Mehr als 10.000 Menschen - größtenteils ohne Masken und Abstand - haben nach Angaben der Polizei am Karsamstag in Stuttgart bei einer Kundgebung der "Querdenken"-Bewegung gegen die Corona-Politik demonstriert. Dabei sei es bis auf wenige Ausnahmen friedlich geblieben, sagte ein Polizeisprecher. Hunderte Beamtinnen und Beamte waren im Einsatz, schritten wegen der Verstöße gegen die Corona-Regeln aber kaum ein. Größtenteils hielten sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer nicht an die Auflagen, weder an die Maskenpflicht noch die nötigen Abstände. Das rief viel Kritik hervor - ebenso wie Angriffe auf Journalisten.
Angriffe auf Journalisten bei Corona-Demo
Bei der Demonstration sind nach Angaben des Deutschen Journalisten-Verbands (DJV) am Samstag mehrere Journalisten angegriffen worden. Ein ARD-Fernsehteam wurde während eines Live-Schaltgesprächs auf dem Cannstatter Wasen bedrängt und musste die Schalte zum Sender deshalb unterbrechen.
Verband: Journalisten nicht ausreichend geschützt
Wieder einmal hätten die selbsternannten Querdenker keine Hemmungen, Berichterstatter als Ziel ihrer Wut anzugreifen, erklärte der DJV-Bundesvorsitzende Frank Überall. "Wütend macht mich die offensichtliche Untätigkeit der Polizeibeamten, die nichts für den Schutz unserer Kolleginnen und Kollegen unternehmen." Der Verband wolle wissen, warum Journalisten nicht ausreichend geschützt würden. "Was muss eigentlich noch passieren, bis die Sicherheitskräfte erkennen, dass Journalistinnen und Journalisten in Deutschland nicht mehr frei berichten können?"
Der baden-württembergische DJV-Landesvorstand bat der Stuttgarter Polizei ein Gespräch an, um gemeinsam zu klären, wie Journalisten bei derartigen Demonstrationen besser geschützt werden können. "Denn wenn eine freie Berichterstattung durch absehbar medienfeindliche Gruppen erschwert wird, die für sich in Anspruch nehmen, die Grundrechte gepachtet zu haben - dann ist eine Grenze erreicht", so der DJV-Landesvorsitzende Markus Pfalzgraf.
Der Erste Chefredakteur von ARD-aktuell, Marcus Bornheim, verurteilte den Angriff auf den ARD-Reporter. Es sei ein Armutszeugnis, wenn solche Veranstaltungen genutzt würden, die Pressefreiheit zu attackieren.
Scharfe Kritik vom Intendanten des SWR
Auch der Intendant des SWR, Kai Gniffke, äußerte sich besorgt. "Die SWR-Mitarbeitenden sind bei ihrer Arbeit auf Konfrontationen vorbereitet, agieren besonnen und vermeiden die Eskalation. Sie sind auch nicht empfindlich. Aber es gibt Grenzen", so Gniffke am Sonntag. Egal wie eklig und ungehörig sich Menschen gegenüber den Journalisten des SWR verhalten würden, "es wird uns in der Unvoreingenommenheit und Unabhängigkeit nicht beeinträchtigen", so Gniffke weiter. "Wir müssen uns nicht alles bieten lassen." Der SWR stehe uneingeschränkt zu seinen Mitarbeitenden, "die eine unabhängige Berichterstattung sicherstellen."
SWR Intendant Kai Gniffke ist sich sicher, dass die Menschen im Südwesten die Arbeit des SWR schätzen und das Vertrauen in den letzten Monaten sogar eher gestiegen ist. Man müsse im Gespräch mit den Kritikern bleiben, auch wenn ihm dies selbst manchmal schwerfalle. "Diejenigen, die uns ablehnen, sind lauter geworden. Die verschaffen sich sehr deutlich Gehör. Die attackieren uns und da wird es dann irgendwann schwer, den Dialog aufrechtzuerhalten."
Scharfe Kritik von Maas und Scholz
Auch Mitglieder der Bundesregierung kritisierten die Regelverstöße und die Attacken auf Journalistinnen und Journalisten bei den Stuttgarter Protesten. Außenminister Heiko Maas (SPD) schrieb auf Twitter, Beleidigungen und Übergriffe auf Journalisten und Journalistinnen hätten müssten verfolgt und geahndet werden.
Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) kommentierte die Attacken ebenfalls auf Twitter: "Das hat mit Demonstrationsfreiheit nichts zu tun. Das ist ein feiger Angriff auf die Pressefreiheit!", schrieb er.
Eine Sprecherin der Polizei sagte am Samstagabend, die Beamten ermittelten noch, welche Angriffe es auf Medienvertreter gegeben habe. Außerdem teilte die Polizei mit, ein 37-Jähriger sei festgenommen worden, weil er den Erkenntnissen zufolge einen Journalisten geschlagen hatte.
Beamte verletzt, Auto beschädigt und Pyrotechnik gezündet
Nach der Kundgebung am Samstagabend berichtete die Stuttgarter Polizei zudem von weiteren Vorfällen: Drei Beamte seien verletzt worden, als sie ein Aufeinandertreffen von Demonstranten und Gegendemonstranten verhindert hätten. Mehrere geparkte Fahrzeuge seien beschädigt worden. Ein pyrotechnischer Gegenstand sei in einen Aufzug geworfen worden, verletzt worden sei dabei niemand. Gegen den Leiter der Versammlung, die am Vormittag am Marienplatz begonnen hatte, wird laut Polizei ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Außerdem versuchten teilweise vermummte Gegendemonstranten, den Zug zum Cannstatter Wasen zu hindern. Sie standen mit Fahrrädern oder saßen auf der Bundesstraße 14. Die Polizei löste die Menge auf. Die Beamten nahmen Hunderte Personalien auf und suchen nun nach Zeugen.
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Bürgermeister: Tausende Ordnungswidrigkeiten bei Anti-Corona-Demo
Von tausenden Ordnungswidrigkeiten sprach der Stuttgarter Bürgermeister für Sicherheit, Ordnung und Sport, Clemens Maier (Freie Wähler). Einzelne Vergehen hätten Polizei und Stadt direkt geahndet. "Zudem müssten alle, die ohne Maske und ohne Abstand auf den Kundgebungen durch die Stadt zogen, mit einer Ordnungswidrigkeits-Anzeige rechnen", so Maier. Die Polizei meldete am Abend 254 bereits geahndete Verstöße gegen die Corona-Verordnung.
"Die Bilder aus Stuttgart sind nicht schön, aber sie sind kein Vergleich zu den jüngsten Ereignissen in Brüssel, Kassel oder Dresden."
Maier zog ein insgesamt positives Fazit: Der Tag in Stuttgart sei weitgehend friedlich verlaufen. Der Streit zwischen der Stadt und dem badenwürttembergischen Sozialministerium um die Genehmigung der Demonstrationen setzte sich unterdessen fort: "Ich verstehe nicht, dass die Stadt sich sehenden Auges in diese Situation manövriert hat", wird Ministerialdirektor Uwe Lahl via Twitter zitiert.
"Wie sollen wir der Bevölkerung erklären, dass ..." Corona-Demos in Stuttgart ohne Masken und Abstand: Sozialminister kündigt Aufarbeitung an
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Polizeihandeln stößt auf Kritik im Netz
In sozialen Netzwerken im Internet machte sich Unmut breit angesichts der Bilder eng beieinander stehender Menschen - teils ohne jeglichen Mund-Nasen-Schutz. Eine Twitter-Nutzerin fragte beispielsweise, wie sie ihren Schülern erklären solle, "dass sie bei Treffen mit drei Freunden Bußgelder im dreistelligen Bereich zahlen müssen, Corona-Leugner sich aber von der Polizei geschützt zu 100en ohne Maske und Abstand durch die Stadt bewegen dürfen?"
Ein weiterer Twitter-Nutzer fragte, wie der Staat angesichts der "Virus-Partys" erwarten könne, dass der seit Monaten solidarischen Mehrheit nicht der Kragen platze.
Kritik wird vielfach auch daran geäußert, dass die Polizei gegen Gegendemonstrationen vorging, während die "Querdenken"-Anhänger, vielfach ohne Abstand und Masken, unbehelligt durch die Stadt ziehen konnten.
Polizei: "Keine befriedigende Situation"
Der Stuttgarter Polizeisprecher Stefan Keilbach sagte: "Das ist keine befriedigende Situation für uns als Polizei." Auf der einen Seite stehe die Versammlungsfreiheit, auf der anderen der Infektionsschutz. Damit sich nicht noch mehr Menschen auf dem Gelände drängten, seien die Beamten nicht eingeschritten.