gilt das nach dem Gesetz bereits als Kinderpornografie. Gerät das Foto in den Klassenchat, kann sich jedes Mitglied darin strafbar machen. Die Polizei ermittelt dann schnell gegen alle Mitglieder.

Was sind die Gründe für den rasanten Anstieg?

Der Anstieg ist laut Ministerium auch auf die stetig zunehmende Zahl von Verdachtsmeldungen der US-Nichtregierungsorganisation National Center for Missing and Exploited Children (NCMEC/auf Deutsch: Nationales Zentrum für vermisste und ausgebeutete Kinder) zurückzuführen. Diese leitet Hinweise zu Kinder- und Jugendpornografie mit Bezug nach Deutschland an die hiesigen Strafverfolgungsbehörden weiter.

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Seit Februar sind Anbieter sozialer Netzwerke in Deutschland außerdem verpflichtet, Behörden strafbare Inhalte wie Kinderpornografie zu melden, was die Fallzahlen weiter nach oben schießen lassen dürfte.

Kinder und Jugendliche sind sich ihrer Taten nicht bewusst

Kinder und Jugendliche seien sich der strafrechtlichen Bedeutung "der zum Teil selbst angefertigten Inhalte oftmals nicht bewusst", schreibt das Innenministerium. "Die Motive liegen hierbei zumeist in kinds- bzw. jugendtypischem Fehlverhalten begründet."

Kinder und Jugendliche verbreiteten die Inhalte meist über ihre gewohnten Nachrichtenkanäle, während erfahrene Täter Dienste wie Telegram bevorzugten, die sie anonym oder unter Angabe falscher Personalien nutzen könnten.

FDP: Ermittler sollen Täter differenziert behandeln

Die Ermittler dürften nicht alle Tatverdächtigen über einen Kamm scheren, findet die FDP im Landtag. Der Bund als Gesetzgeber habe den Handlungsspielraum der Justiz beschnitten, um im Einzelfall von einer hohen Freiheitsstrafe absehen zu können, kritisiert der rechtspolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Nico Weinmann. "Der Ruf nach immer höheren Strafen führt nicht zu weniger Straftaten", sagt er. Gleichzeitig sorge er dafür, dass die Justiz Einzelfälle nicht mehr im erforderlichen Maß individuell und flexibel aburteilen könne.

"Ein jugendlicher Täter, der völlig unbedarft Bilder einer gleichaltrigen Person abspeichert, steigert sein Unrechtsbewusstsein beispielsweise nicht dadurch, dass er direkt zu einer langen Haftstrafe verurteilt wird", sagt Weinmann. Gerade aber diese Täter würden gefasst, da sie sich im Gegensatz zu erfahrenen Wiederholungstätern nicht auf anonymen Plattformen oder im Darknet bewegten. "Anstatt einer Gleichbehandlung aller Taten, muss Aufklärung, Medienbildung und Präventionsmaßnahmen in Schulen und bei den Eltern einerseits und konsequentes Vorgehen gegen Sexualstraftäter andererseits im Vordergrund stehen."

Eine Ermittlerin sitzt vor Monitoren mit unkenntlich gemachten Fotografien, die teilweise sexuellen Missbrauch zeigen. (Foto: dpa Bildfunk, Picture Alliance)
Die sogenannte Schulhof-Pornografie stellt die Ermittler vor riesige Herausforderungen.

Mehrere hundert Terabyte Material pro Polizeipräsidium und Jahr

Die stark steigende Zahl der erfassten Fälle bringt Ermittler jedenfalls an ihre Grenzen. Das Innenministerium berichtet, mehrere hundert Terabyte Material pro Polizeipräsidium und Jahr seien keine Seltenheit. Die Liberalen fordern von der Landesregierung deshalb, künstliche Intelligenz im Kampf gegen Kinderpornografie verstärkt zu nutzen. "Je mehr Material durch KI-Programme gesichtet und ausgewertet werden kann, desto besser können auch die extremen Belastungen für die Beamtinnen und Beamten, die sich damit beschäftigen, abgemildert werden", sagt die innenpolitische Sprecherin der FDP-Fraktion, Julia Goll.

Das Land ist auf dem Weg: Ein Pilotprojekt eines baden-württembergischen Polizeipräsidiums, bei dem kinderpornografisches Material per künstlicher Intelligenz vorsortiert wurde, soll nach Angaben des Ministeriums nun auf vier weitere Präsidien ausgeweitet werden.

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SWR