Alle Impfungen gegen das Coronavirus mit dem Impfstoff von Astrazeneca sind in Baden-Württemberg unverzüglich gestoppt worden. Das teilte das Landesgesundheitsministerium am Montag mit. Zuvor hatte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) über den deutschlandweiten Stopp informiert. Vorausgegangen waren Meldungen über Häufungen von schweren Blutgerinnungsstörungen nach der Impfung. Die Impfzentren seien bereits informiert worden.
Astrazeneca-Impfungen bis kommenden Montag abgesagt
"Selbstverständlich haben wir sofort reagiert und die Impfung in Baden-Württemberg gestoppt. Der Gesundheitsschutz der Menschen steht über allem", sagte Landesgesundheitsminister Manfred Lucha (Grüne) am Montag. Die Termine für Erst- und Zweitimpfungen mit dem Astrazeneca-Impfstoff würden abgesagt. Laut Ministerium gelte der Impfstopp bis einschließlich kommenden Montag. Spätere Termine blieben zunächst bestehen, auch Termine mit anderen Impfstoffen fänden ebenfalls unverändert statt.
"Wer bei der Terminbuchung eine korrekte E-Mail-Adresse angegeben hat, wird per Mail über die Absage informiert", heißt es in einer Mitteilung des baden-württembegischen Gesundheitsministeriums von Montagabend. Eine Absage über Telefon sei aufgrund der großen Menge nicht möglich - ebenso wenig wie eine Umbuchung der abgesagten Termine. Man habe die Impfzentren gebeten, alle von Absagen betroffenen über 80-Jährigen auf einen anderen Impfstoff umzubuchen oder sie auf eine eigens zu führende Warteliste zu setzen, so das Ministerium weiter.
BW: Täglich 15.000 Erstimpfungen weniger
Durch den Stopp der Impfungen mit Astrazeneca ist mit einer deutlichen Verlangsamung der Impfkampagne in Baden-Württemberg zu rechnen. Laut Landesgesundheitsministerium sind von den Absagen täglich etwa 15.000 Impfungen betroffen. Zum Vergleich: Mit anderen Impfstoffen wie von Biontech werden zur Zeit 10.000 Menschen pro Tag zum ersten Mal geimpft und 7.600 Zweitimpfungen täglich verabreicht. Bei Moderna sind es 550 Erstimpfungen und rund 800 Zweitimpfungen pro Tag. Das Modellprojekt der baden-württembergischen Landesregierung "Impfen in Praxen" ist nach Informationen der Deutschen Presseagentur von der aktuellen Entwicklung nicht betroffen, da dabei ausschließlich Biontech-Impfstoff verwendet wird.
Nach Thrombosen der Hirnvenen - Institut empfiehlt Untersuchungen
Grund für den Astrazeneca-Impfstopp sind neue Meldungen von Thrombosen der Hirnvenen nach Impfungen in Deutschland und Europa. Das zuständige Paul-Ehrlich-Institut - das Bundesinstitut für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel - meldete sich am Montagmittag mit einer entsprechenden Empfehlung, wie Bundesgesundheitsminister Spahn sagte. Das Institut halte weitere Untersuchungen für notwendig. Bislang gebe es Spahn zufolge sieben Fälle, die im Zusammenhang mit einer Venenthrombose stehen könnten, bei mittlerweile über 1,6 Millionen Impfungen in Deutschland.
"Es ist sehr selten aufgetreten", sagte Spahn und bezeichnete den Stopp als "reine Vorsichtsmaßnahme", um Auffälligkeiten in seltenen Fällen wissenschaftlich zu überprüfen. "Uns allen ist die Tragweite dieser Entscheidung sehr bewusst", fügte er hinzu. Leicht gefallen sei sie ihm nicht. Es gehe aber klar um eine fachliche und keine politische Entscheidung, daher folge er der Empfehlung des Paul-Ehrlich-Instituts, so Spahn. Am wichtigsten für das Vertrauen in die Impfungen sei Transparenz.
Paul-Ehrlich-Institut mit Hinweis zum Astrazeneca-Impfstopp
Die Europäische Arzneimittelbehörde EMA werde entscheiden, ob und wie sich die neuen Erkenntnisse auf die Zulassung des Impfstoffes auswirken. Folgeimpfungen könnten nach einer positiven Entscheidung der EMA gegebenenfalls nachgeholt werden. Idealerweise komme die Behörde noch im Laufe dieser Woche zu ihrer Entscheidung und Empfehlung, sagte Spahn. Die Expertinnen und Experten müssten auch die Frage klären, ob der Nutzen der Impfung weiterhin größer sei als mögliche Risiken. Denn klar sei: "Auch Nicht-Impfen hat schwere gesundheitliche Folgen", sagte der Gesundheitsminister.
Astrazeneca widerspricht Berichten
Astrazeneca hat seinen Impfstoff derweil verteidigt und den Berichten widersprochen. Man sehe kein erhöhtes Risiko von Blutgerinnseln im Zusammenhang mit dem Vakzin. Eine sorgfältige Analyse aller verfügbaren Sicherheitsdaten von mehr als 17 Millionen Menschen, die in der Europäischen Union und in Großbritannien mit dem Mittel geimpft worden seien, habe keine Hinweise auf ein erhöhtes Risiko einer Lungenembolie, einer tiefen Venenthrombose oder auf einen Rückgang der Blutplättchen ergeben, teilte Astrazeneca mit.
Bundesregierung verzichtete zunächst auf Impfstopp
Die Bundesregierung hatte zunächst auf eine Aussetzung der Astrazeneca-Impfungen verzichtet, nachdem Dänemark diesen Schritt in der vergangenen Woche als erstes Land gegangen war. Kopenhagen hatte auf mehrere Fälle von schweren Blutgerinnseln nach Impfungen mit dem Vakzin verwiesen. Es folgten Norwegen, Island sowie die EU-Länder Bulgarien, Irland und die Niederlande. Österreich, Estland, Lettland, Litauen und Luxemburg setzten die Nutzung von einer bestimmten Astrazeneca-Charge aus; Rumänien stoppte die Nutzung einer anderen Charge. Frankreich setzte die Impfungen ebenfalls am Montag aus. Nach Bekanntwerden der EMA-Prüfung reagierten auch weitere EU-Staaten.