Demonstranten gehen hinter einem Transparent mit der Aufschrift "Was verschweigen die Medien?". (Foto: dpa Bildfunk, picture alliance/dpa | Markus Scholz | Collage: SWR)

Gas-Krise, Klima-Krise, Corona-Pandemie

Antisemitismus-Beauftragter zu "Querdenken"-Protest: "Die wünschen sich Krise"

Stand
INTERVIEW
Vanja Weingart

Die Energiekrise wird wohl Proteste auslösen. Der Antisemitismus-Beauftragte von BW, Blume, rechnet mit Judenhass. Er erklärt im SWR-Interview auch, was dagegen hilft.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat auf seiner Pressekonferenz nach der Sommerpause vor Protesten wegen der Inflation gewarnt. Der Verfassungsschutz Baden-Württemberg warnt, dass "Querdenker" das Thema für sich entdecken. Der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, rechnet mit einem Aufflammen des Antisemitismus in Deutschland. Wenn es Probleme gebe, werde das Minderheiten angelastet: "Da sind Juden immer dabei." Und auch Michael Blume, der Beauftragte der baden-württembergischen Landesregierung gegen Antisemitismus, ist besorgt, aber er glaubt, die Demokratie könne dem standhalten. Es helfe, jetzt darüber zu sprechen, aber gleichzeitig sieht er Nachholbedarf in Gesetzgebung und Justiz.

SWR Aktuell: Michael Blume, fürchten Sie auch diese Verbindung: Energiekrise - Proteste - Minderheiten als Sündenbock?

Michael Blume: Ja, da hat Josef Schuster leider recht. Es ist so, dass wir inzwischen sehr genau wissen: Immer dann, wenn Dinge schiefgehen, sucht ein Teil der Menschen - das sind eher autoritär gestrickte Menschen - nach Schuldigen. Man nennt das Dualismus. Die spalten das dann ab und sagen: Da muss jemand Schuld haben und dann greifen sie immer wieder auf die alten Verschwörungsmythen zurück. Das sind zum Beispiel Frauen, also etwa Regierungschefinnen, aber es sind eben auch immer wieder Jüdinnen und Juden. Wir müssen also da auch mit neuem Antisemitismus rechnen.

"Wir haben sogar einen Anstieg von Hexenglauben in Afrika und in eurasischen Ländern."

SWR Aktuell: Wenn die "Querdenker" dann den Staat und Minderheiten für hohe Energiepreise verantwortlich machen, ist das ja nicht logisch. Könnte aber passieren. Wie muss man darauf reagieren?

Blume: Ich glaube, es ist richtig, jetzt schon darüber zu sprechen und zu fragen: Was kommt da? Das haben wir auch bei der Klimakrise - da gibt es den Verschwörungsmythos "Great Reset" und wenn man jetzt schon sagt, was diese Leute machen werden, womit sie wieder Leute locken und auch abzocken, kann man darüber aufklären. "Querdenken" ist ja auch ein Geschäftsmodell - also gilt es, vorher aufzuklären. Das ist ganz wichtig. Wenn es soweit ist, müssen wir klare Kante zeigen und dürfen das nicht zulassen. Ich muss auch mal deutlich sagen: Wir haben derzeit durch die digitalen Medien weltweit diese Verrohung. Wir haben sogar einen Anstieg von Hexenglauben in Afrika und in eurasischen Ländern. Diese Suche nach Sündenböcken und das Angreifen von Menschen ist kein Spaß. Das kostet Menschenleben und darüber aufzuklären und dagegen vorzugehen, kann nie falsch sein.

SWR Aktuell: Der Verfassungsschutz in Baden-Württemberg warnt schon vor neuen Protesten. Er beobachtet die Szene. Bekommen Sie da auch Informationen? Werden Sie da mit einbezogen?

Blume: Ja, inzwischen funktioniert das sehr gut. Wir tauschen uns aus, auch die Sicherheitsorgane und die Antisemitismusbeauftragten untereinander. Wir können auch sehen, was sich da tut: Wir sehen Telegram-Gruppen, wir sehen, was an Radikalisierung vor sich geht, wer damit Geld verdient und wir merken, dass wir uns nicht nur auf Texte zurückziehen können. Radio zum Beispiel ist wichtig, weil wir über das Ohr viele Menschen erreichen. Auch Dokumentationen, wie die ZDF-Doku "Verschwörungswelten. QAnon" - wir müssen mit allen Medien dagegen anarbeiten, dann wirkt schon etwas davon.

SWR Aktuell: Versuchen Sie, Menschen anzusprechen, die zum Beispiel solche Dinge posten?

Blume: Ja, im Rahmen des Möglichen selbstverständlich. Ich versuche so viel wie möglich, digital präsent zu sein, trotz all des Hasses, der einem da entgegenschlägt, weil da die Probleme sind. Es bringt ja nichts, wenn ich als Antisemitismusbeauftragter nur zu den Leuten rede, die ohnehin schon meiner Meinung sind. Natürlich muss man sich aber klarmachen: Wer schon ganz tief im Hass steckt, findet da nicht mehr einfach raus. Martin Heidegger zum Beispiel - ein großer Philosoph der Geschichte - hat da nicht mehr rausgefunden, obwohl Martin Buber, Hannah Arendt und andere auf ihn zugegangen sind. Trotzdem sollte man natürlich versuchen, um jede Seele zu kämpfen. Selbst Xavier Naidoo hat ja gesagt, er will raus aus dem Antisemitismus. Ich hoffe, er meint das ernst - "Dieser Weg wird kein leichter sein".

SWR Aktuell: Zur Corona-Pandemie kommen jetzt die Folgen des Ukraine-Krieges, vor allem steigende Energiepreise, und die werden wir alle spüren. Glauben Sie auch, dass das unsere Gesellschaft spalten kann?

Blume: Grundsätzlich ist es so, dass jede Krise von den Verschwörungsgläubigen aufgegriffen wird. Die wünschen sich, dass das es Krise gibt - ob das Flüchtlinge sind, ob das die Pandemie ist oder die Klimakrise. Das heißt, jede Krise wird ausgenutzt und angesprochen. Darauf müssen wir uns einstellen. Ich sehe schon Fortschritte. Die Gesellschaft wird wehrhafter, aber unsere Gerichte und unsere Gesetze sind zum Teil einfach noch zu zurückhaltend und das ermutigt die Leute, noch weiter radikal zu werden. Meine klare Prognose ist: Wir haben noch ein paar sehr harte Jahre vor uns, aber ich glaube, unsere Demokratie wird diesmal standhalten.

Mehr zum Thema Ausländerfeindlichkeit:

Freiburg

Schmiererei an Wiwili-Brücke Jüdischer Gedenkort in Freiburg geschändet: Wer steckt dahinter?

Das Mahnmal für die deportierten Juden an der Freiburger Wiwili-Brücke ist erneut geschändet worden. Möglich ist eine Verbindung zur antisemitischen QAnon-Bewegung.

SWR4 BW Aktuell am Nachmittag SWR4 Baden-Württemberg

Heilbronn

Heilbronner Apotheker: "Die goldenen Jahre sind vorbei" Apotheken in BW leiden unter Politik und Kostendruck

Corona-Tests und Impfzertifikate sind bei einigen Apotheken zu wichtigen Standbeinen geworden, um die gestiegenen Kosten zu decken. Die Gewinnspanne bei Medikamenten schrumpft.

SWR4 BW aus dem Studio Heilbronn SWR4 BW aus dem Studio Heilbronn

Stand
INTERVIEW
Vanja Weingart