Kritiker der Corona-Politik hatten in den vergangen Tagen in Sigmaringen versucht, zum Wohnhaus von Baden-Württembergs Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann (Grüne) vorzudringen. Auch bundesweit kommt es derzeit zu Protesten vor Häusern von Politikerinnen und Politikern. Bei der Regierungspressekonferenz am Dienstag in Stuttgart reagierte Kretschmann auf die Ereignisse und zeigte sich empört. Demonstrationen und Aufmärsche vor privaten Wohnhäusern von Amtsträgern seien nicht vereinbar mit der Demokratie.
"Demonstrationen vor den Wohnhäusern von Politikerinnen und Politikern gehen mal überhaupt gar nicht. Die verkennen den Charakter der Demokratie."
Wer so etwas mache, verkenne den Charakter der Demokratie, in der strikt zwischen der Privat- und der Amtsperson unterschieden werde. Deshalb überschritten Demonstrationen vor Privathäusern von Politikern "sofort eine rote Linie". Das könne in keiner Weise geduldet werden. Die, die das machten, zeigten, dass sie mit der Demokratie auf Kriegsfuß stünden - oder sie mindestens nicht verstanden hätten.
Unverständnis im Rathaus von Laiz Demos vor Kretschmanns Haus: rote Linie überschritten
Das geht gar nicht - diese Meinung hörte man am Dienstag in Sigmaringen und dem Ortsteil Laiz, wo am Montag Demonstranten vor dem Privathaus der Familie Kretschmann aufgetaucht waren.
Kretschmann: "Es wird genau beobachtet"
Er selbst sei nicht zu Hause gewesen, aber seine Frau Gerlinde sei gerade nach Hause gekommen, habe viel Polizei gesehen und sei ziemlich erschrocken, sagte Kretschmann. Es sei noch schlimmer, wenn die Familie einbezogen würde. Die Lage werde nun auch im Internet genau beobachtet, sagte der Regierungschef mit Blick auf mögliche weitere Proteste rund um sein Haus. Er sagte aber: "Es wird genau beobachtet, und es wird für meine Sicherheit und die meiner Frau gesorgt."
Die Beamten rechnen damit, dass wieder Demonstranten in der Nähe von Kretschmanns Wohnhaus auftauchen können. Man beobachte die Social-Media-Kanäle. Man habe dafür gesorgt, dass die Demonstranten nicht bis zum Haus vordringen, sagte ein Polizeisprecher. Zudem habe man Kretschmanns Ehefrau Gerlinde am Sonntag und Montag über den Protest informiert.
Demonstranten marschieren erneut zu Kretschmanns Wohnhaus
Eine kleine Gruppe habe am Sonntag versucht, eine Absperrung zu umgehen, um zum Haus der Kretschmanns vorzudringen, so die Polizei. Die Beamten hätten eine Kette gebildet, um die Demonstranten abzuwehren. Es sei ein Strafverfahren eingeleitet worden.
Am Montagabend hatten Gegnerinnen und Gegner der Corona-Politik dann zum zweiten Mal innerhalb von 24 Stunden vor dem Haus von Kretschmann demonstriert. Laut Polizei zogen 350 Demonstrantinnen und Demonstranten vor das Wohnhaus und hielten dort fünf Minuten auf der gegenüberliegenden Straßenseite an. Die Polizei habe an diesem Tag aber keine Kette bilden müssen, da die Demonstranten stehengeblieben seien, hieß es.
Innenminister Strobl: "Das ist Psychoterror"
Auch Innenminister Thomas Strobl (CDU) verurteilte das Vorgehen der Demonstranten. "Wer unter dem Deckmantel eines Aufzugs durch Städte und Dörfer irrlichtert und vor dem Wohnsitz von Politikern aufmarschieren möchte, überschreitet eine Grenze", sagte Strobl der Deutschen Presse-Agentur. "Das ist Psychoterror." Kritik an den Demonstrierenden kam auch von Manuel Hagel, CDU-Fraktionschef im baden-württembergischen Landtag: "Es ist okay, wenn Menschen in unserem Land gegen die Corona-Politik der Regierung demonstrieren. Das unterscheidet uns von vielen anderen Staaten auf der Welt. Jedes Recht hat aber auch seine Grenzen, jede Freiheit ihre rote Linie." Mit dem Versuch, zum Haus des Ministerpräsidenten vorzudringen, hätten die Demonstranten beides überschritten. "Ich finde es ein absolutes No-Go."
Grünen-Fraktionschef Andreas Schwarz bezeichnete das Verhalten der Demonstrierenden als inakzeptabel. "Hass, Hetze und Einschüchterungen gegenüber Politikerinnen und Politikern sind eine ernstzunehmende Gefahr für unsere Demokratie - dieser müssen wir entschieden begegnen", sagte Schwarz.
Auch Politiker der Opposition zeigten sich entsetzt. SPD-Fraktionschef Andreas Stoch verurteilte den Vorfall. Das "geht gar nicht", so Stoch. "Wer andere belagern und bedrängen will, geht zu weit und muss in die Schranken gewiesen werden." FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke bezeichnete das Verhalten der Demonstrierenden als "absolut inakzeptabel".
Proteste vor Privathäusern von Politikern
Zuletzt häuften sich Proteste vor Wohnhäusern von Politikerinnen und Politikern. Anfang Dezember 2021 etwa gab es einen Fackel-Aufmarsch vor dem Wohnhaus der sächsischen Gesundheitsministerin Petra Köpping (SPD). Ende Januar protestierten rund 30 Menschen vor dem Wohnhaus von Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer (Grüne) gegen die Impfpflicht und feindeten Palmer in Rufen offen an. Seine Frau habe ihm berichtet, dass die Protestierenden unter anderem "Palmer verrecke" gerufen hätten, so Palmer. Einen weiteren lautstarken Protest gab es im Januar in Thüringen vor dem Wohnhaus von Geras Oberbürgermeister Julian Vonarb (parteilos). Hier zogen Corona-Maßnahmen-Gegner unangemeldet an seinem Haus vorbei.