Kritik vom Bundesgesundheitsminister

Mit Corona vor die Tür und in die Arbeit: Baden-Württemberg kippt Isolationspflicht

Stand

Mit drei weiteren Ländern will Baden-Württemberg die Isolationspflicht für positiv getestete Personen aufheben. Bundesgesundheitsminister Lauterbach hält das für einen Fehler.

Wer künftig in Baden-Württemberg positiv auf das Coronavirus getestet wird, soll sich in der Regel nicht mehr in häusliche Absonderung begeben müssen. Das Land hat sich mit Bayern, Hessen und Schleswig-Holstein darauf geeinigt, die generelle Isolationspflicht für positiv getestete Personen aufzuheben, wie das Gesundheitsministerium in Baden-Württemberg mitteilte.

Eine entsprechend neue Corona-Verordnung soll laut Ministerium ab Mitte nächster Woche gelten. Corona-Infizierten soll demnach nur noch empfohlen werden, zuhause zu bleiben. Eine Absonderungspflicht werde es nicht mehr geben, so der baden-württembergische Gesundheitsminister Manfred Lucha (Grüne).

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Lauterbach kritisiert Ende der Corona-Isolationspflicht in Baden-Württemberg

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) kritisierte die Pläne der vier Bundesländer. Die Länder könnten eine solche Entscheidung treffen, sie sei aber ein Fehler, so der SPD-Politiker. "Das kommt jetzt zur Unzeit und findet nicht die Billigung der Bundesregierung", so Lauterbach. Einen Alleingang einzelner Länder bezeichnete er als ärgerlich, weil er zu einem Flickenteppich an Regelungen in Deutschland führe.

Es gebe auch keinen medizinischen Grund, auf die Isolationspflicht zu verzichten, betonte Lauterbach. Man müsse weiter dafür sorgen, dass die Fallzahlen begrenzt werden und nicht steigen. Es gebe immer noch etwa 1.000 Todesfälle durch eine Covid-Infektion pro Woche, und das Land stehe vor einer Winterwelle, warnte Lauterbach.

Keine Corona-Quarantäne mehr in Baden-Württemberg - Appell an Eigenverantwortung

Die vier Bundesländer planen anstelle der generellen Isolationspflicht angepasst verpflichtende Schutzmaßnahmen wie eine begrenzte Maskenpflicht positiv getesteter Personen sowie dringende Empfehlungen einzuführen. "Wir läuten eine neue Phase im Umgang mit der Pandemie ein", erklärte Lucha.

Ziel sei, wieder mehr Eigenverantwortung an die Bürger abzugeben, betonte er gegenüber dem SWR. "Wir können nicht dauerhaft sagen, es gibt einen Infekt, das regelt der Staat." Der Grünen-Politiker betonte, dass es jetzt an jedem Einzelnen sei, sich um seine Gesundheit zu kümmern, "weil wir jetzt alle wissen, wie wir damit umzugehen haben", so Lucha weiter.

"Nach wie vor gilt: Wer krank ist, bleibt zu Hause. Der Schutz vulnerabler Gruppen wird selbstverständlich weiterhin aufrechterhalten."

Corona-Isolationsregeln aus Österreich als Vorbild

Die Bundesländer berufen sich "unter anderem auf Erfahrungen aus Nachbarländern wie Österreich, wo es seit Sommer 2022 absonderungsersetzende Schutzmaßnahmen gibt". Aus diesen Ländern seien keine negativen Erkenntnisse bekannt.

"Zurückgehende Infektionszahlen, eine wirksame Schutzimpfung, eine Basisimmunität innerhalb der Bevölkerung von mehr als 90 Prozent, in der Regel keine schweren Krankheitsverläufe sowie wirksame antivirale Medikamente rechtfertigen aus Sicht der Länder, diesen Schritt zeitnah zu gehen", heißt es aus dem baden-württembergischen Gesundheitsministerium. "Wir sind in Deutschland im Übergang von einer Pandemie zur Endemie", so Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) gegenüber dem "Handelsblatt". Ähnlich hatte sich der 74-Jährige bereits vor einigen Wochen geäußert.

