Eine erschöpfte Pflegerin sitzt zusammengesunken im Flur eines Altenheims. Laut dem Pflegereport der Barmer-Krankenkasse ist Pflegepersonal überdurchschnittlich häufig krank und in Frührente. (Foto: IMAGO, IMAGO / localpic)

Zu wenig Personal im Gesundheitswesen

Arbeiten trotz Coronainfektion? So praxistauglich ist die Ausnahmeregel für Klinikpersonal

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Marc-Julien Heinsch
SWR-Redakteur Marc-Julien Heinsch Autor Bild (Foto: David-Pierce Brill)

Das Freitesten für Personal in Krankenhäusern ist umstritten. Es sei in der Praxis wenig hilfreich, heißt es aus BW-Kliniken - dabei ist der Personalmangel so akut wie lange nicht.

Klinik- und Heimleitungen ist es im Einzelfall erlaubt, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter trotz positiven Coronatests wieder arbeiten zu lassen, wenn sie keine Symptome mehr haben. Mit dieser Ausnahmeregel wollte das Sozialministerium in Baden-Württemberg nach eigenen Angaben "unter anderem auf die angespannte Situation in den Kliniken" reagieren. Hat die Ausnahmeregel die Lage in den Kliniken und Pflegeeinrichtungen entspannt?

SWR-Redakteurin Natalja Kurz:

BW-Krankenhausgesellschaft: Lage sehr angespannt

Rund vierzehn Prozent der Pflegekräfte stünden derzeit allein durch Corona-Erkrankung und Corona-Absonderung nicht zur Verfügung, sagt Matthias Einwag, Hauptgeschäftsführer der baden-württembergischen Krankenhausgesellschaft (BWKG), auf SWR-Anfrage. Bei den Ärztinnen und Ärzten schätzt die BWKG den Ausfall auf rund zehn Prozent. Hinzu kommen laut Einwag andere Krankheitsausfälle sowie Urlaub.

"80 Prozent der Krankenhäuser bewerten die Personalsituation derzeit als sehr angespannt. In den Reha-Kliniken im Land ist die Lage nicht anders. Dort gehen wir von einem Corona-bedingten Personalausfall über alle Berufsgruppen von rund zwanzig Prozent aus."  

Auch in den kommunalen Kliniken und Gesundheitseinrichtungen in Baden-Württemberg sei aktuell eine "bemerkenswert hohe Abwesenheitsquote" zu spüren. Das erklärt Hans-Jürgen Hennes auf SWR-Nachfrage. Er ist der Sprecher des Verbunds der kommunalen Kliniken QuMiK (Qualität und Management im Krankenhaus) und Ärztlicher Direktor des Uniklinikums Mannheim.

Hohe Hürden für den Einsatz coronapositiver Klinikmitarbeiter

Bislang scheint die Ausnahmeregel für Klinikpersonal in Baden-Württemberg nicht die erhoffte Wirkung zu entfalten. Woran liegt das?

In den wenigsten Fällen sei das Ziehen der Ausnahmeregel überhaupt möglich, sagt QuMiK-Sprecher Hennes. Er erklärt das so: "Zwei Dinge sind ja eine Grundvoraussetzung. Das eine ist die Symptomfreiheit, die können wir nicht beeinflussen." Wer Symptome habe, könne nicht arbeiten und das werde auch nicht hinterfragt. "Der zweite Punkt ist die Freiwilligkeit. Die Mitarbeiter müssen das natürlich auch wollen. Denn wenn eine Krankschreibung vorliegt, stellen wir als Klinikleitung das grundsätzlich auch nicht infrage." Hinzu komme die Vorsicht der Kliniken. Auch wer symptomfrei sei, werde nochmal PCR-getestet, um festzustellen, ob die Viruslast wirklich niedrig genug ist, um wieder gefahrlos mit Patientinnen und Patienten arbeiten zu können.

Hans-Jürgen Hennes, Medizinischer Geschäftsführer des Mannheimer Klinikums (Foto: Universitätsmedizin Mannheim (UMM) )
Hans-Jürgen Hennes sieht hohe Hürden bei der Ausnahmeregel für das Gesundheitspersonal.

Ausnahmeregel war "ausdrücklicher Wunsch der Krankenhäuser"

Seit Ende Juli 2022 gibt es die Ausnahmeregel in der Corona-Verordnung Absonderung, die es Klinikpersonal im Einzelfall erlaubt, trotz positiven Coronatests wieder zu arbeiten. Zuvor galt für coronapositiv getestete Beschäftigte im Gesundheitsbereich ein Tätigkeitsverbot von 15 Tagen. Mit der Ausnahmeregelung können Klinikleitungen das Tätigkeitsverbot im Einzelfall bereits nach sechs Tagen aussetzen - vorausgesetzt, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben keine Symptome mehr. Damals erklärte man im Gesundheitsministerium, die Ausnahme auf "ausdrücklichen Wunsch der Krankenhäuser" zu erlassen. Die allerdings nutzen sie bislang nur wenig. Aktuell geht BWKG-Chef Einwag davon aus, dass die Ausnahmeregel "nicht sehr häufig" angewendet wird. Einige Einrichtungen erwögen aber in Zukunft von ihr Gebrauch zu machen.

