Spritzen nach einer Corona-Impfung (Foto: dpa Bildfunk, picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild | Martin Schutt)

Große Impflücke in manchen Bevölkerungsgruppen

Coronavirus: Impffortschritt in BW gerät immer mehr ins Stocken

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Jakob Fandrey
SWR-Redakteur Jakob Fandrey (Foto: SWR)

Während die Zahl der Corona-Neuinfektionen und auch die Sieben-Tage-Inzidenz immer weiter steigen, werden gleichzeitig immer weniger Impfdosen verabreicht. Das könnte Folgen haben.

Die tägliche Zahl der Impfungen zum Schutz gegen das Coronavirus geht in Baden-Württemberg immer weiter zurück - und somit verlangsamt sich auch der Impffortschritt im Land. So wurden etwa laut Analyse des Landesgesundheitsamts (LGA) von vergangenem Freitag im Vergleich zum Vortag insgesamt 8.582 Impfdosen verabreicht - im gleichen Zeitraum vor vier Wochen waren es noch 18.047, mehr als doppelt so viele.

Ähnlich die aktuellsten Werte: Für den Report von Dienstag wurden seit dem Vortag 3.567 zusätzliche Impfungen registriert - im gleichen Zeitraum vor genau vier Wochen waren es noch 9.842. Vor zwei Monaten, am 25. Januar, hatte der Wert insgesamt 38.913 betragen.

Speziell das Interesse an den Auffrischungsimpfungen ist dabei spürbar zurückgegangen. Hier gab es laut Landessozialministerium im November und Dezember 2021 eine große Nachfrage, die aktuell gestillt sei.

Wegen des aktuell geringen Interesses an einer Impfung will das Land Baden-Württemberg ab Anfang April das Impfangebot bis Herbst reduzieren. Statt der bisher etwa 350 mobilen Impfteams und 135 Impfstützpunkte soll es jeweils nur noch ein Team und einen Stützpunkt in allen 44 Stadt- und Landkreisen geben. 

Insgesamt wurden in Baden-Württemberg seit Beginn der Impfungen im Dezember 2020 (Stand: Dienstag, 16 Uhr) nach LGA-Angaben mehr als 22,7 Millionen Impfdosen verabreicht. 8,2 Millionen Menschen haben eine Grundimmunisierung erhalten, davon sind knapp 6,3 Millionen bereits geboostert. Nicht separat aufgeführt werden dabei die Personen, die bereits eine zweite Auffrischungsimpfung erhalten haben, das Landessozialministerium schätzt ihre Zahl auf rund 70.000.

Coronavirus: Mehr als jeder Vierte in Baden-Württemberg ungeimpft

Bezogen auf die Gesamtbevölkerung sind demnach 74,0 Prozent der Baden-Württembergerinnen und Baden-Württemberger grundimmunisiert, 56,7 Prozent sind geboostert. Im Vergleich liegt Baden-Württemberg damit jeweils hinter dem Bundesschnitt (75,8 Prozent beziehungsweise 58,3 Prozent der Bevölkerung laut Robert Koch-Institut). Die Hoffnung, die in den neuen Impfstoff von Novavax gesetzt wurde, erfüllte sich nicht. Man habe mit einem höheren Interesse gerechnet, so ein Sprecher des Sozialministeriums auf SWR-Anfrage.

Auch ein Blick auf die unterschiedlichen Altersgruppen zeigt: In Baden-Württemberg sind im Vergleich zu anderen Bundesländern überdurchschnittlich viele Menschen nicht gegen das Coronavirus geimpft.

So sind beispielsweise mehr als 12,6 Prozent der Personen über 60 Jahre im Land aktuell ungeimpft (11,3 Prozent bundesweit). Fast ein Viertel der Altersgruppe verfügt laut Landessozialministerium nicht über eine Booster-Impfung. Als "weiter ausbaufähig" bezeichnete das Ministerium Anfang März die Booster-Quote in Pflegeeinrichtungen.

Auch in den anderen in der Grafik angegebenen Altersgruppen schneidet das Land schlechter ab als der Bund. In den Augen des Sozialministeriums als "viel zu groß" beschreibt ein Sprecher auf SWR-Anfrage diese Lücke.

Suche nach Gründen bei Ungeimpften

Doch woher kommt die hohe Zahl Ungeimpfter? Das Sozialministerium verweist auf eine im Oktober 2021 veröffentlichte Umfrage zur Impfbereitschaft, wonach lediglich 41 Prozent der nicht gegen das Coronavirus geimpften Personen Impfverweigerer seien. Dem gegenüber stehen 59 Prozent, die sich zum Zeitpunkt der Umfrage unentschlossen oder zögerlich, aber grundsätzlich zu einer Impfung bereit zeigten.

