Ein Mann wird in einem medizinischen Zentrum von einem Arzt gegen Affenpocken geimpft.  (Foto: dpa Bildfunk, picture alliance/dpa/AP | Francisco Seco (Symbolbild))

Nur ein Teil der Dosen genutzt

Kritik an der Landesregierung: Impfstart gegen Affenpocken "verpennt"?

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In Baden-Württemberg ist bisher nur ein Teil der verfügbaren Impfdosen gegen Affenpocken verabreicht worden. Die SPD kritisiert: Man habe den Impfstart "verpennt". Und es gibt noch mehr Kritik.

Von 2.980 verfügbaren Affenpocken-Impfdosen sind in Baden-Württemberg bis Anfang August knapp 430 Impfungen verabreicht worden. Das teilte ein Sprecher des Sozialministeriums der Deutschen Presse-Agentur mit. Diese Zahl ist allerdings fast vier Wochen alt und aktuellere Daten gibt es laut Sozialministerium nicht. Im Land wird seit Ende Juli gegen Affenpocken geimpft.

Dem Landesgesundheitsamt wurden bis zum Dienstag gut 140 Erkrankungen übermittelt. Bundesweit lag die Zahl der bekannten Fälle am Dienstag bei knapp 3.330. "In den letzten drei Wochen konnte ein deutlicher Rückgang der Fallzahlen beobachtet werden", sagte der Sprecher des baden-württembergischen Sozialministeriums. Auch bundesweit sind die Zahlen nach Angaben des Robert Koch-Instituts (RKI) seit Anfang August leicht rückläufig.

Kritik an der Landesregierung: Impfstart "verpennt"

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat im Juli wegen der Affenpocken die "Notlage von internationaler Tragweite" ausgerufen. Mit dieser Einstufung sollen Regierungen dazu bewegt werden, Maßnahmen zu ergreifen, um den Ausbruch einzudämmen. Das passierte bislang auch in Baden-Württemberg, zum Beispiel mit der Impfung.

Ute Leidig (Grüne), Staatssekretärin im BW-Gesundheitsministerium, betonte: "Ernst nehmen muss man diese Erkrankung auf jeden Fall." Doch die oppositionelle SPD bezweifelt dies - Baden-Württemberg habe den Impfstart im Vergleich zu anderen Ländern "verpennt" und zu spät mit dem Impfen begonnen, so Florian Wahl, gesundheitspolitischer Sprecher der SPD-Landtagsfraktion.

Wer eine Impfung gegen die Affenpocken wolle, müsse sich erst aufwendig durch die Homepage des Gesundheitsministeriums klicken, um überhaupt zu erfahren, wo das möglich ist. Wahl wirft Gesundheitsminister Manfred Lucha (Grüne) auch deswegen Versagen vor. Außerdem bekomme aktuell nicht jeder eine Impfung, der eine brauche.

Diskriminierung von Homosexuellen?

Und es gibt noch mehr Kritik: Es steht der Vorwurf im Raum, die Landesregierung diskriminiere Homosexuelle. Auf der Website des Gesundheitsministeriums ist zu lesen: "Aktuell ist die Impfung insbesondere für Männer empfohlen, die Sex mit Männern haben und häufig den Partner wechseln, da sie aufgrund des erhöhten Expositions- und Infektionsrisikos besonders gefährdet sind."

Diese Formulierung sei gefährlich, so René Mertens vom Lesben- und Schwulenverband (LSVD): "Gerade auch in rechten Kreisen grassieren Wörter wie 'Schwulen-Seuche'." Durch diese "unsensible Kommunikation" trage das Ministerium dazu bei, dass Anfeindungen gegen schwule und bisexuelle Männer verstärkt werden." Besser sei es, von Menschen zu sprechen, die häufig wechselnde Sexualpartner haben. Tatsächlich seien aber auffällig viele Infizierte schwul, so Staatssekretärin Leidig. Es sei eine Gratwanderung - man wolle Diskriminierung verhindern, "aber auf der anderen Seite müssen wir diese Zielgruppe direkt ansprechen."

Zudem äußerte der LSVD Bedenken, dass nicht genug Impfstoff gegen Affenpocken vorhanden sei. Ein Ministeriumssprecher räumte gegenüber dem SWR ein, dass es lokal zu Engpässen kommen könne. Auch dass es landesweit keinen Impfstoff mehr gebe, sei möglich. Einen genauen Überblick habe man nicht - und das Land sei nun mal auf die nächste Impfstofflieferung vom Bund angewiesen.

Lauterbach fordert Impfstoff-Abgabe nach Berlin

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hatte die Bundesländer mit nur wenig Fällen kürzlich zur Impfstoff-Abgabe an das Land Berlin aufgerufen, wo es besonders viele Affenpocken-Fälle gibt. Baden-Württemberg habe allerdings keinen Impfstoff in die Bundeshauptstadt gegeben, weil dieser im Land ebenfalls gebraucht werde, teilte das Landesgesundheitsministerium weiter mit.

Baden-Württemberg erwartet zwischen Ende August und Anfang September 2.000 bis 2.200 weitere Impfdosen. Ende September sollen dann voraussichtlich 17.000 zusätzliche Impfdosen nach Baden-Württemberg gelangen.

Affenpocken: Übertragung durch engen Körperkontakt

Der erste Affenpocken-Fall im Land war im Mai bekannt geworden. Nach Angaben des Sozialministeriums in Stuttgart wird die Virusinfektion durch engen Körperkontakt von Mensch zu Mensch übertragen. "Das Risiko ist dabei nicht nur auf Personen beschränkt, die sexuell aktiv sind", heißt es auf der Internetseite des Ministeriums. "Alle Menschen, die engen körperlichen Kontakt mit einer ansteckenden Person haben, sind potenziell gefährdet", heißt es weiter.

Die Ständige Impfkommission (STIKO) empfiehlt bestimmten Gruppen und Menschen, die engen Kontakt zu Infizierten hatten, sich gegen Affenpocken impfen zu lassen. Zur Grundimmunisierung werden zwei Dosen empfohlen. Die zweite Dosis, die im Abstand von mindestens 28 Tagen verabreicht werden soll, dient hauptsächlich dazu, den Impfschutz zu verlängern.

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SWR