23.03.2019, Baden-Württemberg, Stuttgart: Besucher schauen sich während der 20. Langen Nacht der Museen den Bunker unter dem Marktplatz an. Mehr als 80 Museen, Galerien, Off-Spaces, historische Gebäude und Industriedenkmäler laden bis 2 Uhr früh zur nächtlichen Entdeckungstour mit Bus- und Bahn-Shuttles ein. (Foto: dpa Bildfunk, picture alliance/dpa | Sebastian Gollnow)

Schutzräume unter der Erde

Marode Bunkeranlagen in Baden-Württemberg: Viele Fragen offen in puncto Sicherheit

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Johannes Böhler

Mehr als ein Drittel der in Deutschland übrig gebliebenen Schutzräume liegt in Baden-Württemberg. Doch einsatzbereit sind sie nicht. Das hat Gründe - finanzielle und strukturelle.

Laut einer Antwort auf eine Anfrage der CDU-Fraktion im Stuttgarter Landtag gibt es in Baden-Württemberg keinen einzigen einsatzbereiten Bunker mehr, in dem Menschen bei einem Luftangriff Schutz suchen könnten.

So berichtete das SWR-Magazin "Zur Sache BW" am 19. Mai 2022 über das Thema:

Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine sind viele Menschen besorgt, dass sich der Krieg in Europa ausbreiten könnte und erwarten von der Bundesregierung, dass sie wieder für Sicherheit sorgt. Immer wieder ist in dem Zusammenhang von einer "Zeitenwende" in der deutschen Sicherheitspolitik die Rede. Zwar hat die Ampel-Regierung ein Sondervermögen für die Bundeswehr in Höhe von 100 Milliarden Euro auf den Weg gebracht - das Geld soll jedoch ausschließlich für den Bedarf der Bundeswehr und explizit nicht für den Zivilschutz eingesetzt werden.

"Die militärische Landesverteidigung ergibt nur Sinn, wenn das Land und die darin lebende Bevölkerung geschützt werden. Andernfalls wird sie ad absurdum geführt."

Kritik daran kommt ausgerechnet von der Bundeswehr: "Die Corona-Pandemie oder die Hochwasserkatastrophe im Ahrtal sowie der fehlgeschlagene 'Warntag' 2020 verstärken den Eindruck einer derzeit zivil 'bedingt abwehrbereiten' Bundesrepublik. Wie erst wäre die Lage im Fall eines realen kriegerischen Szenarios?", schreibt die Historikerin Cornelia Juliane Grosse vom Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr in ihrem Artikel "Schutzlos ausgeliefert? Die zivile Verteidigung in der Bundesrepublik". Und weiter: "(...) wenn die Rede davon ist, dass 'jeder Zoll NATO-Territorium verteidigt wird', dann sollte sich dies nicht nur auf die rein militärische, sondern gleichermaßen die zivile Verteidigung erstrecken. Denn die militärische Landesverteidigung ergibt nur Sinn, wenn das Land und die darin lebende Bevölkerung geschützt werden. Andernfalls wird sie ad absurdum geführt."

Schutzräume im Land boten Platz für 400.000 Menschen

2007 war die funktionale Erhaltung der Schutzbauten im Zuge der "Friedensdividende" nach dem Untergang der Sowjetunion eingestellt worden. Bestehende Schutzräume wurden seither stillgelegt, zurückgebaut oder werden anders genutzt.

Baden-Württemberg

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Seit Beginn des russischen Angriffskrieges bereitet der Bund ein neues Konzept für Schutzräume vor. Die Bauten aus dem Kalten Krieg in Baden-Württemberg sind nicht mehr sicher.

So ist die Lage in Baden-Württemberg

Nach Angaben des Innenministeriums in Stuttgart gab es allein in Baden-Württemberg einst 547 öffentliche Schutzräume mit Platz für mehr als 400.000 Menschen. Als öffentliche Schutzräume gelten neben den Bunkern und Stollen, die vor allem in der Zeit des Zweiten Weltkriegs errichtet wurden, auch sogenannte Mehrzweckanlagen, also zivile Bauwerke wie Tiefgaragen oder Bahnhöfe, die später errichtet wurden.

Viel Geld müsste investiert werden

Was es wohl kosten würde, diese Schutzräume wieder einsatzbereit zu machen? Nach einer Schätzung von Armin Schuster, dem ehemaligen Präsidenten des Bundesamts für Bevölkerungsschutz, wären fünf bis zehn Milliarden Euro in zehn Jahren nötig, um die zivile Verteidigung der Bundesrepublik wieder handlungsfähig zu machen.

BImA: Anlagen müssen erst technisch geprüft werden

So genau will sich Thorsten Grützner, der Pressesprecher der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA), nicht festlegen. Eine Bestandsaufnahme laufe bereits, so der Pressesprecher. Fachkundiges Personal müsse die Funktionsfähigkeit, die Betriebsbereitschaft und die technischen Möglichkeiten der Inbetriebnahme der Schutzräume sowie die Höhe der dadurch entstehenden Kosten vertieft und belastbar untersuchen.