Weitere Erhebungen kommen dagegen zu anderen Ergebnissen. Einer repräsentativen Umfrage des Allensbach-Instituts (Kreis Konstanz) aus dem Februar 2022 zufolge, das der Zeitung "WELT" vorliegt, würden sich nur zwei Prozent der ungeimpften Befragten impfen lassen, sollte eine Impfpflicht eingeführt werden. Die Tübinger Pandemiebeauftragte und Notärztin Lisa Federle hatte zuletzt immer wieder für Offenheit und Transparenz bei den Nebenwirkungen einer Corona-Impfung geworben. Wenn offen darüber geredet werde, würden mehr Menschen für eine Impfung bereit sein, so ihre Einschätzung. Es könne nicht sein, dass man aus Angst vor "Querdenkern" davor zurückschrecke, die Nebenwirkungen von Impfungen in Bezug auf Corona in vollem Umfang zu erfassen, hatte Federle noch im Februar betont. Damit sei eine genaue Aufklärung nicht möglich. Außerdem trage das in keiner Weise zum Vertrauen der Bevölkerung bei.

Interesse an Booster-Impfung geringer

Das Sozialministerium vermutet, dass sich viele deshalb nicht boostern lassen, weil das Infektionsrisiko bei der aktuell vorherrschenden Omikron-Variante auch für Geimpfte sehr hoch ist. Ein weiterer Grund könnten die überwiegend leichteren Krankheitsverläufe im Vergleich zu vorherigen Virusvarianten sein.

Unabhängig vom aktuellen Impffortschritt sieht der Freiburger Medizinstatistiker Gerd Antes die Politik in der Pflicht, klare Ziele zu formulieren. Es sei unvermeidlich, dass sich jeder früher oder später infiziere. Hier habe es in der Vergangenheit in der Kommunikation zu viele Versäumnisse gegeben, so Antes auf SWR-Nachfrage.

Eine natürliche Immunität sei eine "robuste Immunität", formulierte der Virologe Klaus Stöhr am Montag im Bundestag im Rahmen einer Anhörung zu den vorliegenden Entwürfen für eine mögliche Impfpflicht seine Haltung. Man müsse sich auf jene Gruppen konzentrieren, bei denen die Impflücken am größten seien. Die Krankheitslast im Herbst lasse sich durch eine allgemeine Impfpflicht nicht dramatisch reduzieren, so seine Einschätzung.

Baden-Württemberg setzt auf Übergangslösung

Im Sozialministerium setzt man in Anbetracht der steigenden Infektionszahlen vorerst den Fokus auf eine Übergangslösung nach dem bundesweiten Wegfall der Corona-Maßnahmen zum 20. März. Unter anderem Sozialminister Manfred Lucha (Grüne) hatte daran harte Kritik geübt. "Kanzler Scholz und Gesundheitsminister Lauterbach haben sich von der FDP am epidemiologischen Nasenring durch die Manege führen lassen und wir Länder müssen es jetzt ausbaden", hatte Lucha dem SWR gesagt.

Hier können Sie das ganze Interview sehen:

Auch über eine Hotspot-Regelung für die Zeit ab April wurde offenbar nachgedacht. Auf Nachfrage betonte das Ministerium, dass es aufgrund der fragilen Situation schwer vorherzusehen sei, welches Szenario nach dem 2. April eintreten werde. Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) betonte indes, dass ab 3. April die Corona-Maßnahmen weitgehend wegfallen - auch da die rechtlichen Hürden für eine Hotspot-Regelung sehr hoch seien.

Bereits Mitte Februar hatte Lucha angesichts der damals noch geplanten und jetzt umgesetzten Lockerungen der Corona-Regeln davor gewarnt, die Impfungen gegen das Virus aus dem Blick zu verlieren. "Die Impfung bleibt weiterhin zentraler Baustein der Pandemie-Bekämpfung", hatte der Grünen-Politiker betont. Werde sie vernachlässigt, könne sich die Lage wieder zuspitzen: "Es besteht sonst die Gefahr, dass wir zwar einen unbeschwerten Frühling und Sommer genießen, im Herbst und Winter aber wieder vor massiven Problemen stehen", sagte er.

Was kommt nach Omikron?

Über die Gründe für eine Stagnation des Impftempos hat die baden-württembergische Krankenhausgesellschaft keine eigenen Erkenntnisse. Im Fokus liege die hohe Impflücke speziell bei Personen über 60 Jahren. Möglicherweise werde im Herbst eine Variante dominieren, die noch mildere Verläufe verursache als Omikron, dann wäre keine besondere Belastung der Krankenhäuser zu befürchten, so eine Sprecherin auf SWR-Anfrage.

