In den Händen von Menschen liegen Geld-Münzen. (Foto: dpa Bildfunk, picture alliance/dpa | Patrick Seeger (Montage: SWR))

Neue Sozialleistung

Bürgergeld soll Hartz IV ablösen - was sich damit konkret ändert

Stand

Das Bundeskabinett hat am Mittwoch das neue Bürgergeld beschlossen - es soll die Hartz IV-Zahlungen ersetzen. Was es mit dem Bürgergeld auf sich hat und was daran in BW kritisiert wird.

Seit seiner Einführung zum 1. Januar 2005 hat das Gesetz zum Arbeitslosengeld II (umgangssprachlich "Hartz IV") für Diskussionen und Kritik gesorgt. Nun will die Bundesregierung mit dem "Bürgergeld" laut Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) ein Signal für Sicherheit und mehr Respekt setzen.

Ab wann wird das neue Bürgergeld gezahlt?
Wer bekommt Bürgergeld?
Wie hoch ist das Bürgergeld?
Was ändert sich beim Bürgergeld?
Wo wird Bürgergeld beantragt?
Wie wird Bürgergeld beantragt?
Wann beginnen die persönlichen Auszahlungen des Bürgergelds?
Wie beurteilen Verbände das Bürgergeld?
Wie fallen die Reaktionen aus der BW-Politik darauf aus?

Ab wann wird das neue Bürgergeld gezahlt?

Das Bürgergeld – auch Grundeinkommen oder Grundsicherung für arbeitssuchende Menschen genannt – soll ab dem 1. Januar 2023 in Deutschland als Form der sozialen, staatlichen Hilfe an bedürftige Menschen gezahlt werden. Damit tritt es an die Stelle des bisherigen Arbeitslosengelds II, auch bekannt unter dem Namen Hartz IV. Das Arbeitslosengeld II und das Sozialgeld werden abgeschafft.

Wer bekommt Bürgergeld?

Das Gesetz zum Bürgergeld sieht vor, dass der Anspruch auf Bürgergeld besteht

  • bei Bedürftigkeit
  • im Anschluss an Leistungen auf das Arbeitslosengeld I

Das Bürgergeld soll zur gesellschaftlichen Teilhabe befähigen und die Würde des und der Einzelnen achten. Es soll der nachhaltigen Integration in den Arbeitsmarkt dienen. Es soll unkompliziert und auch digital zugänglich sein. Wer bisher Anspruch auf Arbeitslosengeld II oder Sozialgeld hatte, wird künftig einen Anspruch auf Bürgergeld haben.

Wie hoch ist das neue Bürgergeld?

Der Regelsatz wird laut dem Kabinettsbeschluss der Bundesregierung 502 Euro betragen. Das ist der Satz für Alleinstehende und entspricht einer Erhöhung des bisherigen Regelsatzes um 53 Euro monatlich.

Außerdem gelten folgende Regelsätze:

  • 451 Euro für eheliche oder nichteheliche Partner einer Lebensgemeinschaft
  • 420 Euro für Kinder im Alter von 14 bis 17 Jahren 
  • 348 Euro für Kinder im Alter von 6 bis 13 Jahren 
  • 318 Euro für Kinder bis einschließlich 5 Jahren

Was ändert sich beim Bürgergeld?

In den ersten zwei Jahren des Bezugs des Bürgergeldes sollen Leistungsempfänger und -empfängerinnen in jedem Fall in ihren Wohnungen wohnen bleiben dürfen. Die Wohnungskosten (Kosten der Unterkunft) werden also in den ersten zwei Jahren des Leistungsbezugs nicht danach beurteilt, ob sie angemessen sind.

Vermögen von bis zu 60.000 Euro wird geschont und nicht auf den Anspruch auf Bürgergeld angerechnet, aber auch dies nur in den ersten beiden Jahren des Leistungsbezugs. Hartz-IV-Empfänger wurden in der Vergangenheit mit Sanktionen belegt, wenn sie sich beispielsweise nicht an Vereinbarungen mit dem Jobcenter hielten. Ganz abgeschafft werden die Sanktionen durch die Einführung des Bürgergeldes nicht.

Die Sanktionen werden aber neu geordnet und neu geregelt. Eine der wichtigsten neuen Regeln im Bereich der Sanktionen ist, dass beim Bezug des Bürgergelds eine sechsmonatige Vertrauenszeit gilt, in der eine Verringerung von Leistungen ausgeschlossen ist.

Wo wird das Bürgergeld beantragt?

Bürgergeld wird nur auf Antrag gewährt. Der Antrag muss bei der zuständigen Behörde gestellt werden. Das ist in aller Regel die Kommune, also die Stadtverwaltung oder Gemeindeverwaltung. Dort hießen die Ämter bisher Jobcenter.

Wie wird das Bürgergeld beantragt?

Der Antrag auf Bürgergeld kann zunächst formlos gestellt werden. Wichtig ist, rechtzeitig einen Antrag zu stellen, weil der Antrag nur eingeschränkt rückwirkend gilt. Der Antrag auf Bürgergeld kann in digitaler Form gestellt werden, also per E-Mail oder online auf der entsprechenden Internetseite der Verwaltung.

