Illustration: Eine Geldbörse voller Euro-Scheine  Montage: SWR (Foto: dpa Bildfunk, picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild / Patrick Pleul)

Debatte über geplanten Hartz-IV-Nachfolger

Baden-Württembergs Wirtschaftsministerin warnt vor Eile bei Bürgergeld-Beschlüssen

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Arne Wiechern

Erst Regelsätze erhöhen, danach die Reform? In der Debatte über das Bürgergeld als Hartz-IV-Nachfolger unterstützt BW-Ministerin Hoffmeister-Kraut den Vorschlag von CDU-Chef Merz.

Im Streit über die Einführung des geplanten Bürgergelds bleiben Ampel-Parteien und Union auf Konfrontationskurs. CDU-Generalsekretär Mario Czaja rechnet damit, dass der Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat am Ende einen Kompromiss suchen muss. Damit wackelt der Zeitplan für die Einführung des Bürgergelds zum 1. Januar.

Im SWR sagte Baden-Württembergs Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut, ebenfalls CDU, sie plädiere dafür, zunächst die aktuellen Sätze für Hartz IV zu erhöhen und später über Details einer vollständigen Reform hin zum Bürgergeld zu sprechen.

"Man könnte das auch schon zeitnah umsetzen - nicht erst zum 1.1.23."

SWR Aktuell: Mehrere Politikerinnen und Politiker der Union haben in den letzten Tagen ihre ablehnende Haltung gegen das Bürgergeld bekräftigt. Sehen Sie den Gesetzentwurf auch so kritisch wie Ihre Parteikollegen?

Nicole Hoffmeister-Kraut: Also in der Tat beinhaltet dieser Gesetzentwurf einen Systemwechsel im Bereich Unterstützung von Menschen, die sozial schwach sind. Wir gehen weg vom Fördern und Fordern - und ich glaube, Solidarität muss immer auf beiden Seiten wirken. Die Menschen, die Hilfe brauchen, die benötigen diese Hilfe.

Aber wir müssen auch immer im Blick haben, dass es wichtig ist, wieder Menschen in den Arbeitsmarkt zu bringen, auch für den Betroffenen selber, um dadurch sein Leben auch selbstbestimmt gestalten zu können. Deshalb: den Schwachen helfen und denen, die eine Chance haben, in den Arbeitsmarkt zu kommen, die auch zu unterstützen und zu fördern und auch zu fordern. Ich glaube, das ist ein Prinzip, das über Jahrzehnte erfolgreich gewirkt hat. Wenn wir das aufgeben, wäre das arbeits- und wirtschaftspolitisch falsch.

SWR Aktuell: Einige Unions-regierte Länder haben ja auch bereits angekündigt, im Bundesrat ein Veto gegen das Bürgergeld-Gesetz einzulegen. Wie wird sich da jetzt Baden-Württemberg verhalten?

Hoffmeister-Kraut: Wir sind noch in Abstimmung innerhalb der Landesregierung. Aus meiner Sicht ist der Gesetzesentwurf zum Bürgergeld, wie er derzeit vorliegt, nicht zustimmungsfähig.

SWR Aktuell: Jetzt hat die Ampel-Regierung schon beim ursprünglichen Gesetzentwurf nachgebessert. Aber das geht der Union noch nicht weit genug. Was muss denn passieren, damit die Union zustimmen kann?

Hoffmeister-Kraut: Also ich glaube, wir müssen hier grundsätzlich differenziert diskutieren. Zum einen ist es wichtig, bei diesen hohen Inflationsraten, den gestiegenen Energiekosten, die ein Treiber der Inflation sind, die Regelsätze anzuheben. Der Vorschlag, den Friedrich Merz jetzt auf den Tisch gelegt hat, ist ein guter Vorschlag, sodass man den Menschen schnell helfen kann. Man könnte das auch schon zeitnah umsetzen, nicht erst zum 1.1.23. Und dann in Ruhe darüber diskutieren, wie das Bürgergeld so ausgestaltet wird, dass insgesamt im Bundestag auch die CDU/CSU diesen Systemwechsel beziehungsweise diese Neuausrichtung von Hartz IV mitgestalten kann, so dass wir da auch einen breiten Konsens haben.

Ich glaube, das ist bei so einem wichtigen Thema von großer Bedeutung. Man muss ja auch sagen, wir sind nicht die einzigen, die Kritik üben. Es stehen viele auch öffentlich dazu, dass man hier grundsätzlicher diskutieren müsste. Der Bundesrechnungshof übt ebenfalls Kritik. Da gibt es einfach noch Diskussionsbedarf - und man sollte so eine Reform mit dieser Tragweite nicht übers Knie brechen.

SWR Aktuell: Aber viele Unionspolitiker wie Friedrich Merz argumentieren immer wieder, wer 2.500 Euro brutto verdiene, erziele damit kaum mehr Einkünfte als mit dem Bürgergeld. Diese Zahlen sind aber längst widerlegt, weil zusätzliche Leistungen für Geringverdiener nicht eingerechnet werden, wie etwa Wohngeld oder Kinderzuschläge. Warum halten so viele Unionspolitiker trotzdem weiter an diesen falschen Zahlen fest?

Hoffmeister-Kraut: Die Zahlen liegen mir jetzt nicht vor, und ich kann es jetzt auch nicht nachvollziehen. Ich glaube, grundsätzlich geht es darum, dass Menschen mit geringem Einkommen unterm Strich nicht weniger Geld zur Verfügung haben als Menschen, die von Sozialleistungen leben. Das muss doch handlungsleitend sein, auch bei dieser Reform. Deswegen meine ich: warum gibt man dieser Reform nicht noch etwas Zeit, so dass man auch diese Punkte ausräumen kann - in Debatten, in Diskussionen. Darauf basiert auch unser demokratisches System, dass man gemeinsam zu einer guten Lösung findet.

Ich meine, das wäre der richtige Weg in einer solchen Situation: schnell die Regelsätze erhöhen, dass den Menschen geholfen wird, sie genügend Geld zur Verfügung haben, um die steigenden Kosten zu begleichen - und die grundsätzliche Struktur des Bürgergelds noch vertieft diskutieren im Bundestag und dann auch im Bundesrat. Und dann zu einem Gesamtkonzept kommen, das auf einer breiten Mehrheit beruht.

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