Eine größere Belastung der Krankenhäuser bei einer weiteren Variante mit schwereren Verläufen sei ebenfalls möglich. Wie der kommende Herbst mit Blick auf Corona genau aussehen werde, könne aktuell noch niemand vorhersagen.

Diskussion um Impfpflicht geht weiter

Die politische Diskussion um eine allgemeine Impfpflicht geht unterdessen weiter - auch aufgrund der gegenwärtigen Impflücke. In der ARD-Sendung "Bericht aus Berlin" rief Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) am Sonntagabend zur Zustimmung zu einer allgemeinen Impfpflicht auf und richtete an alle demokratischen Parteien die Forderung, aus Staatsräson zusammenzuhalten. "Die Impflücke schließen wir nicht mit Freiwilligkeit. Da muss die Impfpflicht her", so Lauterbach. "Wir werden uns im Kreis drehen, wenn wir nicht mit der Impfpflicht kommen."

Lauterbach im "Bericht aus Berlin"

Da im Bundestag keiner der beiden Gruppenanträge pro Impfpflicht eine Mehrheit hat, schlug Lauterbach in der Sendung "RTL Aktuell" am Sonntagabend eine Fusion der Konzepte vor. Er plädiere dafür, "dass wir diese beiden Anträge, die wir für die allgemeine Impfpflicht derzeit haben, zusammenführen zu einem Antrag, der dann eine Mehrheit findet", so der SPD-Politiker. Auch Lucha und Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) sprachen sich in den vergangenen Wochen immer wieder für eine Impfpflicht aus.

Kretschmann befürchtet aber, dass die allgemeine Impfpflicht gegen das Coronavirus doch nicht kommen wird. "Daran darf man - wie es so aussieht - einige Zweifel haben", hatte er im SWR-Interview gesagt. "Es sieht im Moment nicht so aus, als ob sich der Bundestag da auf eine Linie einigen kann. Aber die Hoffnung stirbt zuletzt."

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Individuelle Impfempfehlungen statt Impfpflicht

Von einer Impfpflicht hält der Freiburger Medizinstatistiker Antes nichts. Vielmehr müsse man die Menschen von einer Impfung überzeugen. Auf SWR-Nachfrage kritisierte er das bisherige Vorgehen, zu unspezifisch agiert zu haben. "Geht hin zu den Ungeimpften und wartet nicht, dass sie zu euch kommen", so Antes. Man könne mit einer hohen Motivation die Leute dazu bringen, sich impfen zu lassen. Dafür seien individuelle Ansprachen nötig. Die bisherigen Impfkampagnen seien nicht zielführend genug gewesen.

Das Sozialministerium bezieht sich hierbei auf das Anfang Februar 2022 veröffentlichte Impfquoten-Monitoring in Deutschland (COVIMO) des RKI. Es zeige, dass die Impfbereitschaft wesentlich von Bildung und Einkommen, dem Alter, Diskriminierungserfahrungen im Gesundheitsbereich sowie dem Sprachverständnis abhänge, so ein Ministeriumssprecher. Das Monitoring weist etwa explizit darauf hin, dass Personen ohne Migrationsgeschichte eine höhere Impfquote als Personen mit Migrationshintergrund hätten. Bei den noch Ungeimpften sei die Impfbereitschaft dagegen bei Personen mit Migrationshintergrund höher.

Man werde alles daran setzen, deshalb auch diesen Bevölkerungsgruppen eine Impfung anzubieten, so das Ministerium. Man sei in ständigem Austausch mit "Peergroups sowie Stakeholdern", so der Sprecher, ohne detaillierter darauf einzugehen.

Informationen über Ungeimpfte fehlen

Ob dies reicht? Man habe noch immer viel zu wenige Informationen und Daten darüber, wer die große Gruppe der Ungeimpften sei, betont Antes - analog zur Infektionslage. Rund um den sozioökonomischen Status oder der Herkunft der Betroffenen wisse man viel zu wenig, so könne man entsprechend auch nicht spezifischer auf die Menschen eingehen. Generell weist das RKI seit längerer Zeit darauf hin, dass die ausgewiesenen Zahlen als Mindestimpfquoten zu verstehen sind. Die tatsächliche Impfquote könne um bis zu fünf Prozentpunkte höher liegen. Für den Freiburger Medizinstatistiker ein weiteres Merkmal für die schlechte Datenlage.

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