Der Rückgang der Infektionszahlen in Baden-Württemberg würde die Realität nicht widerspiegeln, so Steffen Jürgensen, Klinikvorstand vom Klinikum Stuttgart. Menschen würden schlicht vermeiden, sich zu testen, betonte er im SWR. Die Isolation auf freiwilliger Basis hält er gesellschaftlich und medizinisch für überfällig: "Wir haben eine ganz kontrollierte Situation", so seine Einschätzung. Eine Überlastung des Gesundheitssystems sehe er nicht. Allerdings hat das Gesundheitssystem in Baden-Württemberg aktuell nicht nur mit Corona, sondern auch anderen Atemwegserkrankungen zu kämpfen.

Maskenpflicht bei positivem Corona-Test

Der Mitteilung des Gesundheitsministeriums zufolge verständigten sich die vier Bundesländer auf gemeinsame Empfehlungen als Grundlage für ihre neuen Regelungen. Diese sehen etwa vor, dass positiv Getestete außerhalb ihrer eigenen Wohnung eine Maske tragen müssen - außer im Freien, wenn ein Mindestabstand von 1,5 Metern eingehalten werden kann. Vorgesehen ist demnach auch, dass positiv Getestete medizinische und pflegerische Einrichtungen nicht als Besucher betreten dürfen.

Die Schutzmaßnahmen werden für mindestens 5 Tage angeordnet. Sie sollen maximal für 10 Tage gelten. Davon befreit sind auch Personen, die 48 Stunden lang keine typischen Symptome mehr haben.

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Trotz Coronavirus-Infektion zurück an den Arbeitsplatz? Für Lucha kein Problem

Der baden-württembergische Gesundheitsminister will so die Menschen auch schneller zurück an den Arbeitsplatz bringen. Viele Geimpfte und mehrfach Infizierte hätten nach kurzer Zeit keine Symptome mehr, so Lucha gegenüber dem SWR. Sie säßen "dumm zu Hause herum" und wüssten, dass sie als Infizierte auch wüssten, die Maske zu tragen und diese auch aufzubehalten. "Da habe ich keine Sorge, dass daraus eine große Infektionsgefahr besteht", sagte der Grünen-Politiker.

Die Gewerkschaft "Nahrung Genuss Gaststätten" hält allerdings nichts von der Änderung. "Wir haben Sorge, dass durch die Abschaffung der Isolationspflicht das Infektionsgeschehen wieder in die Betriebe getragen wird", so der Landesvorsitzende Uwe Hildebrandt im SWR. Die Arbeitsplätze in den Betrieben "müssen sicher sein", so seine Forderung.

SPD in Baden-Württemberg kritisiert Wegfall der Isolationspflicht

Kritik an den Plänen des Gesundheitsministeriums kommt von der SPD in Baden-Württemberg. Ihr gesundheitspolitischer Sprecher Florian Wahl sagte, die Herbstwelle sei deutlich abgeflacht, dann könne man auch lockern. "Aber wenn ab sofort zum Beispiel coronapositive Kinder nur mit der Verpflichtung zum Tragen einer Maske über Stunden mit anderen Kindern im Klassenzimmer sitzen könnten, wäre das keine Lockerung, sondern Leichtsinn", so Wahl.

Die Deutsche Stiftung Patientenschutz kritisierte die Entscheidung der vier Bundesländer ebenfalls und wies auf die praktischen Folgen hin. Vorstand Eugen Brysch erklärte, mit der Isolationspflicht würden Ansteckungen und damit auch "Leiden und Sterben verhindert". Infizierte Arbeitnehmer würden davor bewahrt, zur Arbeit zu gehen: "Diese Fakten wischen Bundesländer vom Tisch, die die Isolationspflicht beerdigen." Es sei chaotisch, wenn in jedem Bundesland andere Regeln gelten. Schließlich überquerten allein Millionen Pendler täglich die Ländergrenzen.

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