Neun Monate nach dem Brandbrief von Kommunen und Wirtschaft wegen überbordender staatlicher Vorschriften soll es in Baden-Württemberg nun eine Allianz zum Bürokratieabbau geben. Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) und die Chefs der Verbände wollen an diesem Donnerstag die Vereinbarung unterzeichnen. Das erfuhr der SWR aus der grün-schwarzen Koalition. Es sollen gemeinsame Arbeitsgruppen zu den unterschiedlichen Themen eingerichtet werden, das Staatsministerium leitet den Prozess.
Einen Zukunftskonvent, also einen Runden Tisch der Spitzenvertreter, wie ihn Kommunal- und Wirtschaftsverbände noch Ende Oktober gefordert hatten, soll es dagegen nicht geben. Stattdessen sollen die Ministerien Vorschläge erarbeiten, wo Standards und Regulierungen entschlackt oder abgebaut werden können. Die gemeinsamen Arbeitsgruppen sollen dann konkrete Vorschläge vorlegen. Diese sollen dann nach einer Überprüfung im Kabinett beschlossen werden.
BW soll starker Wirtschaftsstandort bleiben
In dem Papier zu der Allianz, das dem SWR vorliegt, heißt es wörtlich: "Um Baden-Württemberg als starken Wirtschaftsstandort und lebenswertes Land zu erhalten und zukunftsfähig aufzustellen, wird ein Prozess aufgesetzt werden, der Entlastungspotenziale identifiziert, hierfür Vorschläge erarbeitet und neue Handlungsspielräume schafft." Man werde sich nicht nur staatliche und kommunale Vorgaben anschauen, sondern auch privatwirtschaftlich gesetzte Standards. "Alle Akteure prüfen in ihren Kompetenzbereichen einschließlich des Verwaltungsvollzugs den Reformbedarf."
Die Allianz will vor allem Maßnahmen erarbeiten, die im Land umgesetzt werden können. Allerdings soll die Landesregierung auch auf Bundes- oder europäischer Ebene Vorschläge zur Vereinfachung von bürokratischen Regeln einbringen. Alle Beteiligten versichern, "in der Allianz konstruktiv mitzuarbeiten."
Offener Brief an Kretschmann
Kommunen und Wirtschaft hatten Ende Oktober 2022 einen Offenen Brief an Kretschmann geschrieben, der den Titel "In großer Sorge um unser Land" trug. Sie argumentierten, die "Zeitenwende" im Zuge des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine zwinge das Land dazu, neu zu bestimmen, was vorrangig ist und noch finanziert werden könne. "Die Zeit eines ungebremsten Draufsattelns bei Standards, Rechtsansprüchen und staatlichen Leistungszusagen ist vorbei", hieß es in dem Schreiben. Sie warnten Kretschmann vor einem "Weiter-so" und empfahlen, den Koalitionsvertrag zur Seite zu legen.
Im Gegensatz zur CDU reagierte Kretschmann kühl auf den Brief. Zwar müsse man "bürokratische Hemmnisse" abbauen, aber für vieles sei das Land der falsche Ansprechpartner. Kretschmann wiederholte mehrfach, dass er auch die Kommunen selbst in der Pflicht sieht, Bremsen zu lösen, etwa bei Genehmigung von Windrädern. Ansonsten hänge viel an Bund und EU. In den vergangenen Monaten hatte nun Staatsminister Florian Stegmann (Grüne) mit den Verbänden nach einer gemeinsamen Herangehensweise gesucht.
Erste Vorschläge zu Bürokratieabbau
An der Allianz beteiligt sind nun Städte-, Gemeinde- und Landkreistag sowie der Baden-Württembergische Industrie- und Handelskammertag (BWIHK), die Unternehmer Baden-Württemberg, der Handwerkstag sowie wie auch die Sparkassen und der Genossenschaftsverband. Sie vertreten die 1.101 Städte und Gemeinden im Land, 44 Stadt- und Landkreise sowie etwa 800.000 Betriebe, 50 Sparkassen und rund 140 Volksbanken und Raiffeisenbanken.
Die Regierungsfraktionen von Grünen und CDU hatten zuletzt schon Vorschläge gemacht, wo es Erleichterungen geben könnte. Grünen-Fraktionschef Andreas Schwarz regte an, den Service der Bürgerämter rasch zu digitalisieren. Solarparks könnten von Statikprüfungen ausgenommen werden. Er kann sich aber auch vorstellen, Duldungen von Asylbewerbern zu verkürzen, damit diese schneller in Deutschland arbeiten können.
CDU für Einschnitte bei Arbeitnehmerrechten
Sein CDU-Kollege Manuel Hagel schlug Abstriche beim Daten- und Brandschutz sowie Einschnitte bei Arbeitnehmerrechten im öffentlichen Dienst vor. Im Personalvertretungsgesetz für Beamte ist zum Beispiel geregelt, dass ein Personalrat ab einer bestimmten Größe der Dienststelle für seine Aufgabe freigestellt werden muss.