Zur blauen Stunde spiegelt sich das Kernkraftwerk Neckarwestheim im Neckar. Drei Atomkraftwerke sind bundesweit noch am Netz, darunter ist auch Neckarwestheim 2 in Baden-Württemberg. (Foto: dpa Bildfunk, picture alliance/dpa | Christoph Schmidt)

Nach Stresstest zur Stromversorgung

AKW Neckarwestheim bleibt bis Frühjahr Notreserve - Umweltministerin will Sicherheitsfragen klären

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Marc-Julien Heinsch
SWR-Redakteur Marc-Julien Heinsch Autor Bild (Foto: David-Pierce Brill)

Das Atomkraftwerk Neckarwestheim 2 soll für Notfälle bis April verfügbar bleiben. BW-Umweltministerin Walker (Grüne) betont offene Fragen - vor allem bei der Sicherheit.

Die zwei deutschen Atomkraftwerke Neckarwestheim 2 (Kreis Heilbronn) und Isar 2 bei München sollen laut Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) nach dem Jahreswechsel noch bis Mitte April 2023 als Reserve bereitgehalten werden. Um ein Reservekraftwerk ans Netz zu bringen, brauche es ungefähr eine Woche, sagte Habeck. Das Kernkraftwerk Emsland im niedersächsischen Lingen geht dagegen wie geplant zum Jahresende komplett vom Netz. Eine Laufzeitverlängerung samt Bestellung neuer Brennelemente soll es demnach für keines der verbliebenen drei deutschen Atomkraftwerke geben.

Notreserve heißt, es bleibt noch Personal im Atomkraftwerk, das Sicherheitschecks durchführt, aber es wird kein Strom mehr produziert.

Wofür das gut sein soll, erklärt Sebastian Deliga aus dem ARD-Hauptstadtstudio:

"Krisenhafte Situation im Stromsystem" im Winter nicht auszuschließen

Nach wochenlanger Prüfung hatte Habeck am Montagabend das Ergebnis des Stresstests zur Sicherheit der Energieversorgung vorgestellt.

Was wurde beim Stresstest eigentlich untersucht?

In einer Mitteilung des Bundeswirtschaftsministerium sagte Habeck: "Die beiden AKW Isar 2 und Neckarwestheim 2 sollen bis Mitte April 2023 noch zur Verfügung stehen, um falls nötig, über den Winter einen zusätzlichen Beitrag im Stromnetz in Süddeutschland 2022/23 leisten zu können." Der zweite Netzstresstest komme zu dem Ergebnis, "dass stundenweise krisenhafte Situationen im Stromsystem im Winter 22/23 zwar sehr unwahrscheinlich sind, aktuell aber nicht vollständig ausgeschlossen werden können", heißt es in der Mitteilung.

Habeck betonte trotzdem, dass die Versorgungssicherheit im deutschen Stromnetz generell hoch sei:

BW-Umweltministerin: Sicherheit hat oberste Priorität

Die baden-württembergische Energie- und Umweltministerin Thekla Walker (Grüne) hat zurückhaltend auf die Entscheidung des Bundeswirtschaftsministeriums reagiert, die beiden Kernkraftwerke Neckarwestheim 2 und Isar 2 bis Ende April als Notreserve weiterlaufen zu lassen.

Auch nach dem Stresstest gebe es noch offene Fragen, die mit dem Bund jetzt schnell geklärt werden müssten, betont die baden-württembergische Umweltministerin. Dies gelte vor allem für Sicherheitsfragen:

Es könne für die Stromversorgung im kommenden Winter sinnvoll sein, das Kernkraftwerk Neckarwestheim 2 weiter zur Verfügung zu haben. Klar müsse allerdings auch sein, dass es sich dabei um einen begrenzten Zeitraum bis Ende April handele. Einen Wiedereinstieg in "diese immens teure Hochrisikotechnologie" werde es nicht geben, so Walker.

