Ein Mann leuchtet mit seiner Lampe in den Stromkasten. (Foto: picture-alliance / Reportdienste, picture alliance / CHROMORANGE | Michael Bihlmayer)

Keine flächendeckenden Stromausfälle erwartet

Energiekrise in BW: Wie wahrscheinlich ist ein Blackout?

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Berkan Cakir

Ist ein Stromausfall in großen Teilen von Baden-Württemberg möglich, wenn sich die Energiekrise zuspitzt? Experten geben Entwarnung. Doch Probleme könnte es trotzdem geben.

Kommunen in Baden-Württemberg sehen angesichts der Energiekrise keine Gefahr für einen Blackout im Land. Einen flächendeckenden Stromausfall über eine längere Zeit schließt der Städtetag aus. Was allerdings Sorgen bereitet, sind regionale Stromausfälle im Winter, mit denen die Kommunen durchaus rechnen müssen. "In den letzten Jahren war die Gasverstromung eine wichtige Übergangstechnologie. Jetzt wird das Gas weniger. Es ist also eine unsichere Situation", sagt Susanne Nusser, stellvertretende Hauptgeschäftsführerin des Städtetags, dem SWR.

Für "einige Stunden" kann der Strom in BW ausfallen

Der Städtetag verweist dabei auf den Stromnetz-Stresstest der vier Übertragungsnetzbetreiber im Bund. In der Analyse wurden mehrere Szenarien erstellt, die eine angespannte Versorgungssituation im Land simulieren. Für Baden-Württemberg ist dabei TransnetBW mit Sitz in Stuttgart zuständig. Das Unternehmen bestätigt auf Nachfrage: Unter den kritischeren Szenarien der Sonderanalyse könne es für "einige wenige Stunden" zu Lastenunterdeckungen in Deutschland kommen. Ob und welche Regionen davon besonders betroffen sein könnten, sei jedoch nicht seriös zu prognostizieren. Bei der Analyse handele es sich zudem um eine Modellrechnung, nicht um eine Vorhersage, so ein Sprecher.

Lieferengpässe beim Strom in Frankreich machen Probleme

Mehrere Faktoren beeinflussen die Szenarien. Zum einen haben die Expertinnen und Experten die Situation der Atomkraftwerke in Frankreich in ihre Analyse einbezogen. Aktuell sind mehr als die Hälfte der Atommeiler im Nachbarland nicht in Betrieb, was Auswirkungen auf die Versorgungslage hierzulande hat, da der Strom auch nach Deutschland fließt.

Vier Kühltürme des Atomkraftwerks Bugey östlich von Lyon in Frankreich im Gegenlicht.  (Foto: dpa Bildfunk, picture alliance / AP Images | Laurent Cipriani)
Das Atomkraftwerk Bugey östlich von Lyon in Frankreich ist seit Ende der Siebzigerjahre in Betrieb.

Zudem hängt auch viel davon ab, wie schnell und wie sicher die Kohlekraftwerke, die als Reserve reaktiviert werden, wieder zurück ans Versorgungsnetz kommen. Neben der Verfügbarkeit von Gas, die von der politischen Lage abhängt, fließt in die Analyse nicht zuletzt auch der potenziell vermehrte Betrieb von elektrischen Heizlüftern ein. Auf diese gab es wegen steigender Gaspreise zuletzt einen Ansturm.

Weiterbetrieb von Atomkraftwerken soll gegen Engpässe helfen

Die Übertragungsnetzbetreiber haben eine Reihe von Maßnahmen empfohlen, um Engpässe im Herbst und Winter zu verhindern. Dazu zählt etwa die Aktivierung von Reservekraftwerken, die etwa Kohle zur Stromproduktion nutzen, und die Empfehlung, weitere Reservekraftwerke im Ausland unter Vertrag zu nehmen. Hinzu kommt der viel diskutierte Weiterbetrieb der Atomkraftwerke. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) bereitet den Einsatz des AKW in Neckarwestheim (Kreis Heilbronn) bis April 2023 vor. Habeck führte die Entscheidung auf den schlechten Strommarkt in Frankreich zurück. Die fehlenden Strommengen gleiche Deutschland derzeit mit Gaskraftwerken aus.

