"Ich bin mit Angela Merkel geboren", sagt mein Sohn mit einem Hauch von Klage in der Stimme. Hoppla: Klingt das etwa nach Abschieds-Schmerz? Und das bei ihm, dem CDU-Kritiker und Rezo-Fan?
Die Kolumne von Marion Theis können Sie hier auch als Audio hören:
Da sitzt sie nun, mit Pokerface, ganz in Schwarz, zwischen roten Rosen, beim Großen Zapfenstreich. Und dann fängt es an, Rosen zu regnen, musikalisch, für die soeben noch mächtigste Frau der Welt.
Blumen der Leidenschaft und Liebe für die nüchterne Angela Merkel?
Abgedreht, aber allemal besser als ein Buttermilch-Regen, wie ihn die Kleine Hexe im Kinderbuch von Otfried Preußler aus Versehen herbeizaubert. Oder Bindfäden, die es von oben prasselt – wobei, die sind gut für Weihnachtspäckchen zu gebrauchen. Und bestimmt auch angenehmer als "It’s raining men", ein Männerregen. Von den Merzens, Gaulands, Putins und Erdogans dieser Welt hat Angela Merkel sicherlich genug bis an ihr Lebensende. Naja, und es ist doch nett, wenn es in einer deutschen Großstadt zur Abwechslung mal Rosen regnet statt Stickoxide und Feinstaub.
Ich vermute, dass Angela Merkel uns etwas mitteilen wollte mit ihrer Liederauswahl zum Abschied. Durch die Blume sozusagen. Dass sie 3G mag, wissen wir, Garten, Gras und Gänseblümchen. "Die Blumen haben ebensoviel Recht zu leben, wie wir", sagte schon Friedensnobelpreisträger Albert Schweitzer. Vielleicht sieht Merkel das ja ähnlich. Vielleicht bereut sie, sich nicht mehr um den Artenschutz gekümmert zu haben. So wie sie es bedauert, nicht genug gegen den Klimawandel getan zu haben. Dabei wäre der Fehler leicht auszumerzen. Sie hat ja als Pensionärin Zeit, freitags bei den Klimaprotesten mitzulaufen (falls sie nicht gerade für ihr Jodeldiplom üben muss). Seite an Seite mit Nina Hagen, die hin und wieder die Grünen und ihre Anliegen unterstützt.

Kann sein, dass ich das Gras wachsen höre, aber vielleicht sollte die Zapfenstreich-Musik made by Knef und Hagen auch eine verblümte Botschaft an die Frauen sein. Muckt auf, seid widerspenstig, wehrt euch! "Ich kann mich nicht fügen, kann mich nicht begnügen …", singt Hildegard Knef. Unbeschreiblich weiblich, stolze Rose, statt sittsames Veilchen im Moose: Möglicherweise musste bei Merkel etwas von dem an die Luft, was sie in 16 Jahren Kanzlerschaft geschluckt hat.
Merkel winkte wie eine Königin
Es war diese Woche jedenfalls wohl das letzte Mal, dass die Noch-Kanzlerin sich von Männern den Marsch hat blasen lassen - ohne zusammenzuzucken, ohne Regung. Obwohl der Kommandeur sie anbellte. Obwohl der Flötist ein bisschen aussah wie Räuber Hotzenplotz, nur mit Helm statt Schlapphut. Ich denke, sie hätte gerne mitgemacht, als die Soldaten auf der Stelle traten, links, rechts Beine hoch, um sich aufzuwärmen. Aber sie saß und fror. Und dann ging sie, die oberste Sachbearbeiterin des Landes, mit einer Rose in der Hand, und winkte wie eine Königin.
"Beide tragen Dornen, Rosen und Wahrheit", das sagt der Volksmund.
"Vertrauen ist wichtig. Auch das Vertrauen in Fakten", so lautet die letzte Botschaft, die Angela Merkel ihrem Volk mitgegeben hat.
Rosen zum Abschied. Aber keine Tränen. Nur mein Sohn, ich glaube es nicht, macht La Ola für Angie. Was für eine Welle…