Die Grünen-Parteispitze aus Omid Nouripour und Ricarda Lang will derweil an der Parteibasis für die Notreserve der Atomkraftwerke über den vereinbarten Atomausstieg hinaus werben - und diese auf einem Parteitag zur Abstimmung stellen. Eine Abkehr vom Atomausstieg schloss Lang, Wahlkreis Backnang-Schwäbisch Gmünd, aber aus. Nach einem Bericht der "Süddeutschen Zeitung" will der Bundesvorstand der Grünen noch in dieser Woche einen entsprechenden Dringlichkeitsantrag für den Parteitag im Oktober einbringen.

FDP will AKW-Weiterbetrieb bis 2024, BUND prüft Klage

Auch der FDP-Landesvorsitzende Michael Theurer hält es für richtig, die Kernkraftwerke über ihr geplantes Laufzeitende hinaus weiterzubetreiben. Er forderte darüber hinaus aber den Weiterbetrieb aller drei deutschen Kernkraftwerke bis 2024.

Das AKW nun als Notreserve vorzuhalten und möglicherweise durch An- und Abschaltungen einer hohen Belastung auszusetzen, sei unverantwortlich und müsse gestoppt werden, erklärte hingegen die Landesvorsitzende des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), Sylvia Pilarsky-Grosch. "Der BUND Baden-Württemberg prüft deshalb eine Klage", sagte Pilarsky-Grosch.

Scharfe Kritik an Habecks AKW-Plan von CDU/CSU

Der stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende und Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, der Konstanzer Abgeordnete Andreas Jung, kritisierte Habecks Plan: Er bedeute einen "Rückschlag für Energiesicherheit".

Andreas Jung (CDU) am Rednerpult im Bundestag (Foto: dpa Bildfunk, picture alliance/dpa | Bernd von Jutrczenka)
"Aufschlag auf Strompreise, Tiefschlag für europäische Solidarität - und Ausweitung der Klimalücke", all das bedeutet die Entscheidung gegen eine Laufzeitverlängerung für die Atomkraftwerke laut Andreas Jung (CDU).

Jung bezeichnete die Kernkraftwerke und ihren Weiterbetrieb als sicher, ihr Abschalten dagegen als "Risiko eines Energienotstands im Winter". Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion habe deshalb beantragt, dass Habeck am Mittwoch im Klima- und Energieausschuss am Mittwoch auftreten solle. Der Vorsitzende der CDU-Fraktion im baden-württembergischen Landtag, Manuel Hagel, forderte bei Twitter einen Streckbetrieb für die drei verbliebenen Atomkraftwerke, "um den kommenden Winter überstehen zu können".

Im Nachbarland Bayern steht das zweite Atomkraftwerk, das als Notreserve bis April zur Verfügung stehen soll. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) zeigte sich unzufrieden mit den Entscheidungen nach dem Stresstest:

Nach der Gasumlage der nächste schwere Fehler: Die Schlussfolgerungen aus dem Stresstest sind enttäuschend. Damit endet die Laufzeit der Kernkraftwerke zum Jahresende, obwohl es keinen Stromersatz für 10 Millionen Haushalte gibt.

"Robert Habeck nimmt das Risiko eines Blackouts und weitere Anstiege beim Strompreis in Kauf", kritisierte Söder. "Nach der Gasumlage der nächste schwere Fehler."

Bürgermeister von Neckarwestheim zeigt Verständnis, EnBW will prüfen

Der Bürgermeister von Neckarwestheim, Jochen Winkler (parteilos), zeigte gegenüber dem SWR dagegen Verständnis für die Entscheidung, das Atomkraftwerk als Notreserve bis in den April vorzuhalten. Er rechne zwar mit Protesten, so Winkler, sehe das Atomkraftwerk Neckarwestheim aber als legitimen Teil einer Lösung, sollte es im Stromnetz zu Problemen kommen.

