Mehrere Menschen schwimmen in einem Schwimmbecken, das von oben aufgenommen ist (Foto: dpa Bildfunk, picture alliance/dpa | Thomas Frey)

Oberkörperfrei in Göttingen erlaubt

Debatte über Gleichberechtigung: Oben-ohne-Baden kommt vorerst nicht in BW

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Benedict Walesch
Benedict Walesch aus dem SWR1 Team (Foto: SWR)

In Göttingen (Niedersachsen) dürfen in Schwimmbädern seit kurzem alle Menschen oberkörperfrei baden. Der SWR hat landesweit Bäderbetriebe angefragt: Was gilt für Baden-Württemberg?

Initiiert wurde die neue Regelung in Göttingen von Mina Berger und dem feministischen Bündnis "Gleiche Brust für alle". Mehrere Medien hatten über den Fall berichtet. Berger heißt eigentlich anders, möchte aber anonym bleiben. Auslöser war, dass Berger im Sommer im letzten Jahr oberkörperfrei in einem Göttinger Schwimmbad gebadet hatte. Berger bezeichnet sich selbst als non-binär, identifiziert sich also weder als Frau noch als Mann. Das Schwimmbad sah Berger jedoch als Frau und erteilte einen Schwimmbadverweis sowie ein Hausverbot wegen Oben-ohne-Badens.

"Der Blick der anderen ist das Problem, nicht die Nacktheit an sich."

Oben-ohne-Fall landet vor Sportausschuss der Stadt

Berger wehrte sich, der Fall landete vor dem Sportausschuss der Stadt. Der sprach sich für folgende Regelung aus: Vom 1. Mai 2022 an dürfen alle Badegäste ohne Oberkörperbekleidung schwimmen - allerdings nur am Wochenende. Die Regelung gelte für alle Schwimmbäder, die von der Göttinger Sport- und Freizeitgesellschaft betrieben werden, sagte ein Stadtsprecher.

Ein Schild mit der geänderten Badeordnung in einem Göttinger Schwimmbad. Seit 1. Mai 2022 dürfen dort alle Menschen am Wochenende oberkörperfrei schwimmen. (Foto: dpa Bildfunk, picture alliance/dpa | Swen Pförtner)
In Göttingen wurde die Badeordnung angepasst. Seit dem 1. Mai dürfen alle Menschen an Wochenenden oben ohne Baden.

Schwimmbäder in BW: Kein Vorfall wie in Göttingen bekannt

Der SWR hat zur Situation in Baden-Württemberg über 20 Betreiberinnen und Betreiber von Bädern landesweit angefragt. Ein ähnlich gelagerter Fall wie in Göttingen sei nicht bekannt, so die einstimmige Rückmeldung. Allerdings verwiesen viele auf die zahlreichen Angebote zum textilfreien Baden in ihren Saunabereichen oder - wie im Fall des Stuttgarter Leuze - auf "Regelungen, dass Mittwoch bis Samstag, ab 21 bis 23 Uhr, textilfreies Schwimmen in den Innenbecken möglich" sei.

Derzeit keine Änderung der Badeordnungen in Sicht

Auf SWR-Anfrage hieß es von Seiten vieler Bäderbetriebe, dass man die Situation und gesellschaftliche Debatte beobachte. "Wir planen allerdings auch nicht, das Oben-ohne-Baden an bestimmten Tagen oder auch generell einzuführen", so Klara Scheffler, Sprecherin der Stadt Mannheim für den Bereich Sport. Andere Bäderbetriebe gaben ähnliche Antworten.

"In Zeiten hoher Sensibilität jenseits unserer bisherigen "kulturellen Standards", werden sich Badbetreiber zukünftig wohl auch mit solchen Themen auseinandersetzen müssen."

Mehrere Menschen demonstrieren zum Teil oben ohne gegen Ungleichbehandlung der Geschlechter. Auf Schildern steht unter anderem "Gegen Macker und Sexisten". (Foto: dpa Bildfunk, picture alliance/dpa | Stefan Puchner)
Immer wieder setzen sich Menschen für oberkörperfreies Schwimmen ein. (Archivbild einer Demo)

Warum ist ein nackter Männeroberkörper okay, nackte Brüste aber nicht?

