Ein Mitglied des medizinischen Personals in einem Corona-Testzentrum steckt ein Wattestäbchen nach einem PCR-Abstrich zum Test auf Covid-19 in ein Röhrchen.  (Foto: dpa Bildfunk, picture alliance/dpa | Michael Kappeler)

Zahl der PCR-Testungen halbiert sich

Neue Phase der Corona-Pandemie: Warum wir uns von der Sieben-Tage-Inzidenz als Richtwert lösen müssen

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Oliver Linsenmaier
Bild von Oliver Linsenmaier (Foto: privat)

Lange fußte die deutsche Corona-Politik auf der Sieben-Tage-Inzidenz. Mittlerweile ist sie nur noch eine Randnotiz. Dafür gibt es gute Gründe, wissen die SWR-Datenjournalisten.

Über einen langen Zeitraum galt die Sieben-Tage-Inzidenz als wichtigstes Kriterium für die Bewertung der aktuellen Lage in der Corona-Pandemie. Die Politik traf eine Vielzahl von tiefgreifenden Entscheidungen und Einschnitten für die Bevölkerung auf Grundlage dieser Zahlen. Doch mittlerweile hat sich das komplett gedreht. Trotz enorm hoher Fallzahlen wurden zum 3. April fast alle Corona-Auflagen fallen gelassen, an den Wochenenden werden überhaupt keine Zahlen mehr gemeldet und die Inzidenz scheint nur noch für die besonders vorsichtigen Bürgerinnen und Bürger eine Rolle zu spielen. Diese 180-Grad-Wende innerhalb kürzester Zeit mag viele Menschen überraschen - doch gibt es gute Gründe für sie.

Über die gesamte Pandemie hinweg haben SWR-Datenjournalist Michael Kreil und seine Kollegen die verschiedensten Zahlen analysiert und ausgewertet. Dabei war gerade die Sieben-Tage-Inzidenz lange Zeit die verlässlichste Kennziffer. Mit Hilfe von Modellrechungen konnten die Experten daraus ziemlich exakt die kommenden Krankenhauseinlieferungen und schweren Verläufe vorhersagen. Daher ist es für Kreil komplett nachvollziehbar, dass sich die Politik lange Zeit an der Inzidenz orientierte - und sich nun auch weitgehend von ihr gelöst hat.

"Die Infektionszahlen sind nicht mehr wirklich aussagekräftig. Wir werden uns davon lösen müssen, ständig auf Tests und Infektionszahlen zu schauen."

Impfung als entscheidender Wendepunkt

Als entscheidenden Wendepunkt sieht der Datenjournalist dabei die Impfung. Je mehr Menschen durch die Vakzine zumindest vor einem schweren Verlauf geschützt werden, desto weniger sagen die positiven Fälle aus. Denn selbst wenn sich die Menschen anstecken, sinkt die Wahrscheinlichkeit bei Geimpften massiv, ins Krankenhaus eingeliefert werden zu müssen und dann auch auf die Intensivstation zu kommen. Die Prognose, ob und wann das Gesundheitssystem an seine Grenzen kommt, wurde also mit jeder Impfung schwieriger.

Ohnehin, so sagt SWR-Datenjournalist Kreil, war die Inzidenz nur ein Nebenprodukt der Pandemiebekämpfung. Die umfangreichen Testungen waren vor allem vor der Verfügbarkeit der Impfstoffe das wirksamste Instrument, um die Infizierten zu finden und weitere Ansteckungen zu verhindern. Dass dabei die Zahlen abfielen, war ein positiver Nebeneffekt. "Doch diesen wunderbaren Einblick haben wir nun verloren", sagt der Datenjournalist.

Mehr als eine Millionen Tests fallen weg

Denn seit Wochen ist die Zahl der Testungen rückläufig. Die offiziellen Zahlen im Bund sanken von rund 2,36 Millionen PCR-Tests Mitte März auf gerade einmal 1,07 Millionen in der Woche vom 11. bis 17. April. Zwar spielen dabei auch die Osterferien im Bund eine Rolle. Doch schon in den Wochen zuvor, vom 28. März bis 3. April (1,86 Millionen) und 4. bis 10. April (1,46 Millionen), sanken die offiziell durchgeführten PCR-Tests erheblich.

Auch in Baden-Württemberg haben sich die Testzahlen mehr als halbiert. Waren es Mitte März noch 313.000, nahmen die Testungen danach kontinuierlich ab. Nach den Lockerungen Anfang April waren es zunächst 181.000. In der Woche vom 11. bis 17. April sank die Zahl auf 139.000. Wöchentlich fallen die Werte derzeit um 20 beziehungsweise 25 Prozent. Und nach den Osterferien fällt auch noch die Testpflicht an Schulen weg.