"Die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine Reaktivierung öffentlicher Schutzräume möglich und zweckmäßig ist sowie die Frage nach damit einhergehenden Kosten, kann vor Abschluss der Überprüfung nicht beantwortet werden", schreibt Grützner in seiner Antwort auf eine Anfrage des SWR.

Schutzräume sollten abgewickelt werden

Seit 2020 hat die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA) die Verwaltung der öffentlichen Schutzräume bundesweit übernommen. Vor dem Angriff Russlands auf die Ukraine lautete ihr Auftrag, die damals noch vorhandenen rund 2.000 Schutzräume in ganz Deutschland möglichst abzuwickeln. Also habe die Behörde sich mit den jeweiligen Eigentümern ins Benehmen gesetzt und bis März 2022 die Zivilschutzbindung für den Großteil der Objekte aufgehoben, sagt Grützner.

Über ein Drittel der übrigen Schutzräume liegt in BW

Im März habe der Bund die BImA sowie das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) mit der Koordinierung einer Bestandsaufnahme der formal noch vorhandenen öffentlichen Schutzräume beauftragt, so der Pressesprecher. Aktuell seien bundesweit noch 599 Schutzräume übrig, 220 davon, also mehr als ein Drittel, liegen in Baden-Württemberg.

Weshalb der Anteil der übrig gebliebenen baden-württembergischen Schutzräume über ein Drittel des Bundesbestandes ausmacht, kann Grützner nicht erklären. "Es ist allerdings darauf hinzuweisen, dass die Luftschutzanlagen aus der ehemaligen DDR niemals in das Zivilschutzkonzept des Bundes integriert wurden", sagt der Pressesprecher.

CDU-Fraktion fordert Bunker-Konzept

Die CDU-Landtagsfraktion hat angesichts der veränderten weltpolitischen Lage zügig ein neues Bunker-Konzept vom Bund gefordert. "Die Bürgerinnen und Bürger müssen im Notfall wissen, wo sie Schutz suchen können. Dazu gehört auch, dass wir sie vorab umfassend informieren, wie man im Katastrophenfall richtig reagiert", betonte Fraktionschef Manuel Hagel. "Ich kann mir gut vorstellen, schon bei den Schulen damit anzufangen. Genauso wie Feueralarmübungen könnte man jährliche Katastrophenschutzübungen einplanen, zum Beispiel an Projekttagen."

"Duck and Cover" an baden-württembergischen Grundschulen?

Wird es an baden-württembergischen Schulen schon bald Duck-and-Cover-Übungen geben wie im Amerika der 1950er-Jahre, als sich mit den USA und der Sowjetunion zum ersten Mal zwei Atommächte feindlich gegenüberstanden? Auszuschließen ist es nicht. Zwar steht noch nicht fest, ab wann die Inhalte vermittelt werden sollen, doch sowohl Innen- als auch Kultusministerium nehmen das Thema Zivilschutz ernst und arbeiten gemeinsam an einem Unterrichtskonzept zum Verhalten im Katastrophenfall, wie Sprecher beider Ministerien gegenüber dem SWR bestätigen. Dazu könnte künftig auch wieder ein kriegerisches Szenario zählen.

"Die Bundesregierung muss deshalb dringend das sehr gut nachgefragte Sirenenförderprogramm verlängern und die Fördermittel erhöhen."

CDU-Fraktionschef Hagel fordert darüber hinaus eine Weiterentwicklung des Zivil- und Katastrophenschutzes. "Er muss moderner und flexibler werden, um schneller auf unterschiedliche Notlagen reagieren zu können", so Hagel nach Rückfrage des SWR. "Neben den digitalen Warn-Apps brauchen wir auch wieder eine flächendeckende Sireneninfrastruktur", meint Hagel. Die Bundesregierung müsse deshalb dringend das sehr gut nachgefragte Sirenenförderprogramm verlängern und die Fördermittel erhöhen, damit alle Kommunen berücksichtigt werden können, die in den bisherigen Förderrunden leer ausgegangen sind.

BW-Innenministerium fordert Geld für Sirenenschutz

Nach Auskunft des Innenministeriums bemüht sich auch der baden-württembergische Innenminister Thomas Strobl (CDU) um eine Verlängerung des Sonderförderprogramms Sirenen des Bundes. "In Folge der Starkregenereignisse im Sommer 2021 war die Nachfrage nach der Sirenenförderung hoch - die bewilligten Mittel sind aufgebraucht", antwortet Renato Gigliotti, Pressesprecher des Innenministeriums, auf eine Anfrage des SWR. Die Frist für Anträge der ersten Förderrunde endete demnach bereits im November 2021.

Über den Einsatz von Sirenen in Karlsruhe berichtete SWR Aktuell am 24. März 2022:

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