Deutschlandweit gibt es Bewegungen, die ein Oben-ohne-Recht für alle Menschen fordern. Sie fordern Geschlechtergerechtigkeit und die Entsexualisierung des weiblichen Körpers. So gab es im vergangenen Sommer in Berlin eine Fahrrad-Demo mit dem Motto: "No Nipple is free until all Nipples are free!" (Keine Brustwarze ist frei, bis alle Brustwarzen frei sind), um gegen ein Verhüllungsgebot in öffentlichen Parks zu protestieren.

Gründungsmitglied des Queerdenker* e.V. Stuttgart sieht noch einen weiten Weg zu gehen

Ida Liliom hat 2017 Queerdenker* e.V. in Stuttgart mitgegründet - und betonte im SWR-Interview, dass der Verein nichts mit der "Querdenken"-Bewegung der Corona-Pandemie zu tun habe. Queerdenker* e.V. setze sich zum Ziel, queeren Jugendlichen und jungen Erwachsenen einen Zugang zu einer Gemeinschaft zu bieten, in der sie sich und ihre sexuell-geschlechtliche Identität (...) besser verstehen und lieben lernen könnten, wie es auf der Webseite des Vereins heißt. Er stehe aber allen Menschen offen, so Liliom im SWR. "Queer" könne als eine Art Sammelbegriff verstanden werden für Menschen, die sich in ihrer Sexualität, ihrem Gender oder ihrer Identität außerhalb der sogenannten Norm bewegten, erklärte Liliom.

Ida Liliom auf einem Privatfoto (Foto: SWR, Privatfoto | Ida Liliom)
Ida Liliom ist Gründungsmitglied des Vereins Queerdenker* e.V. Stuttgart.

Die Menschen aus der Community, die Liliom kenne, gingen selten in öffentliche Schwimmbäder. Einige hätten von verbaler oder physischer Gewalt beim Schwimmbesuch berichtet. Ein Ausweg sei, gar nicht erst dorthin zu gehen oder gelegentlich kleinere Bäder komplett zu buchen, um so der Community einen unbeschwerten Schwimmbad-Tag ohne Angst zu ermöglichen. Bis alle Menschen in einem öffentlichen Schwimmbad oberkörperfrei baden könnten, werde es noch lange dauern, vermutete Liliom.

Recht auf der einen, Akzeptanz auf der anderen Seite

Liliom äußerte Bedenken, sollte es in Zukunft ein Recht auf oberkörperfreies Baden geben: "Ich glaube, selbst wenn die Regelung kommen würde, dass jeder Mensch in der Öffentlichkeit seine Brüste zeigen darf - was ich zurzeit noch nicht sehe - dann muss erstmal viel passieren mit Aufklärungs- und Antidiskriminierungsarbeit. Weil nur, weil man das öffentlich darf, fühlt sich das vielleicht nicht auch gleich sicher an, weil nicht alle Augen mir wohlgesonnen sind, wenn ich da mein Leben lebe, mit meinen Brüsten in der Sonne", so Liliom.

"Schwimmbäder sind ein unglaublich großer Ort der Diskriminierung."

Bisher keine Meldungen an Antidiskriminierungsstelle

In ihrer Antwort auf eine SWR-Anfrage teilte die Antidiskriminierungsstelle des Landes Baden-Württemberg (LADS) mit, sie sei erste Anlaufstelle für ratsuchende Menschen, die in einem öffentlichen Bad aufgrund ihrer Sexualität diskriminiert werden oder Diskriminierungen beobachten. Ihr sei allerdings kein Fall aus Baden-Württemberg bekannt. Ein ähnlich gelagerter Fall werde aber aktuell vor dem Landgericht Berlin verhandelt. Klägerin ist eine Person, der es verboten wurde, sich oberkörperfrei an einem Wasserspielplatz aufzuhalten.

Auch wenn eine zeitnahe Änderung der Bade- und Hausordnungen von Schwimmbädern in Baden-Württemberg nicht in Sicht scheint, die Diskussion darüber, ob oberkörperfreies Baden für alle Menschen erlaubt werden soll oder nicht, ist in Baden-Württemberg angekommen.

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