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Abnehmende Tests und sinkende Fallzahlen im Gleichschritt

Damit einher geht die sinkende Sieben-Tage-Inzidenz. SWR-Datenexperte Kreil hat beide Kurven übereinander gelegt. Anhand dessen ist eindeutig erkennbar, dass die Anzahl der Infektionen im gleichen Maß abnimmt, wie auch die Anzahl der Tests abnimmt. Dass die Zahl der Infizierten generell abnimmt, sieht man allerdings auch sehr gut an der abnehmenden Zahl der Hospitalisierungen.

Das bedeutet im Umkehrschluss aber auch, dass die Dunkelziffer der Infizierten enorm nach oben gegangen sein muss. Davon geht auch das baden-württembergische Sozialministerium aus, wie Sprecher Pascal Murmann auf SWR-Anfrage bestätigt.

Sozialministerium misst Inzidenz weniger Bedeutung zu

Ohnehin hat für die Behörden die Sieben-Tage-Inzidenz schon länger an Bedeutung verloren. Zwar sei sie immer noch "ein gewisser Gradmesser für das Infektionsgeschehen". Die Exaktheit der Zahlen sei aber nicht hoch und gäbe deswegen nur einen groben Anhaltspunkt.

"Mit der Omikron-Variante und den Impfungen hat eine gewisse Entkopplung von Inzidenz und Krankenhauseinweisungen stattgefunden. Eine hohe Inzidenz bedeutet nicht mehr automatisch viele schwere Verläufe auf den Intensivstationen", sagt Murmann. Da es aber stets das Ziel war und ist, eine Überlastung der Kliniken zu vermeiden, würden die politischen Maßnahmen bereits sei langer Zeit nicht mehr maßgeblich an der Inzidenz ausgerichtet, erläutert der Sprecher.

Hospitalisierung und Patienten auf der Intensivstation entscheidend

Entscheidend sei vielmehr die Belastung des Gesundheitssystems. "Die Hospitalisierungsraten und die Anzahl der Patientinnen und Patienten auf Intensivstation spielen momentan die entscheidende Rolle bei der Bewertung der Krankheitslast durch Covid-19", sagt er. Das spiegele sich auch in der aktuellen Corona-Verordnung des Landes wieder.

Auch die Belastung der Hausärzte werde "seit Langem" berücksichtigt, meint Murmann. Man befinde sich in nahezu kontinuierlichem Austausch mit der Kassenärztlichen Vereinigung Baden Württemberg und sehe, dass sich das Geschehen in letzter Zeit stark auf die hausärztliche Versorgung verlagert habe. Der Hausärzteverband im Land fand diesbezüglich gegenüber dem SWR unlängst deutlichere Worte: Man arbeite an der Belastungsgrenze auf Kosten der Gesundheit der Mitarbeitenden und sei enttäuscht von der Politik und der bislang gezeigten Wertschätzung.

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Trotz dieses Hilferufes hat das Sozialministerium auch auf Nachfrage keine konkreten Maßnahmen geplant, um die Hausarztpraxen zu entlasten. Vielmehr setzt es auf zurückgehende Fallzahlen. "Mit einem abnehmenden Infektionsgeschehen wird auch die Belastung in den Arztpraxen wieder abnehmen", sagt Murmann. Jeder Einzelne von uns könne dazu einen Beitrag leisten, indem man in Innenräumen weiterhin Maske trage und sich auch sonst an die Abstands- und Hygieneregeln halte, um Infektionen bestenfalls zu verhindern.

Warme Temperaturen und Immunisierung sollen helfen

Als Anhaltspunkte für den vom Ministerium erwarteten Rückgang nennt er die warmen Temperaturen in den Sommermonaten sowie die "zunehmende natürliche Immunität durch Infektionen". Auch der Rückgang der Testhäufigkeit habe momentan einen starken Einfluss, räumt Murmann ein.

Daher müsse die Situation weiter im Blick behalten werden. Zwar habe sich das Verhältnis der Infektionen zu den schweren Kranheitsverläufen dank der Impfungen und der abgeschwächten Omikron-Variante deutlich verschoben, erklärt der Pressesprecher. Dennoch sei das Infektionsgeschehen weiterhin erhöht. Die Menschen könnten weiterhin an Covid-19 erkranken und daran sterben, führt Murmann aus. Die Pandemie sei noch nicht vorbei.

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Viele der Getesteten sind positiv

Das unterstreicht auch die sogenannte PCR-Positivrate. Diese sagt aus, wie viele der getesteten Personen positiv waren. Zwar sank sie von Mitte März (63,5 Prozent) auf 55,8 Prozent in der Woche vom 4. bis 10. April. Zuletzt stieg sie aber wieder etwas an (58,5 Prozent) und bewegt sich grundsätzlich auf einem extrem hohen Niveau.

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