Was Habecks Entscheidung, das AKW in Neckarwestheim gegebenenfalls im neuen Jahr weiterlaufen zu lassen, bedeutet:

Kontrollierte Abschaltungen sind möglich

Sollten die Gegenmaßnahmen und die technischen Mittel der Netzbetreiber nicht ausreichen, greifen sie zu sogenannten kontrollierten Lastabschaltungen. Dabei können laut TransnetBW auch Verbraucherinnen und Verbraucher "räumlich und zeitlich begrenzt" vom Strom getrennt werden. Der Zweck: Das Gesamtnetz auf diese Weise stabil halten. "Das ist die Ultima Ratio und nichts Schlimmes. Denn der Strom kehrt in jedem Fall wieder nach wenigen Stunden zurück", so der Sprecher. Einen kompletten Blackout hält die TransnetBW daher für "sehr unwahrscheinlich".

Stuttgarter Professor spricht von "sehr ernster" Lage

Kai Hufendiek, Professor für Energiewirtschaft an der Universität Stuttgart, sieht das ähnlich.

"Ein Blackout, das heißt ein flächendeckender Komplettausfall des Stromsystems, wäre ein fatales Ereignis und würde mehrere Tage brauchen, bis das System wieder funktioniert."

Seines Wissens hat es in der Bundesrepublik Deutschland einen solchen flächendeckenden Komplettausfall bisher nicht gegeben.

Die Gefahr dafür sieht Hufendiek auch nicht im bevorstehenden Winter. "Ausschließen würde ich ihn nicht, aber ein gesamter Systemausfall bleibt weiter sehr unwahrscheinlich", bestätigt er. Die Stromnetzbetreiber hätten viele Notfallmaßnahmen, um genau dieses Ereignis zu verhindern. Allerdings spricht Hufendiek trotzdem von einer "sehr ernsten" Lage. "Die Wahrscheinlichkeit von zeitweisen regionalen Stromausfällen für ein paar Stunden ist dramatisch gestiegen", sagt er.

Städtetag: Kommunen sind auf Stromausfälle vorbereitet

Daher sind die Kommunen in Baden-Württemberg dem Städtetag zufolge auf Stromausfälle dieser Art gut vorbereitet. "Alle Kommunen haben ihre Notfallpläne in den Schubladen. Sie werden regelmäßig geübt und erneuert", so Susanne Nusser. Die Pläne sehen beispielsweise Unterkünfte mit Feldbetten für Bürgerinnen und Bürger vor, die aufgrund eines Stromausfalls zeitweilig nicht zu Hause sein können - und Notstromaggregate für kritische Infrastruktur wie Krankenhäuser.

Anders sieht das allerdings der Katastrophenschutz. Stefan Hermann, Vizepräsident des Landesfeuerwehrverbandes, kritisierte gegenüber dem SWR, dass der Feuerwehr die Ausrüstung für Ausnahmesituationen wie einen Blackout fehle. "Oftmals haben die Leute die Erwartung, dass der Katastrophenschutz im Falle eines Stromausfalls jedem sofort helfen kann. Das ist sicher nicht der Fall", so Hermann. Vor diesem Hintergrund hatte das baden-württembergische Innenministerium die vom Bund geplanten Einsparungen beim Katastrophenschutz heftig kritisiert.

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Städte und Gemeinden sparen vorsorglich Strom und Gas

Laut Hufendiek gilt es im Hinblick auf den Winter, die Gefahr für einen zeitweiligen Stromausfall zu minimieren. "Diese Risiken kann jeder einzelne damit reduzieren, dass weniger Strom und Gas verbraucht wird, weil sich dann die Speicher langsamer leeren werden", sagt der Stuttgarter Uni-Professor.

Unterdessen versuchen auch Städte und Gemeinden im Land vorsorglich, so viel Strom wie möglich zu sparen. Mehrere Kommunen sehen etwa vor, die Beleuchtung auf Weihnachtsmärkten einzuschränken. In Öhringen (Hohenlohekreis) bleibt das städtische Hallenbad in diesem Winter geschlossen. Die Stadt Ulm will den Energieverbrauch um 20 Prozent senken. Die Stadt Stuttgart hatte bereits im August die nächtliche Beleuchtung zahlreicher Gebäude und Brunnen eingestellt.

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