Wann beginnen die persönlichen Auszahlungen des Bürgergelds?

Bürgergeld wird nur gezahlt, wenn ein entsprechender Antrag gestellt wird. Der Anspruch auf Bürgergeld besteht grundsätzlich auch erst ab dem Zeitpunkt, zu dem der Antrag bei der Behörde eingegangen ist. Eine Rückwirkung besteht nur sehr eingeschränkt.

Wie beurteilen Verbände das Bürgergeld?

Die Einführung der Bürgergelds stößt in Baden-Württemberg auf ein geteiltes Echo. Ursel Wolfgramm vom PARITÄTISCHEN Baden-Württemberg begrüßt grundsätzlich den Paradigmenwechsel in der Grundsicherung. Dass Vermögen länger geschont werde und Wohnraum länger erhalten bleibe, sei richtig, sagte sie auf SWR-Anfrage. Auch alle Vorhaben zur besseren und nachhaltigen Integration in Arbeit seien sinnvoll. Aber: "Der geplante Regelsatz ist auch mit 502 Euro nach wie vor viel zu niedrig", so Wolfgramm. Der PARITÄTISCHE fordere deshalb eine sofortige Erhöhung des Regelsatzes um 200 Euro. Außerdem müsse die im Koalitionsvertrag vereinbarte Kindergrundsicherung endlich umgesetzt werden. Andere Transferleistungen dürften dafür nicht gekürzt werden: "Kinder sind keine kleinen Langzeitarbeitslosen."

Den Gedanken, vom stigmatisierenden Hartz-IV-System wegzukommen und einen würdigeren Umgang mit (Langzeit)-Arbeitslosen zu finden, begrüße man ausdrücklich, so der Referent des Diakonischen Werks Württemberg für die Themen Armut und Arbeitslosenhilfe, Holger Fuhrmann. "Ob dieses Ziel mit dem neuen Bürgergeld erreicht werden kann, erscheint zumindest fraglich", betonte er auf SWR-Anfrage. Neben einigen positiven Aspekten wie der Entfristung des sozialen Arbeitsmarkts, dem Wegfall des Vermittlungsvorrangs oder die Wohnkostenübernahme kritisierte Fuhrmann explizit die zu geringe Erhöhung des Regelsatzes um lediglich 50 Euro. Dies gleiche kaum den Inflationsausgleich aus.

Das Bürgergeld enthalte viele gute Ideen, betont auch die Caritas. So solle es etwa eine Neugestaltung des Eingliederungsprozesses geben, so die Referatsleiterin der Kontaktstelle Politik, Birgit Fix, auf SWR-Anfrage. Durch die neue Strategie werde eine Kooperation auf Augenhöhe, ein "Klima von Vertrauen und gemeinsamer Zusammenarbeit" geschaffen. Auch die bessere Betreuung von Langzeitarbeitlosen durch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Jobcenter begrüße man, so Fix weiter. Doch dafür fehle es an Geld - wenn hier die Politik nicht gegensteuere, "werden die guten Ansätze der Reform ins Leere laufen", so Fix.

Kritisiert wird von Seiten der Caritas darüber hinaus auch die festgelegten Sätze beim Thema Regelbedarfe. Zum einen seien diese zu niedrig veranschlagt, zum anderen erhalte der Gesetzentwurf keine Möglichkeit, bei außergewöhnlichen Preissteigerungen Anpassungen vorzunehmen. "Die gallopierende Inflation kann so nicht eingefangen werden", betonte Fix. Die öffentliche Kritik, mit dem Bürgergeld werde ein Weg in Richtung bedingungsloses Grundeinkommen eingeschlagen, teile man explizit nicht.

Wie fallen die Reaktionen aus der BW-Politik darauf aus?

Auch aus der Politik kommen unterschiedliche Reaktionen. SPD-Chefin Saskia Esken, die für den Wahlkreis Calw im Bundestag sitzt, lobte die Einführung des Bürgergelds. Damit etabliere man "eine neue Kultur" und setze "auf mehr Respekt, Befähigung und Ermutigung statt erhobenen Zeigefinger", twitterte Esken.

Grünen-Bundesvorsitzende Ricarda Lang aus dem Wahlkreis Backnang-Schwäbisch Gmünd betonte in einem Tweet: "Wir werden nicht zulassen, dass Menschen in der Grundsicherung und mit kleinen Löhnen gegeneinander ausgespielt werden." Sie bezeichnete es als "besonders perfide", wenn das Herz für Menschen im Niedriglohnsektor dann entdeckt werde, wenn es darum gehe, gegen das Bürgergeld zu polemisieren.

"Nur zu fördern ohne zu fordern ist der falsche Weg", führte dagegen die neu gewählte Vize-Generalsekretärin der CDU, Christina Stumpp, aus dem Wahlkreis Waiblingen aus. Das Bürgergeld sorge dafür, dass Nichtarbeit deutlich attraktiver werde. "Das ist den vielen Menschen in unserem Land, die täglich zur Arbeit gehen und mit ihren Beiträgen das Solidarsystem finanzieren, nicht vermittelbar", so Stumpp.

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