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Gewerkschaft ver.di sieht Einsatz coronapositiver Klinikmitarbeiter kritisch

Martin Gross, Landeschef der Gewerkschaft ver.di, gefällt die Aussicht nicht, dass im Herbst vermehrt coronapositive Klinikmitarbeiterinnen und - mitarbeiter eingesetzt werden könnten: "Mit Blick auf den Herbst und eine dann womöglich noch engere Personalsituation erfüllt uns das mit großer Sorge." Wer infiziert sei, gefährde nicht nur die ihm anvertrauten Menschen. Infizierte könnten auch Kolleginnen und Kollegen anstecken, was aus Gross' Sicht noch mehr Personalausfälle zur Folge hätte. Er sagt: "Es muss wieder gelten: Wer positiv ist, bleibt daheim."

Schuld an der personellen Unterdeckung in Krankenhäusern sind laut ver.di-Landeschef Gross nicht Corona und Quarantäne, sondern "eine Gesundheitspolitik, die jahrzehntelang die falschen Anreize gesetzt und dadurch zu einem massiven Personalmangel" geführt habe. Es müsse endlich an den Ursachen wie zum Beispiel der Finanzierung durch Fallpauschalen angesetzt werden, anstatt weiter nur an den Symptomen "rumzudoktern".

Wenn die Patientenzahlen im Herbst steigen, wird es eng

Für den BWKG-Chef Einwag ist die Ausnahmeregel nur ein "kleiner Schritt", um in Einzelfällen bei sehr angespannter Personalsituation, "die Einschränkungen der Patientenversorgung möglichst klein zu halten". Problematisch könnte es im Herbst werden, "wenn die Infektionszahlen und damit die Personalausfälle hoch bleiben und gleichzeitig die Patientenzahlen weiter ansteigen".

Hans-Jürgen Hennes will ein solches "Worst Case Scenario" nicht ausschließen. Er sagt aber auch, die Kliniken hätten sich für den Notfall schon seit Beginn der Pandemie vorbereitet. "Bislang ist es uns immer gelungen. Die Flexibilität und die Bereitschaft der Mitarbeiter einzuspringen, die ist wirklich sehr hoch."

Aus Sicht der BWKG müssen weitere Vorbereitungen getroffen werden. Einwag nennt beschleunigte Anerkennungsverfahren für ausländische Bewerberinnen und Bewerber auf Klinikjobs. Und ein Aussetzen der Impfpflicht für Klinik- und Pflegepersonal.

Sozialministerium hakt nach Wie steht es um die einrichtungsbezogene Impfpflicht in Baden-Württemberg?

Zwar ist die allgemeine Corona-Impfpflicht gescheitert, aber seit Mitte März brauchen Beschäftigte in der Pflege einen Impfnachweis. Vielerorts wird jedoch eher auf Zeit gespielt.

Baden-Württembergs Gesundheitsminister Manfred Lucha (Grüne) hält Impfpflicht-Debatten dagegen für erledigt. Er geht davon aus, dass die Teil-Impfpflicht nicht verlängert wird und am 31. Dezember ausläuft. Das bestätigt das Sozialministerium gegenüber dem SWR. Die Akzeptanz für die Impfpflicht sei weiter sehr schlecht, so Lucha. Allerdings sei die Einführung der Impfpflicht für Beschäftigte in Seniorenheimen und Kliniken berechtigt gewesen. Sie habe dazu geführt, dass sich in Baden-Württemberg von etwa 30.000 noch nicht geimpften Beschäftigten mehr als 13.000 doch haben impfen lassen. Auch Hans-Jürgen Hennes geht nicht davon aus, dass ein früheres Aussetzen der Teil-Impfpflicht eine große Zahl an Personal zurückbringen würde. "Bei uns sind es so wenige Mitarbeiter, die würden uns in den einzelnen Berufsgruppen auch nicht nennenswert weiterhelfen."

Corona-Herbst: Was hilft kurzfristig gegen den Personalmangel?

Niemand wisse, wie die Pandemie sich entwickeln werde, sagt Hans-Jürgen Hennes, Sprecher der kommunalen Kliniken im Land und selbst Klinik-Chef in Mannheim. Man hoffe natürlich auf den angepassten Impfstoff, der besser vor einer Omikron-Infektion schützen soll. Doch wann der einsetzbar ist, steht auch noch nicht fest.

"Wenn im Herbst eine massive Welle kommt, glaube ich nicht, dass man uns politisch groß helfen kann."

Kliniken und Personal müssten dann eben funktionieren - wie in den bisherigen Corona-Wellen auch. "Die Pflegekräfte, die es nicht gibt, schaffen Sie auch politisch nicht in kurzer Zeit", sagt Hennes. Die Ausbildung dauere nun einmal drei Jahre.

Die Ausnahmeregel für Klinikpersonal werde aufgrund der hohen Hürden auch im Winter wohl keine große Rolle spielen, schätzt Hennes. Trotzdem begrüße er sie, weil sie den Kliniken und Pflegeeinrichtungen zumindest zu einem gewissen Prozentsatz die Möglichkeit gebe, "wenn Mitarbeiter wieder arbeiten wollen, symptomlos sind und ihre Viruslast gering ist", sie möglichst schnell wieder einzusetzen. Grundsätzlich mache die Regel Sinn - nur halte sich das Virus leider nicht an Regeln. Bei der derzeit dominierenden Virusvariante seien die wenigsten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Coronainfektion symptomfrei.

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