Der Energiekonzern EnBW will derweil prüfen, ob sein Kernkraftwerk Neckarwestheim über das Jahresende hinaus betriebsbereit gehalten werden kann. Für eine Betriebsbereitschaft müssten schnellstmöglich die gesetzlichen Rahmenbedingungen geschaffen werden, erklärte das Unternehmen am Montag in Karlsruhe. "Darüber hinaus müssen von der Bundesregierung, möglichst im Austausch mit den Kraftwerksbetreibern, die Details der beschlossenen Vorgehensweise konkretisiert beziehungsweise geklärt werden", hieß es. Das Unternehmen bekräftigte, dass man die Bemühungen der Bundesregierung um eine sichere Energieversorgung im Rahmen seiner Möglichkeiten nach Kräften unterstützen wolle.

AKW-Abschaltung eigentlich zum Jahresende

Im Gesetz zum Atomausstieg war eigentlich vereinbart worden, dass die verbliebenen deutschen Atomkraftwerke Isar 2 in Bayern, Neckarwestheim 2 (Kreis Heilbronn) sowie Emsland in Niedersachsen als letzte Meiler am 31. Dezember 2022 abgeschaltet werden. Im Zuge des Ukraine-Kriegs und der Energie-Krise waren jedoch Forderungen nach einer Laufzeitverlängerung immer lauter geworden. Wirtschaftsminister Habeck hatte zwar deutlich gemacht, im Kampf gegen Gas-Knappheit könnten die Reaktoren praktisch nichts beitragen. Er werde jedoch ideologiefrei mit dem Test prüfen lassen, ob sie helfen könnten, die Stromversorgung gerade in Süddeutschland über den Winter zu sichern.

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Laufzeitverlängerung war vorab Streitthema in Ampel und in BW

In der Ampel-Koalition hatte vor Abschluss des Stresstests vor allem die FDP für einen Weiterbetrieb der drei noch in Betrieb befindlichen Kraftwerke geworben. Ein Weiterbetrieb über einen längeren Zeitraum würde jedoch unter anderem einen Ankauf neuer Brennelemente notwendig machen, sagen Experten. Bei den Grünen hatte vorab Bundesumweltministerin Steffi Lemke einen kurzzeitigen Weiterbetrieb - zumindest des bayerischen Atomkraftwerks Isar 2 - über einen sogenannten Streckbetrieb nicht ausgeschlossen. Beim Streckbetrieb würden Atomkraftwerke nur für einige Wochen oder Monate über den Jahreswechsel hinaus weiter am Netz bleiben, ohne dass neue Brennstäbe genutzt werden. In Teilen der grünen Basis sind aber auch hier die Widerstände groß.

In Baden-Württemberg hatte unter anderem die Äußerung des Landtags-Fraktionsvorsitzenden der Grünen, Andreas Schwarz, Protestaktionen hervorgerufen. Schwarz schloss einen "kurzzeitigen Überbrückungsbetrieb" der Atomkraftwerke nicht aus.

SPD-Chefin Saskia Esken aus Calw bekräftigte am Montag, dass ihre Partei höchstens einem Streckbetrieb zustimmen würde. Zu einer mehrjährigen Laufzeitverlängerung oder gar einer Wiederinbetriebnahme alter Meiler sei die SPD "auf keinen Fall bereit", sagte sie in Berlin.

CDU forderte Laufzeitverlängerung der drei AKWs

Unionsfraktionschef Friedrich Merz pochte kurz vor der Bekanntgabe des zweiten Stresstests für den Strommarkt auf den Weiterbetrieb der drei noch laufenden Atomkraftwerke in Deutschland. "Es macht keinen Sinn, jetzt über Reserve-, Stand-by-Betriebe oder etwas ähnliches zu reden", sagte Merz, der auch CDU-Vorsitzender ist, am Montag vor einer Sitzung der CDU/CSU-Abgeordneten in Berlin. Er forderte neue Brennstäbe für die verbliebenen Kraftwerke, um sie auf volle Leistung möglicherweise noch drei bis vier Jahre laufen lassen zu können, bis man die aktuelle Krise überwunden habe.

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